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Verbindende Ruine

Sechs europäische KünstlerInnen nahmen sich der Dömitzer Eisenbahnbrücke an und gestalteten das deutsch-deutsche Symbol um  ■ Von Hajo Schiff

Die sechzehn das Deichvorland überspannenden Brückenbögen aus genietetem Stahl verlieren sich hinter dem Brückenkastell Richtung Elbe in der Dämmerung, doch unter dem dritten der 33,89 Meter breiten Fachwerkträger strahlt geheimnisvoll blaues Licht hervor. Die Künstlerin Susanne Bockelmann hat unter einem Segment der 1873 eingeweihten und 1945 zerstörten Dömitzer Eisenbahnbrücke fünf Meter lange Röhren gehängt, in denen Neonleuchten die Brückenlinie gespiegelt nachzeichnen.

Es ist die eindrucksvollste Arbeit des Kunstprojekts „zur Brücke“, mit dem sechs Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland, Großbritannien und Polen eine der einst längsten Brücken Europas wieder der Beachtung empfehlen. Die zersprengte Ruine zwischen dem Wendland und Mecklenburg war jahrzehntelang ein Symbol der deutschen Teilung. Pawel Chawinski hat im Brückenhaus und seinen Kasematten ein nachtschwarzes Labyrinth eingerichtet, aus dem etwas sentimental eine strahlend weiße Leiter in den Himmel führt. Monika Ross läßt die zweite Symphonie von Robert Schumann als Bindeglied zwischen zwei Bilderkästen mit Aufnahmen vom Sonnenaufgang im Osten und vom Sonnenuntergang im Westen erklingen, hat die Gedenktafeln verändert und eigene Brückenbriefmarken erstellt. Allgemeiner geht der Londoner Pete Smithson die restriktiv ordnenden Einteilungen der Welt an: Einer seiner auf beide Elbseiten gestellten Kompasse zeigt die Ost- und Westkennung vertauscht.

Das ganze Kunstprojekt wäre allerdings vor zehn Jahren und unter den prüfenden Ferngläsern der Volkspolizei viel intensiver gewesen. Jetzt schleicht sich die Gefahr ein, risikolos ganz auf der Höhe einer abgelaufenen Entwicklung zu sein. Doch vielleicht geht es um mehr als deutsch-deutsche Abgrenzungen zwischen Hannover-Preußen und Mecklenburg, zwischen BRD und DDR. Flüsse gelten traditionell als Grenzlinien, und Brücken stehen immer auch metaphorisch für Verbindung.

Fast zehn Jahre nach der deutschen Einheit betont die Kunst an der zerbrochenen Brücke gerade die Unterschiedlichkeit dessen, was da zusammenwachsen soll. Und es wäre nicht die Republik Wendland, wenn nicht auch bei dieser Gelegenheit die Politik zu Wort käme: Einmal geht es um die Akzeptanz des neugeschaffenen „Nationalparks Elbtalaue“, zum anderen geht es um die Forderung, die Eisenbahnlinie Lüneburg – Dannenberg – Wittenberge – Berlin wieder in Betrieb zu nehmen.

Das tangiert wiederum das Hauptproblem der Region, steht doch der Castor-Verladekran in Breese mitten auf der ehemaligen Bahnstrecke nach Dömitz. Aus welchen Motiven heraus allerdings einer der beiden auf Ost- und Westseite des Flusses aufgestellten offenen Würfel des Thüringer Künstlers Ralf Klement in der Nacht vor der Eröffnung zerstört wurde, bleibt unklar, zumal in der simplen Form keinerlei Provokation zu entdecken ist. Im jetzt zerbrochenen Zustand wirkt sie neben dem letzten, mächtigen Brückenpfeiler nicht weniger: Ein Gerüst für zukünftige Neubauten, real oder zumindest in Gedanken.

Brückenruine: kurz vor der neuen Brücke der B 191 rechts Richtung Kaltenhof abbiegen, bis 20. September, täglich 16-21 Uhr; Katalog 20 Mark; Info 058 61/988 30

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