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Knackige Kunst

■ Mit einer Ausstellung feiert die Bildhauerwerkstatt der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen ihren 20. Geburtstag

Anläßlich der ersten Ausstellungen im Kunstverein Hannover und im Berliner „Haus am Waldsee“, war noch die gesamte überregionale journalistische Prominenz aus Zeitung, Funk und Fernsehen angereist, um über die „Kunst der Knackis“ zu berichten. Zwanzig Jahre später, die Bildhauerwerkstatt der Justizvollzugsanstalt (JVA) Oslebshausen präsentiert voller Stolz ihre Geburtstagsausstellung in der Unteren Rathaushalle, bleiben die JournalistInnen aus der Region weitgehend unter sich.

Von der kulturpolitischen Aufbruchstimmung der 70er Jahre, der sich die Gründung der Bildhauerwerkstatt durch den Braunschweiger Professor für Bildende Künste Siegfried Neuenhausen im Juli 1978 verdankt, ist gegen Ende des Jahrtausends kaum noch etwas geblieben. Zumindest, wenn man sie an derart formalen Kriterien wie der Berichterstattung in den Medien mißt. Doch die Untere Rathaushalle quillt nichtsdestotrotz, gerade deshalb oder warum auch immer beinahe über von Skulpuren und Plastiken, die in den vergangenen beiden Jahrzehnten entstanden sind – und deren Erschaffer sich vermutlich wenig darum scheren, ob die FeuilletonistInnen der Republik es für notwendig erachten, über sie zu schreiben.

Zu Beginn von Neuenhausens Projekt, eingebettet in eine Phase der Reformierung und Humanisierung des Strafvollzugs, diente die Bildhauerwerkstatt vor allem der Überbrückung der Distanz zwischen den Gefangenen und ihrer Umgebung unmittelbar hinter den Gefängnismauern. Die Bildhauerei sollte dazu beitragen, die Situation der Gefangenen „künstlerisch zu reflektieren“ und „das Klischee vom nichtsnutzigen Straftäter abbauen“, schreibt Neuenhausen in einem Beitrag zum Ausstellungskatalog. Nicht nur weil die Bildhauerwerkstatt der JVA Oslebshausen bundesweit keine vergleichbaren Nachahmer gefunden hat – positiv formuliert, ist sie nachwievor ein bundesweit einzigartiges Projekt – betrachten nicht wenige diesen Anspruch sowohl aus künstlerischer als auch aus Strafvollzugssicht mit ambivalenten Gefühlen. Bernd-Wolf Dettelbach etwa, ehemaliger künstlerischer Leiter der Bildhauerwerkstatt, sagt, daß die Kunst im Knast im Endeeffekt eher kompensatorische als emanzipatorische Aufgaben erfüllt habe, so daß die Bildhauerwerkstatt letztendlich nur Alibicharakter in einem ansonsten weiterhin inhumanen Strafvollzug haben konnte.

Mag sein, daß diese Einschätzung stimmt. Und doch glaubt man dem momentanen Werkstattleiter Hans-Joachim Kampa aufs Wort, wenn er von den enormen positiven Effekten auf die Persönlichkeitsentwicklung Einzelner spricht, die tagtäglich für den lächerlichen Stundenlohn von 1,57 Mark stundenlang in der Werkstatt Steine und Holzstücke bearbeiten, sich mit den komplizierten Widerständen des Materials auseinandersetzen und angeleitet von zwei Bildhauern lernen, sich mit Sprengeisen und Fäustel in Geduld zu üben. Wer wollte bestreiten, daß das der Seele gut tun kann und daß das Geld der Senatoren Justiz und Kultur sowie des Fördervereins „Mauern öffen“ und der Stiftung „Wohnliche Stadt“, die die Werkstatt finanzieren, dort gut angelegt ist? An mittlerweile 29 öffentlichen Plätzen in der Stadt, vor allem in Osterholz-Tenever, Oslebshausen, Kattenturm und Vegesack, finden sich Skulpturen, die in der Bildhauerwerkstatt speziell für diese Orte angefertigt wurden.

Was aber zeigt die Ausstellung in der Unteren Rathaushalle? Neben einer kürzlich premierten Videoinstallation zum Thema „Lebensraum Knast“ der beiden Studenten und Studienpreisträger Andreas Eicker und Niels Albrecht vor allem Skulpturen und Plastiken aus Holz, Wachs und Stein. Ergänzt werden die Objekte der Werkstatt Oslebshausen durch Arbeiten aus anderen deutschen Gefängnissen. Thematisch dominieren Tier- und Menschendarstellungen. Angefangen vom witzigen „Kleinen Arschgesicht“ von Michael B. über August T. zarter Figur „Ausgestreckt“ bis hin zu Jens K.s imposanter Arbeiterskulptur „Hein Mück“. Alles Werke, die deutlich zeigen, daß über den sozialtherapeutischen Aspekt hinaus in der JVA talentierte Menschen zum Teil beeindruckende Kunstwerke geschaffen haben. Daß allerdings die Anstaltsleiterin Ines Kalisch die Arbeit der Gefangenen in der Bildhauerwerkstatt „auch als kleinen Ausgleich für den Schaden, den sie zuvor angerichtet hatten“ betrachtet, und die Anstaltsleiterin der ebenfalls präsenten JVA Vechta bemerkt, in ihrer Anstalt diene die künstlerische Arbeit der Gefangenen auch der Verschönerung der Arbeitsräume der WärterInnen, ist bezeichnend für die Wertschätzung, die solche Arbeiten heute erfahren. Letztendlich sind es eben vor allem Knackis, die da Kunst machen dürfen. zott

Die Ausstellung ist bis zum 20.9. täglich von 11-18 Uhr zu sehen. Es ist ein Katalog (20 Mark) erschienen. Am 5.9. spricht im Presseclub, Schnoor 27/28, der Berliner Regisseur und Künstler Roland Brus zum Thema „Kunst-Gefängnis-Stadt – Neue Strategien künstlerischer Arbeit“. Am 12.9. (14 Uhr) findet eine Radspazierfahrt zu öffentlichen Objekten der JVA Bremen statt. Treffpunkt: 14 Uhr, Jan-Reiners-Lokomotive, Hemmstr.. Tags darauf – Treffpunkt Kunsthalle – wird die Tour ab 14 Uhr als kostenlose Busrundfahrt durchgeführt.

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