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Die zweite Moderne der Frauen

Für Christa Wichterich gehören Frauen nicht zu den Gewinnern der Globalisierung, aber sie sind auch nicht nur Opfer. Die teilweise leidvolle Veränderung ihrer Lebensumstände eröffnet ihnen vielmehr neue Handlungsperspektiven  ■ Von Karin Gabbert

Gewinner sind glamourös. Verlierer sind out. Alle wollen dazugehören. Deshalb gelten auch Frauen gerne als Gewinnerinnen der Globalisierung. Nicht nur bei Predigern des Neoliberalismus, sondern auch bei ÖkonomInnen und in Studien der UNO. Das Hauptargument lautet: Frauen sind weltweit Arbeitsplatzgewinnerinnen. Sowohl in den boomenden Exportindustrien der Schwellenländer als auch in den neuen Dienstleistungsbranchen finden fast ausschließlich Frauen Arbeitsplätze. Denn Frauen sind flexibler. Der traditionelle männliche Industriearbeiter dagegen stirbt aus.

In ihrem Buch „Die globalisierte Frau“ nimmt die Soziologin Christa Wichterich diese These auf. Das ist ein kleiner Trick, um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Denn heutzutage würde wohl kaum jemand noch ein Buch darüber lesen, daß Frauen wieder einmal schlecht wegkommen. Dabei beschreibt Wichterich genau dies. Frauen haben zwar, anders als Männer, Arbeitsplätze gewonnen, doch zu viel schlechteren Bedingungen und niedrigerem Lohn. Sie bekommen weltweit 30 bis 40 Prozent weniger bezahlt als Männer. Wo sie angeblich gewinnen – in den arbeitsintensiven Branchen — werden sie regelrecht verheizt.

In Thailand beispielsweise gelten Arbeiterinnen wegen gesundheitlicher Schäden nach fünf Jahren als nicht mehr „effizient nutzbar“. Das ist die Kehrseite der von der UNO konstatierten „Feminisierung der Arbeit“.

Die dramatischen Ausmaße der gleichzeitig stattfindenden „Feminisierung der Armut“ liegen auf der Hand: 70 Prozent der Armen in der Welt sind weiblich. Ihre Zahl steigt schneller als die der Männer. Wohl wegen der Kombination von niedrigem Verdienst und steigender Arbeitslast. Nur ein Drittel der von Frauen weltweit geleisteten Arbeit ist bezahlt. Zwei Drittel leisten sie unbezahlt und ungewürdigt von Wirtschaftsstatistiken. Bei Männern ist das Verhältnis umgekehrt.

Wichterich beschreibt die zerstörerischen Wirkungen der Globalisierung als Durchsetzung des Marktprinzips in jedem Winkel der Welt – bis hin zu der Vermarktung von Pflanzen-, Tier- und Menschenteilen. Sie läßt keinen Zweifel an den negativen Auswirkungen dieser Privatisierung von Natur und Leben, an der Gier nach immer höheren Profiten und dem Wachstum als einzigem Motor von Entwicklung. Weder in den Schwellenländern des Südens noch in den Industrieländern bringe Wachstum Wohlstand für alle, vielmehr verstärke es soziale Ausgrenzungen. Armut und Wachstum seien zwei Seiten derselben Medaille.

Beispiel: Obwohl sich die britische Wirtschaft bis vor kurzem im Aufschwung befand, ist ein Viertel der Bevölkerung arm. 60 Prozent davon sind Frauen.

Wichterich sieht Frauen aber nicht als Opfer; ihr Interesse gilt der Frage, wie sie unter neuen Bedingungen ihr Leben meistern. Einer guten feministischen Tradition folgend, zeichnet sie nicht nur die großen Linien der Weltwirtschaft nach, sondern beobachtet auch, wie sich das Leben einzelner Frauen in vielen Teilen der Welt verändert. Das gerät ihr zwar manchmal ein wenig rasant, aber so kristallisiert sich heraus, was Wichterich „gegenläufige Entwicklungen“ nennt. Die neuen Erwerbsmöglichkeiten – so unsicher sie sein mögen – eröffnen auch die Chance, traditionelle Rollen zu verlassen. Vom Dorf in die Stadt zu gehen, die Familie zu verlassen und „etwas von der Welt zu sehen“, wie es eine Frau in Bangladesch ausdrückt. Manche Frauen suchen jetzt besonders Halt in den alten Werten aus dem Dorf und der Familie. Andere jedoch können die Freiheiten nutzen, die sich zwischen neuer industrieller und alter patriarchaler Fremdbestimmung eröffnen.

Das geht kaum ohne Kämpfe mit den Männern ab: Industriearbeiterinnen in Honduras berichten, daß am Zahltag die Ehemänner vor den Toren der Fabrik warten, um zu kassieren. Manche Männer haben sogar aufgehört zu arbeiten, seit die Frauen Geld verdienen – ohne deswegen die Hausarbeit zu übernehmen, versteht sich. Durch die Globalisierung entstehen also weibliche Spielräume und Aufstiegsmöglichkeiten. Doch an der Machtverteilung zwischen den Geschlechtern – egal ob auf wirtschaftlicher oder persönlicher Ebene – ändert sich nichts. Wichterich zeigt differenziert, wie sich diese Benachteiligung modernisiert.

Der gemeinsame Nenner der Benachteiligung, den Wichterich zwischen den Frauen der Welt herstellt, mag altmodisch erscheinen. Doch gerade damit hebt sie sich wohltuend vom modischen Gerede ab, das einfach alle zu möglichen Gewinnern erklärt. Denn die andere Seite dieser Botschaft lautet ganz altmodisch: Wer verliert, ist selber schuld.

Christa Wichterich: „Die globalisierte Frau“. rororo aktuell, Reinbek bei Hamburg 1997, 253 Seiten, 14,90 DM

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