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Aussteiger Klein wollte sich stellen Da nahmen ihn Zielfahnder fest

■ In den nächsten Wochen wollte sich Hans-Joachim Klein, der an dem Wiener Opec-Überfall 1975 beteiligt war, stellen, das wußte der Frankfurter Staatsanwalt. Dennoch ließen ihn BKA-Fahnder in der Normandie festnehmen

Berlin (taz) – Der ausgestiegene Terrorist Hans-Joachim Klein soll nach seiner Festnahme in Frankreich demnächst an Deutschland ausgeliefert werden. Dies wurde gestern aus französischen Sicherheitskreisen in Paris bekannt. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Frankfurt kündigte gestern einen entsprechenden Antrag an. Klein wurde am Dienstag abend in dem kleinen nordfranzösischen Dorf Sainte Honorine La Guilleaume festgenommen, wo er seit mehreren Jahren unter falschem Namen gelebt hatte. An der Festnahme war neben Einheiten der französischen Polizei auch ein Zielfahndungskommando des Bundeskriminalamtes beteiligt.

Was das BKA gestern in einer Erklärung als „ein weiteres Beispiel erfolgreicher internationaler polizeilicher Zusammenarbeit“ feierte, entpuppt sich jedoch womöglich als billiger Sieg. Denn Klein wollte sich freiwillig stellen. Wie der zuständige Staatsanwalt beim Landgericht Frankfurt, Holger Rath, gegenüber der taz bestätigte, wurden seit mehreren Monaten Gespräche über die Bedingungen einer freiwilligen Rückkehr nach Frankfurt geführt. „Sicher ist darüber geredet worden“, so Rath. Dabei seien Klein keine Zusagen bezogen auf sein Verfahren gemacht worden.

Der ehemalige Terrorist muß wegen seiner Beteiligung am Überfall auf die Ölminister der Opec-Staaten in Wien 1975 mit einer Mordanklage rechnen. Wie der Europaabgeordnete der Grünen, Daniel Cohn-Bendit, ein Freund Kleins, erklärte, sei diesem das auch klar gewesen. Er habe sich trotzdem innerhalb der kommenden sechs Wochen stellen wollen.

Davon will die Staatsanwaltschaft allerdings nichts gewußt haben. Es gab, so erklärt Rath, „bei dem Stand der Gespräche keinen Anlaß, fest und sicher davon auszugehen, daß Herr Klein sich stellen wird. Es stand die Möglichkeit im Raum.“ Das sei nicht wahr, behauptet hingegen Cohn- Bendit. Rath sei von Kleins Rechtsanwalt Kempf von dessen konkreter Absicht in Kenntnis gesetzt worden. Doch auch darüber gehen die Aussagen auseinander. Während Rath mit Kempf zuletzt vor sechs Wochen geredet haben will, datiert Cohn-Bendit den Termin auf die letzten zwei Wochen. Dabei sei dem Anwalt auch zugesichert worden, daß keine Zielfahnder auf ihn angesetzt werden. Nach diesem Gespräch habe sich Kempf am letzten Wochenende mit seinem Mandanten in Paris getroffen, um über die Rückkehr nach Frankfurt zu sprechen. Drei Tage später griffen die Zielfahnder in der Normandie zu. „Rath wollte seinen Sieg haben“, kommentierte Cohn-Bendit die Festnahme.

Staatsanwalt Rath sagte der taz, die Gespräche mit Kempf seien für ihn kein Anlaß gewesen, die Fahndungsmaßnahmen zurückzunehmen. Klein habe 23 Jahre Zeit gehabt, um sich zu stellen. Das Zielfahndungskommando war vor einem Jahr auf Hans-Joachim Klein angesetzt worden. Nach Angaben des BKA kam es dem Ex-Terroristen durch Interviews auf die Spur, die er in den vergangenen Jahren mehrfach gegeben hatte. Man habe ihn „durch kriminalistische Kleinarbeit gefunden“, hieß es.

Klein wurde seit 1976 mit Haftbefehl gesucht. Er hatte zusammen mit dem Terroristen Carlos und anderen die Konferenz der Ölminister der Opec-Staaten in Wien überfallen. Dabei wurden drei Menschen erschossen. Die Terrorgruppe wurde zusammen mit den Geiseln in den Nahen Osten ausgeflogen. Klein, der bei dem Überfall durch einen Schuß verletzt worden war, sagte sich wenige Monate später vom Terrorismus los und tauchte unter. Mehrfach forderte er seine früheren Genossen auf, die Waffen niederzulegen.

1988 und 1993 nahm er Kontakt zum Bundesamt für Verfassungsschutz auf, um in das sogenannte Aussteigerprogramm aufgenommen zu werden. Die Kontakte kamen zustande, doch schreckte Klein jeweils davor zurück, sich der Justiz zu stellen.

Verfassungsschützer wunderten sich gestern, als sie von der Festnahme Kleins erfuhren. Keiner habe überzeugender seinen Bruch mit dem Terrorismus dokumentiert, hieß es. Daher sei es ein wenig auffällig, mit welchem Eifer und Aufwand die Strafverfolger den Aufenthaltsort von Klein ermittelt hätten. Den Verfassungsschützern war nicht bekannt, daß sich Klein in den nächsten Wochen stellen wollte. Im Gegensatz zu 1988 und 1993 hatte der Aussteiger jetzt keinen Kontakt zum Verfassungsschutz gesucht. Sein Anwalt hatte sich direkt mit der Frankfurter Staatsanwaltschaft in Verbindung gesetzt.

Die Festnahme erfolgte nach Augenzeugenberichten am späten Dienstag nachmittag, als sich Klein in der einzigen Kneipe des Dorfs aufhielt. Der 51jährige habe gegen das knappe Dutzend Beamte keinen Widerstand geleistet. Klein hatte sich den Falschnamen Dirk Claussen zugelegt und lebte allein in dem 300 Einwohner zählenden Dorf in der Normandie. Als Beruf gab er Journalist an, wie das Rathaus von Sainte Honorine La Guilleaume mitteilte. Die Festnahme erfolgte durch eine Sondereinheit der französischen Polizei zur Terrorismusbekämpfung. Neben dem Bundeskriminalamt war auch der französische Inlandsgeheimdienst beteiligt.

Klein wird nach seiner Auslieferung in Frankfurt in Untersuchungshaft genommen werden. Rath meint, es sei davon auszugehen, daß er wegen dreifachen Mordes angeklagt wird. Eine Anklageschrift würde sich allerdings, wie in einem früheren Verfahren gegen eine andere möglichen Tatbeteiligte, auf Kleins frühere Aussagen zu dem Überfall stützen. Darin hatte er zwar den Ablauf deutlich geschildert, aber keine Beteiligten bis auf Carlos belastet. Immer wieder bestritt er, selbst geschossen zu haben. Ob allerdings seine Absicht, sich freiwillig zu stellen, nun noch strafmildernd berücksichtigt wird, ist zweifelhaft. Er gehe davon aus, daß das erörtert werde, erklärte Staatsanwalt Rath. Dieter Rulff Tagesthema Seite 3

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