piwik no script img

Jassir Arafat macht kurzen Prozeß

Erstmals wurde am Sonntag in den palästinensischen Autonomiegebieten die Todesstrafe vollstreckt. Der PLO-Chef und Palästinenserpräsident bestätigte zuvor persönlich die Urteile gegen zwei Polizisten  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Nur Lynchjustiz ist schneller. Am Freitag die Tat, am Samstag die Verurteilung und am Sonntag die Hinrichtung. Zum ersten Mal hat die Palästinensische Autonomiebehörde zwei Todesurteile vollstreckt. Zwei Brüder, beide Angehörige der palästinensischen Polizei, wurden am Sonntag von einem Erschießungskommando hingerichtet. Palästinenserpräsident Jassir Arafat hatte die Todesurteile zuvor bestätigt. Während palästinensische und israelische Menschenrechtsorganisationen den Prozeßverlauf und die Vollstreckung verurteilten, stieß der „kurze Prozeß“ im palästinensischen Parlament auf Verständnis.

Nach Angaben von Law, einer palästinensischen Menschenrechtsorganisation, wurden der 24jährige Raid Abu Sultan und sein ein Jahr älterer Bruder Muhammad von einem Militärgericht zum Tode verurteilt. Zwei andere Familienangehörige wurden zu lebenslanger Haft, ein dritter zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Zur Last gelegt wurde ihnen die Erschießung von zwei Mitgliedern der Familie al-Chaldi. Die Getöteten, der 32jährige Madschdi und der 30jährige Muhammad, waren ebenfalls Angehörige der palästinensischen Polizei. Madschdi soll zudem ein hochrangiger Funktionär der Fatah sein, der von Arafat geführten PLO-Gruppierung.

Laut vorliegenden Berichten brach zwischen den Familien al- Chaldi und Abu Sultan aus der Gemeinde Deir al-Balah im Gaza- Streifen ein Streit aus, weil die al- Chaldis den Frauen der Familie Abu Sultan „zu nahe getreten“ seien. Im Verlauf dieses Streits soll es zu dem tödlichen Schußwechsel gekommen sein.

Law nannte das Gerichtsverfahren rechtswidrig. Eine Berufung gegen das Urteil wurde erst gar nicht zugelasssen. Law beklagt, daß Angehörige der palästinensischen Polizei auch außer Dienst ihre Waffen tragen dürften. Dies führe nicht nur zu Schießereien bei festlichen Anlässen wie Hochzeiten und Geburten, sondern gefährde die Entwicklung einer zivilen Gesellschaft. Zwar verurteilte Law das Verbrechen, das angeblich von Angehörigen der Familie Abu Sultan begangen wurde, doch stehe das Recht auf Leben höher als das Recht der Gesellschaft auf Bestrafung der Verantwortlichen.

Auch die israelische Menschenrechtsorganisation Betselem verurteilte die Hinrichtung gestern. „Unsere feste Überzeugung ist, daß kein Mensch umgebracht werden sollte, weder durch andere noch durch den Staat“, erklärte eine Sprecherin.

Eine halbe Stunde vor den Exekutionen informierte Arafat laut Presseberichten das palästinensische Parlament. Nach Angaben des Jerusalemer Abgeordneten Hatem Abdul Kader billigte eine Mehrheit im Parlament das rigorose Vorgehen. Arafat habe ein Exempel gegen den Mißbrauch von Macht und Waffen statuieren wollen, hieß es zur Erklärung. Gnadengesuche der Verurteilten kurz vor der Hinrichtung waren abgelehnt worden.

Bislang sind mehr als 20 Palästinenser, zumeist Angehörige der Sicherheitskräfte, zum Tode verurteilt worden. Doch wurde bisher keines dieser Urteile vollstreckt. Der Vollzug der Todesstrafe schade nicht nur dem Image der palästinensischen Autonomiebehörde, erklärte Law, sondern verletze auch das Grundrecht der Bürger auf Leben in einem zivilen Staatswesen. Von diesem scheint die Autonomiebehörde noch ein gutes Stück entfernt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen