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Alles Berti außer Cruijff

■ Wen interessiert in Deutschland derzeit der Ausgang der Bundestagswahl oder die Krise in Rußland. Das Land hat eine wirklich existentielle Frage zu lösen: Wer wird Nachfolger von Fußballbundestrainer Berti Vogts. Unter Marketinggesichtspunkten wäre ein Ausländer, etwa Johan Cruijff, der ideale Mann. Der Niederländer steht für modernen Fußball und Weltläufigkeit. Gegen ihn sind Trainertypen wie etwa der Deutsche Jupp Heynckes, der gestern ein DFB-Angebot dankend ablehnte, nur die Fortsetzung von Bert Vogt mit anderen Haaren.

Ein Mann großer Worte ist er nie gewesen. Wenn er in der Halbzeit anhub, darüber zu sinnieren, was „der Bundestrainer“ möglicherweise in der Kabine gesagt haben könnte, wurde er in der Regel von der Klospülung übertönt – auch an Originalität. Nun aber hat Rainer Bonhof (46) ein klares Wort gesprochen. „Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte der vormalige Gehülfe von Berti Vogts gestern auf die Frage, ob nicht der Niederländer Johan Cruijff Cheftrainer des Deutschen Fußballbundes werden könnte.

Es wird zwar nicht ganz einfach, jemanden zu finden, dennoch sieht es aus, als gelte, was der Bundes- Fußballexperte Günter Netzer dem Freund Vogts auf das Epitaph geschrieben hat: „Wir sollten jemand finden, der in der Lage ist, seine Aufgabe so zu erfüllen, wie Berti Vogts es getan hat.“ Himmel hilf, das kann nur heißen: Vogts ist tot, es lebe Berti!

Genauer: Frührentner Vogts (51) kann zwar in seinem Haus in Kleinenbroich in Ruhe seinen „letzten Rest Menschenwürde verteidigen“, das heißt aber nicht, daß der deutsche Fußball Berti-frei wäre. Tatsächlich ist der von der taz ermittelte Berti-Faktor, Maßeinheit für rückständiges, stilfreies Arbeiten im deutschen Fußball und seinem Verband, nach einem kurzen Absturz von 83 auf 0 heute längst wieder in bedenkliche Höhen gestiegen (siehe Graphik).

In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob der DFB trotz der sich rapide verändernden Rahmenbedingungen der Wirtschaftsbranche Fußball im Grunde genommen immer noch ein guter, alter Verband ist, dessen Präsident Egidius Braun (73) mit einer Bereitschaft zum Guten, also Konservativen, seine Entscheidungen trifft. Noch ist Fernseh-Experte Karlheinz Feldkamp allein mit seiner Forderung, „die gesamte Führungscrew des DFB“ müsse „für die schlechten Leistungen gradestehen“.

Völlig weggetreten ist der Verband nicht: Die Einschaltquote wird die Finanzen und damit die Zukunft des Verbandes entscheiden. Vogts mußte letztlich auch weg, weil die Strippenzieher merkten, daß er zum veritablen Quotenkiller zu werden drohte.

Die Clique der Meinungsmacher war sich so schnell einig, wie Franz Beckenbauer Zeit braucht, um eine hochkomplexe Sache zu Ende zu denken – also in null Sekunden. „Heynckes der Retter?“ fragte Bild gestern, und Beckenbauer sagte: „Er ist jetzt der Richtige“, womit nur unklar blieb, welcher der beiden Sätze aus welchem folgt.

Argumentation: Während die üblichen Verdächtigen (Daum, Hitzfeld, Rehhagel) absagen müßten, weil sie bei Bundesliga-Spitzenklubs unter Vertrag stehen, sei Heynckes derzeit vertragslos. Braun klingelte dann gestern auch gehorsam sofort bei Heynckes durch, bekam aber auch von ihm (“aus persönlichen Gründen“) umgehend eine Absage. Wäre er der Richtige? Letztlich kam der Überdruß an Vogts nicht allein durch Erfolgsdefizite zustande, sondern auch durch Stil-Defizite. Heynckes hat mit Real Madrid die Champions League gewonnen und modernen und ästhetisch befriedigenden Fußball spielen lassen. Heynckes (53) ist aber auch ein Law-and-order-Mann, dem einst bei Eintracht Frankfurt Ghanaer (Yeboah) und Nigerianer (Okocha) nicht deutsch genug waren.

