: Schmollmund und Robbenkitsch
Rosemarie Trockel wird mit einer Retrospektive in Hamburg und ihrer Berufung für den deutschen Biennale-Pavillon nächstes Jahr in Venedig hoch aufs Schild der Kunst gehoben. Die Wanderschau ihrer Werkgruppen grübelt nun im gepriesenen „Polylog“ ■ Von Ulf Erdmann Ziegler
Sie ist Mitte vierzig, ein englischer Typ mit rötlichen Haaren, und sie weint. Sie sitzt auf einem Stuhl und wird geschlagen, ins Gesicht geschlagen und getreten von einer anderen Frau, die auf englisch irgend etwas schreit, was man nicht verstehen kann. Man hört aber, daß es das Englisch einer Deutschen ist. Die Sitzende wehrt sich nicht.
Es ist Rosemarie Trockel, von der die Presseabteilung des Kölner Verlags Kiepenheuer & Witsch verlauten läßt, sie sei „die zur Zeit international bedeutendste deutsche Künstlerin“. Denn sie wird Deutschland bei der Kunstbiennale von Venedig vertreten, im nächsten Jahr. Im Verlag K & W ist gerade eine Sonderausgabe von Gabriel Garcia Márquez' „Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt“ erschienen, mit „30 kongenialen Illustrationen“ der Künstlerin Trockel.
In dem Dreivierteljahr bis zur Biennale wird eine Ausstellung auf Tournee sein, die eine Übersicht auf Trockels Arbeit (1986–1998) ermöglichen soll, „auf dieses vielgestaltige, in allen künstlerischen Medien gleichermaßen intensiv betriebene und immer wieder rätselhafte Werk“, wie die Museumsleute aus London, Marseille, Stuttgart und Hamburg schreiben. Dort, in Hamburg, hat man ein Stockwerk in der „Galerie der Gegenwart“ für sie freigeräumt.
Bekanntgeworden ist Trockel durch ihre industriell konzipierten Strickarbeiten: zum Beispiel ein auf Leinwand gespanntes Motiv, das ein berühmtes holländisches Kachelmuster zigfach repetiert. Im hellen Sockelbereich des Stoffbilds steht, seitenverkehrt und handschriftlich, das Wort „Freude“ geschrieben. Ein weiteres Bild arbeitet mit der gleichen Reihung, nur daß hier das „Wollsiegel“-Signet erscheint. Es ist aber nicht beim Thema Heim & Herd geblieben: In Skifahrer-Strickmützen erscheinen dann auch das Hakenkreuz und der „Playboy“-Hase.
Sie hat also das weibliche Muster „glückspendender“ Tätigkeit zu einer Waffe gespitzt, die als Kunst ihr Gewicht erhält und dann ironisch, oft aber sarkastisch als Gesellschaftskommentar eingesetzt wird. Fast immer ist auch die Kunst selbst Objekt des Kommentars, zum Beispiel in ihren riesigen Mottenkugeln, die Calders Mobiles und in der aufgeschlitzten Variante Lucio Fontanas beschädigte Monochromie paraphrasieren und verhöhnen; ein Spur sich aber an beiden auch bedienen.
Das macht Trockels Werk schwer zu lesen: Das Gemachte, vom Aquarell über das Foto bis zur Collage aus Quellenmaterial in einer Vitrine, wird nahezu parallel als häusliche (weibliche) Arbeit negiert und als künstlerische (männliche) Arbeit in die Nähe der Karikatur gerückt. Daß es für sie, als Bastlerin und Zeichnerin, einen Konflikt gibt, sieht man am besten in den weißen Emaillebildern, in die nagelneue Herdplatten eingebaut sind: Dort ist die Verarschung von Heim und Kunst auf eine nahtlose Formel gebracht. Das Ergebnis ist ein totes Objekt.
