: Für eine Million Mark neue Identität für den V-Mann?
■ Der Berliner Verfassungsschutz gerät wegen seines umstrittenen V-Mannes weiter in Erklärungsnot: Schon zu DDR-Zeiten galt der Stasi-Mitarbeiter als eine „kriminelle Person“
Berlin (taz) – Im Zusammenhang mit der Beschäftigung eines ehemaligen Stasi-Mitarbeiters gerät das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz weiter unter Druck. Wie der Spiegel heute berichtet, galt der beim Verfassungsschutz unter dem Decknamen „Junior“ arbeitende V-Mann bereits bei der DDR-Staatssicherheit als unzuverlässig. So werde der ehemalige IM „Paul Hermes“ in den Stasi-Akten unter anderem als „kriminelle Person“ bezeichnet. Sogar seine eigene Frau habe Mielkes Ministerium davor gewarnt, daß ihr Mann zur Aufschneiderei neige. Darüber hinaus werde in den Stasi-Akten moniert, daß „auch unser Organ mehrfach durch ihn betrogen wurde“.
Dies alles, berichtet der Spiegel, hätten die Berliner Verfassungsschützer bereits seit dem Sommer 1997 gewußt, als über die Anwerbung „Juniors“ entschieden wurde. In einer Vorlage für den Berliner Innenstaatssekretär Kuno Böse (CDU) seien die Stasi- Berichte über den einstigen IM allerdings geschönt worden. Die Stasi-Beschäftigung habe mehr als 20 Jahre zurückgelegen, habe es in der Vorlage geheißen, außerdem habe der Mann niemandem geschadet. Auch der Berliner Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) war nach einer Sitzung des Verfassungsschutzausschusses vorige Woche noch überzeugt davon, daß der ehemalige Stasi-Mann „zuverlässig und nachrichtensicher“ sei.
Nachdem Schönbohm eine Entlassung von Verfassungsschutzchef Eduard Vermander wieder verworfen und lediglich eine Neuorganisierung des Landesamts angekündigt hatte, haben die Grünen einen Mißtrauensantrag gegen den Innensenator ins Parlament eingebracht. Zwar hat die in Berlin mit der CDU regierende SPD signalisiert, daß sie sich dem Antrag „mehrheitlich nicht anschließen“ werde. „Doch an der weiteren Entwicklung des Falls“, so erklärte SPD-Fraktionssprecher Hans-Peter Stadtmüller der taz, „zeigt sich, daß sich der Innensenator geirrt hat.“ Im Gegensatz zu Schönbohms Feststellung sei der Fall eben nicht abgeschlossen. Das genaue Gegenteil sei der Fall.
Weitere Munition gegen den Berliner Innensenator könnten auch die Folgekosten der Beschäftigung des „kriminellen“ und „unzuverlässigen“ V-Manns liefern. Nach einer Focus-Meldung habe die Innenverwaltung bereits signalisiert, daß für eine neue Identität des enttarnten Zuträgers bis zu einer Million Mark zur Verfügung stünden. Damit wäre die Pleiten- Pech-und-Pannen-Serie des Berliner Verfassungsschutzes um einen weiteren Höhepunkt reicher.
Denn mit den beiden ehemaligen V-Männern Volker Weingraber und Christian Hain haben die Berliner weitreichende Erfahrungen in Sachen staatlicher Fürsorge gegenüber V-Leuten gesammelt. Weingraber nutzte eine Zahlung von 450.000 Mark, um sich sein Weingut in der Toskana auszubauen. Und Hain setzte mehrere hunderttausend Mark „Starthilfe“ mit diversen Firmenpleiten in Griechenland in den Sand. Beide V-Leute waren dem Verfassungsschutz im „Fall Schmücker“, dem bisher größten Debakel der Berliner Schlapphüte, zu Diensten.
Für die grüne Fraktionschefin Renate Künast ist die Summe für das Abtauchen „Juniors“ eine weitere Begründung für den Mißtrauensantrag. Entscheidend aber sei, daß „eine so verkrachte Gestalt überhaupt als V-Mann eingesetzt wurde“. Die besten Beweise, daß Verfassungsschutz und Demokratie nicht zusammengehören, sagte Künast, liefere immer noch der Verfassungsschutz selbst. Uwe Rada
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