Die Ansprüche der Öffentlichkeit an die mediale Figur „Bundestrainer“ gehen längst über den Fußball hinaus. Könnten Figuren wie Rehhagel oder Heynckes, was Vogts nicht konnte? Manche sagen, es gäbe im deutschen Fußball nur ein Gesicht, das beleidigter aussehen kann als das von Heynckes – das von Vogts.

Deutsche Trainer, die jenseits von Berti den Fußball modernisieren, gibt es auch in der Bundesliga. Sie trainieren allerdings die falschen Klubs und heißen Volker Finke (SC Freiburg) und Ewald Lienen (Hansa Rostock). Ein, zwei andere probieren in der 2. Liga. Und dann ist da tatsächlich Christoph Daum, der zumindest auf dem Spiefeld als Modernisierer und Anti-Berti durchgeht.

Natürlich sind ausländische Trainer nicht a priori besser als deutsche. Es wäre aber mehr als eine Geste, mit der der hundert Jahre stets regierungsnahe Verband dem nach den Erfahrungen der WM gewachsenen Wunsch der Leute nach einer klitzekleinen Brise Modernismus und Europäisierung im deutschen Fußball nachkommen könnte.

Eine kleine Zäsur ist schon da: Mit Oliver Bierhoff (30) hat das DFB-Team zum ersten Mal einen Spielführer, der den deutschen Fußball überwunden hat. Der Sohn eines Essener Wirtschafts- Managers hat das Erscheinungsbild des Berufsfußballers modifiziert, das vor ihm dominiert war von immer leicht neureich daherkommenden Sozialaufsteigern wie Matthäus oder Möller. Bierhoff kann mit seinem Auftreten auch andere als die üblichen Interessenten an die Branche binden.

Vogts' Fußball ist letztlich ein Spiegelbild des Bundesliga-Fußballs gewesen – und der hat sich in Europa als nicht mehr gut genug erwiesen. Mit der „raumorientierten Gegnerdeckung“ hatte Vogts bei seiner maltesischen Abschiedsreise zwar nur satirische Erfolge verbuchen können, letztlich zeigt es aber auch den Entwicklungsstand der Liga, wenn deren beste Fußballprofis sich außerstande sehen, so zu arbeiten, wie es in vielen Ländern und Ligen seit Jahren Standard ist.

Nicht bloß die Intellektuellen haben das Interesse am DFB- Team auch deshalb verloren, weil deren Spiel keines mehr war – und damit die Phantasie nicht anregte und beschäftigte, sondern tötete. Mit einem Fußball-Weltmann wie Johan Cruijff oder Arsène Wenger kann man im besten Fall alle Qualifikationsfelder abdecken. Erstens die Spielweise modernisieren, zweitens das Interesse der Leute zurückgewinnen, drittens der Welt zeigen, daß „der Deutsche“ anders ist, als Berti Vogts immer behauptet hat – also anders als Vogts. Ein Holländer als deutscher Bundestrainer? Das wäre tatsächlich europäisch gedacht und könnte nicht nur die dringend benötigte Europäisierung der Spielweise bringen, sondern im äußersten Fall womöglich gar die verfeindeten Länder versöhnen. Keine Sorge.

So weit wird es natürlich nicht kommen. „Wir haben exzellente Trainer, wir brauchen nicht im Ausland zu suchen“, sagt Rainer Bonhof. Im übrigen, für jene, für die das von Belang sein sollte: Das Team ist natürlich immer noch stark genug, um sich zumindest für die EM zu qualifizieren. Wahrscheinlich sogar, wenn der Trainer Rainer Bonhof hieße. Peter Unfried

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