Das Zentrum der Arbeit sind Mann und Frau, oder genauer, die Diskurse und Zuweisungen, die um die Idee der Geschlechter lagern. Eine Arbeit, „B.B.“, macht sich den Umstand zunutze, daß dies die Initialen Brigitte Bardots und Bertolt Brechts zugleich sind. Als riesiges Logo aus grünen Tomaten, die ihrer Reifung entgegen sehen, hat Trockel die Initialen in einem Raum ausgelegt. Ausgehend von einem schwarzweißen Familienbild, das Trockels Schwester (um 1968) als Bardot-Fan in ihrem von Stargesichtern gepflasterten Zimmer zeigt, folgt die Künstlerin den Spuren des Phänomens vom Schmollwunder bis zum Robbenkitsch. Ein Ensemble von Zeichnungen scannt Bardot als Fotorätsel und wendet Brechts Erscheinung in ein Frisurenwunder. Auf einem Fake-Buchtitel erscheint Bardot als Mutter Courage. B.B. ist als Mann Genie und als Frau Produkt der Verhältnisse. So repetiert Rosemarie Trockel die Nachkriegszeit – geboren 1954 in Schwerte –, der sie entwachsen ist.
Das Gegenstück ist eine schwarzweiße Installation über Paare. Sie erscheinen mit der schlichten – und auch anrührenden – Nacktheit von Sexlehrbüchern (um 1975) in allglatten Fotomontagen auf weißem Grund. Gegen die Offizialität ihrer Darstellung spricht das Persönliche ihrer verschränkten Gesten, die die Verliebten verraten. Zentrum ist ein Video, betitelt „Von guter Natur“ (1998), das zwei Paare oberhalb der Hüfte liegend, turtelnd und sprechend zeigt, das eine jünger, das andere älter. Die Strick-, Herd- und Bardotvermutungen über Frauenschicksale sind hier ungültig geworden: Frauen und Männer spiegeln sich in ihrem Begehren, das sie einander in sanfter Art ähnlich macht.
Zeichnung, Tafelbild und Skulptur setzen in diesem Werk mehr Energien frei als Fotografie und Video. So kann man das Plakatprojekt „Beauty“ – geschönte Gesichter vor monochromen Hintergründen – getrost als altkluge Belehrung über die Hohlheit von Idealen beiseite legen. Die Videos aber sind pädagogisch verwahrlost: die Stimmen der Liebenden in „Von guter Natur“ sind nicht verständlich, genauso wie die Stimme der Schlagenden in dem Film, der eingangs erwähnt ist. Dieser ist Teil eines Ecksaals mit vier Projektionsflächen, von denen zwei das Bardot-Thema bereits aufgreifen. Weil man das Gesprochene – auch, aber nicht nur wegen der Überlappung der verschiedenen Tonspuren – fast gar nicht versteht, bekommt man auch keinen Begriff davon, inwiefern gespielt wird, was improvisiert und was geschriebener Text ist; oder genereller: wo Trockel überhaupt hinwill, oder wo sie herkommt. Weder die Kombination der verschiedenen Projektionen noch ihr Modus der Wiederholung, noch die Brechung durch stehengebliebene Bilder hinterläßt irgendeinen spezifischen Eindruck. Schon gar nicht den von genialem Chaos.
Die Wanderschau ist als Retrospektive von Werkgruppen angekündigt, die Trockels Galerie- und Kunstvereinsausstellungen der letzten zwölf Jahre nachvollziehbar machen soll. Sieht man aber genauer hin, stellt man fest, daß die Werkgruppen nicht vollständig sind, auch dort nicht, wo sie es sein müßten. So zeigte sie 1995 in der Galerie Metropol in Wien „Gipsmodelle und Entwürfe“ ihrer Familie: Vater, Mutter, ältere Schwester, jüngere Schwester, sich selbst – der Bezug zur Stadt Sigmund Freuds ist offensichtlich.
In Hamburg findet man den gesichtslosen Vater und die mit verzwiebelten Zügen bis an die Verrücktheitsgrenze gesegnete Mutter. Selbstverständlich vermißt man die Schwestern (besonders die ältere, B.B.-Fan!), vor allem aber doch die Künstlerin „selbst“. Noch weniger verständlich ist, daß ein Video von 1992 „Ohne Titel (Wollfilm)“ nicht auftaucht, in dem der Verlust eines schwarzen Pullovers, Masche für Masche, zur Entblößung der Frau führt, die ihn trägt: In zwei Katalogessays als zentrales Werk beschrieben und in der Station „Opladen“ sehr wohl Teil der avisierten „Werkgruppen“, fragt man sich, warum ein analytischer Blick auf Rosemarie Trockels Werk durch Willkürentscheidungen verstellt wird.
