piwik no script img

Russen sitzen auf dem Trockenen

In Mecklenburg-Vorpommern trifft die Rußlandkrise die gerade erst gesundeten Werften und die Ernährungswirtschaft. Darguner Bierbrauer müssen bereits kurzarbeiten  ■ Von Beate Willms

Berlin (taz) – „Ob wir eine Hermes-Bürgschaft haben?“ Wolfgang Voß schüttelt den Kopf. Das habe er sich nie gefragt, sagt der Betriebsleiter der Darguner Brauerei. „Ich glaube, bei Bier kann man sich gar nicht absichern.“ Allerdings habe er sich auch nicht darum bemüht. Wozu auch? „Wir haben ehrliche Kunden.“

Genützt hat das Vertrauen in ihre Kundschaft der erst 1991 gegründeten Darguner Brauerei ebensowenig wie die Vereinbarung, daß Lieferungen ins Ausland in US-Dollar bezahlt werden müssen. Im August haben die russischen Abnehmer des Biers aus Mecklenburg-Vorpommern sämtliche Aufträge storniert, weil sie die Lieferungen wegen der Talfahrt des Rubel nicht mehr zahlen konnten. Seitdem ist die Brauerei ins Schlingern geraten, die neben dem Käsewerk zu den wenigen größeren Arbeitgebern in dem 5.000-Einwohner-Städtchen am Klosterstausee in Vorpommern gehört.

240.000 Hektoliter Bier hatten die Russen bislang jährlich abgenommen, 40 Prozent der gesamten Produktion. Viel Hoffnung, das speziell für den Export gebraute helle Bockbier mit seinem Alkoholgehalt von acht Prozent in Deutschland zu verkaufen, gibt es nicht. „Dafür ist es das falsche Bier“, sagt Voß. Und außerdem sei der deutsche Biermarkt unter den Brauereien weitgehend aufgeteilt. Viel mehr als die bisherigen 300.000 Hektoliter werde die Darguner Brauerei dort nicht absetzen können.

Also hat sie die Produktion erst einmal heruntergefahren und die Saisonkräfte, die sonst bis Oktober oder November eingespannt sind, bereits jetzt entlassen. Die 85 fest Beschäftigten schieben in Absprache mit dem Arbeitsamt Kurzarbeit, warten auf eine Stabilisierung der Verhältnisse in Moskau und machen in Optimismus.

„Früher oder später werden wir die Geschäfte wieder aufnehmen“, heißt es. Immerhin müsse Rußland 70 Prozent seiner Lebensmittel importieren und sei folglich auf die Lieferungen angewiesen. Auch der Betriebsleiter versichert, daß das Jahresziel, die Produktion auf 700.000 Hektoliter zu erhöhen, „noch nicht abgeschrieben“ sei.

Die Darguner Brauerei steht mit ihren Problemen nicht allein. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes in Schwerin haben die Unternehmen in Mecklenburg- Vorpommern 1997 Waren im Wert von 398,7 Millionen Mark nach Rußland exportiert. Das macht etwa 17 Prozent der gesamten Ausfuhren aus und liegt damit weit über dem Bundesdurchschnitt von 1,9 Prozent.

„Der Rußlandhandel hat hier Tradition“, sagt Andreas Kraus, Pressesprecher der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern Mecklenburg- Vorpommern. Insgesamt gesehen sei das Land zwar „keineswegs ostabhängig“, betrachte man aber einzelne Branchen und vor allem einzelne Betriebe, sehe das schon ganz anders aus. Die meisten Unternehmen allerdings halten sich vorsichtig mit Äußerungen über die Auswirkungen der Rußlandkrise aufs Geschäft in der Öffentlichkeit zurück. Sie befürchten, weitere Kunden zu verlieren, wenn bekannt wird, daß sie in Schwierigkeiten stecken.

Neben der Ernährungswirtschaft, die im vergangenen Jahr für rund 150 Millionen Mark Bier, Käse und Zucker nach Rußland verkauft hat, muß sich auch der Schiffbau auf Schwierigkeiten einstellen. 1997 lieferten die Mecklenburger Ostseewerften noch Tanker und Spezialschiffe im Wert von 180 Millionen Mark nach Rußland, für das laufende Jahr hatten sie ein noch größeres Volumen eingeplant. Allein die Anfang des Jahres von der norwegischen Aker- Gruppe übernommene ehemalige Vulkan-Werft MTW in Wismar baut derzeit für eine Erdölgesellschaft in Murmansk Schiffe mit einem Auftragsvolumen von 160 Millionen Mark. Der Auftrag soll 60 Prozent am gesamten Umsatzes der Werft sichern, so der Plan der nordostdeutschen Schiffsbauer.

„Bis jetzt haben sich die Auftraggeber noch nicht gemeldet“, sagt Pressesprecher Jens Tabel. Eine akute Gefahr für die Abwicklung der Aufträge bestehe also nicht, „aber wir betrachten die Situation mit Sorge“. Da die Tanker aus Wismar extra für die russischen See- und Eisgebiete entwickelt worden seien, könne „man nur hoffen, daß wir sie tatsächlich verkauft bekommen“.

Die Hermes-Versicherung, die für die Schiffbauer bei Auslandsgeschäften wie selbstverständlich dazugehört, zahlt bei einem Ausfall in der Regel nur, was das Unternehmen schon auf die Produktion verwandt hat. Wenn die Russen einen Rückzieher bei der Bestellung der Spezialschiffe machen, müßte der Bau also gestoppt werden. Tabel: „Was das für die 400 Arbeitsplätze bedeutet, die mit dem Auftrag auf der Werft eigentlich gesichert werden sollten, kann man sich denken.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen