: Hängen, Köpfen, Aufschlitzen ...
■ Briganten: Iosselianis komplexer, lustiger, ekliger, philosophischer, dummer, genialer Film über den Bürgerkrieg in Georgien – und der Welt
Vor exakt zwei Jahren wurden sie in Venedig mit dem „Spezialpreis der Jury“ ausgezeichnet, jetzt haben sie den Weg nach Bremen gefunden: Otar Iosselianis geniale Variationen über die menschliche Miesheit.
Der Landsmann Stalins hat sein Thema in drei verschiedene Epochen und Milieus transponiert – wie der Musiker sagen würde. Eifersucht, Trug, Rachsucht, Neid regieren unter operettenhaften Plüschklamotten in einem mittelalterlichen Königshaus. Unter den Parteibonzen während der Säuberungswelle der 30er Jahre sind sie genauso bestimmend wie unter den Waffen-schiebern, die heutzutage in Tiflis killen, um in Paris zu schwelgen.
Hal Hartleys „Flirt“ erzählte mal ein und dieselbe Liebesgeschichte gleich dreimal: an unterschiedlichen Orten, mit unterschiedlichem Ambiente und Personal, aber den identischen Sätzen. Jeder, alt oder jung, Japaner oder Berliner, kann jede Rolle im Leben besetzen; so ungefähr lautete damals die Botschaft. Iosseliani radikalisiert diese Idee von der Zufälligkeit der Lebensläufe: Sein Held mit dem provozierend-edlen, klassizistischen Profil mutiert vom König über einen mittleren Parteichargen zum Bildhauer, Säufer, Bettler. Ob Iosseliani ein Fan von Virginia Woolfs „Orlando“ ist?
Nur Fieslinge verraten den Schluß eines Filmes. Dieser fiese, da nihilistische Film tut es gleich selber – formal ausgesprochen tricky: Ein besoffener Filmvorführer packt aus Versehen die letzte Filmspule an den Anfang des Films. Und so erfahren wir frühzeitig, daß sein Ende genauso unbarmherzig ist wie „Bennys Video“: Ein Wohlstandskid metzelt seine ganze verhurte, versoffene, doch schweine-reiche Sippe nieder. Kein Befreiungsschlag; des Mädels Hirn ist nur vollgepumt – na, mit was wohl? – mit martialischen Videogames. Zwei weitere Male spielen Jugendliche eine wichtige Rolle – unterschiedliche Schauspieler, doch die selbe Frisur. In den 30er Jahren ist es ein Kotzbrocken von einem Kind, das wegen einer läppischen Rüge die Lehrerin denunziert und in den Folterkeller der Stalinisten schickt; im heutigen Tiflis ist es ein Junge, der versehentlich an Stelle des schwerstkriminellen Vaters abgeknallt wird. Egal ob als Täter oder Opfer, schon die Kinder sind Teil des Getriebes.
Unglaublich intelligent sind die Zeitsprünge komponiert; winzige Gesten – ein Aufschrecken, ein Blättern im Buch – werden in der neuen Zeitebene wieder aufgenommen. Derb dagegen ist die Satire – fast wie bei M.A.S.H. oder Monty Pythons Jabberwocky. Bei einer Massenvergewaltigung fliegen lustig bunte Schleier und Röcke in die Luft. Ein buckliger Kauz schlurft durch den Folterkeller der Stalinisten. Wenn der Folterer aber aus seinen blutigen Händen Wasser säuft, ist der Spaß vorbei. Mit klassischer Satire oder Komödie hat das nichts mehr zu tun. Wie Kusturicas „Underground“ entdeckt der Film einen neuen Ton im Umgang mit dem absolut Bösen. Und im Hintergrund säuseln Kinderlieder, melancholische Geigensoli, Walzergeschunkle an den unmöglichsten Stellen. Bei so vielen Brechungen ist manchmal auch reine Sentimentalität erlaubt: ein einsamer Schuh, ein einsamer Rollstuhl, letzte Relikte von Dahingerafften.
So umwerfend komplex, bildstark und einfallsreich der Film ist, so schlicht ist sein Weltbild. Ganz im Unterschied zu Marx sind bei Iosseliani Feudalismus, Marxismus, Kapitalismus strukturell identisch: Verräter nisten sich ein in den Wohnungen und Stellungen der Verratenen – und werden früher oder später selber verraten. Der ewige Kreislauf des Üblen. Gewalt ist beim ausgebildeten Musiker Iosseliani immer der Einbruch des proletigen, gröhlenden, saufenden Mobs in die Kultur. Opfer sind Menschen am Klavier, in der Oper. Und die Kommunisten sind nichts anderes als pervertierte Taschendiebe. Nur die Bettler hat man lieb. bk
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