Es mag wohl stimmen, daß Trockels Kunst schwierig ist, mit ihren Ideosynchrasien, ihrem Jonglieren von Stereotypien, mit ihrem sarkastischen Verfahren, Kunstkontexte zu fleddern. Dennoch stimmt die Verliebtheit der Interpreten in die Kleinteiligkeit der Arbeit wunderlich. Da heißt es im Leit-Essay Gudrun Inbodens: „Der Irrgarten der Kunst von Rosemarie Trockel ist rhizomorph angelegt.“ Wilfried Dickhoff: „Der für Rosemarie Trockel spezifische vielfältige Polylog unabgeschlossener Bezüge, Fluchtlinien, Spuren und Differenz-Bildungen kann und soll hier nicht angesprochen werden.“ Birte Frenssen: „Die beinahe surrealen Bezüge bleiben letztendlich offen und schaffen so Raum für immer neue Gedankenspiele und Assoziationen.“ Yilmaz Dziewior: „Gerade der gleichwertige Einsatz der verschiedenen Ausdrucksmittel erschwert eine Interpretation ihres pluralistischen ×uvres.“
Rossignol, ick hör dir trapsen! Offensichtlich zieht Trockels Arbeit jene Interpreten an, die ihre akademische Theorielektion nicht ganz verdaut haben. Insofern löst sie das postmoderne Schicksal von Weiblichkeit ein: festgelegt zu werden auf strukturelle Subversion. Ihre Kunst wird vielleicht doch für hermetischer gehalten, als sie eigentlich ist. Vor allem hat sie deutliche Anschlußstellen zu KünstlerInnen der gleichen Generation: Cindy Sherman, Richard Prince, Haim Steinbach und Fischli/Weiss gewiß, Kippenberger vielleicht. Der Köln-NY-Komplex der achtziger Jahre schimmert durch.
Neben der vielteiligen Installation und der Neigung, Themen zu benennen und zugleich zu zersplittern, gibt es in ihrem Werk nämlich auch die Tendenz, Motive wie Markenzeichen zu strapazieren. Vor allem das Ei: das Ei als Mythos des Ursprungs, als kleinste Formel weiblicher Nützlichkeit, als Osterei, als Produkt der biologischen Fabrik, als Metapher künstlerischer Perfektion.
Vom Modell des idealen Hühnerstalls, in Brüssel 1993 mit echten Hühnern ausgestellt (in Hamburg nur noch als steriler grauer Kasten), war es dann nicht mehr weit zum „Haus für Schweine und Menschen“ bei der zehnten documenta, einer komplexen Allegorie auf das Museum, belebt durch unser grunzendes Ebenbild. Diese Arbeit – ein immenser Erfolg – war allerdings in Kooperation mit Carsten Höller entstanden. Für eine Schau im Musée d' Art Modern de la Ville de Paris, im Januar 1999, ist wieder eine Zusammenarbeit geplant. Trockel/Höller mögen zögern, sich als Künstlerpaar zu definieren, und ihre Werke als einzelne drohen auch nicht zu verschwimmen.
Was die Berufung von Rosemarie Trockel allein für die Biennale von Venedig betrifft, fragt man sich allerdings schon, ob Gudrun Inboden von der Staatsgalerie Stuttgart als deutsche Kommissarin der Biennale nicht etwas zu entschlossen war, eine Künstlerin aufs Schild zu heben. Eine Retrospektive kann ein Beitrag im Pavillon nicht sein; ein Ansatz zu raumfüllenden, suggestiven Arbeiten ist im Werk Trockels für sich zur Zeit nicht auszumachen (auch Mike Kelley übrigens kooperiert, wenn massive Installationen gefragt sind). Die Dekonstruktion von Meisterschaft hat ihre Tücken. Am Ende ist eben doch ein Triumph gefragt.
Rosemarie Trockel: Werkgruppen 1986–1998. Bis 15.11., Hamburger Kunsthalle. Katalog, 34 DM
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