: „Abschreiber kastriert“
In seltener Einigkeit wollen alle großen Parteien die Sonderabschreibungen für Immobilien abschaffen. Investoren beeilen sich, noch schnell steuersparend zu bauen ■ Von Annette Jensen
Als Beamter beriet Thomas Kaligin jahrelang die CDU und CSU zu Steuerfragen. Heute sorgt er dafür, daß die öffentlichen Kassen möglichst leer bleiben. „Ich habe seit 1991 keine Steuern gezahlt. Und ich helfe Leuten dabei, Steuern zu verhindern“, sagt der Mann, der es an Redegeschwindigkeit mit Dieter- Thomas Heck aufnehmen kann und auch ansonsten über die Qualitäten eines Showmasters verfügt. „1998 noch mal zuschlagen, sich die Kanne vollhauen mit vernünftigen Objekten und dafür keine Steuern zahlen. Und dann erst einmal abwarten und Tee trinken“, rät er seinem fast ausschließlich männlichen Publikum, das sich im noblen Berliner Adlon- Hotel versammelt hat.
1.800 Mark haben die rund dreißig Teilnehmer gezahlt, um an diesem Tag auf der Veranstaltung des „Management circle“ (Slogan: „Bildung für die Besten“) zu erfahren, wie der Fiskus wohl nach der Bundestagswahl mit Abschreibungsmöglichkeiten für Immobilien umgehen wird. Kaligin findet reiche Zustimmung bei seiner Einschätzung, daß die „Immobilien auf die Schlachtbank“ und „Abschreiber kastriert“ werden sollen – egal, wer Ende September die Bundestagswahl gewinnt. Denn selbst die CDU garantiert nicht mehr riesige Subventionen für reiche Menschen, die ihre Steuerschuld senken wollen, indem sie mehr oder weniger sinnlose Bauprojekte in die Landschaft stellen – ganz einfach, weil das nicht mehr bezahlbar ist.
Also gilt es für die Investoren, schnell zu sein: „Sonderabschreibungen Ost – Die letzte Chance“ titelt die Wirtschaftswoche auf ihrer aktuellen Ausgabe – und gibt ihren Lesern Tips, wo die besten Renditen winken, „kleine Städte vorn“.
Abschreibungsberater Kaligin prophezeit massive Jobverluste in der Bauindustrie, denn ohne Abschreibungsmöglichkeiten würden die Reichen anderswo investieren. Tatsächlich tickt der Immobilienmarkt anders als der Rest der Wirtschaft. „Eine natürliche Person als Investor paßt nicht zum Objekt“, erleutert Bernd Bartholmai vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Denn während sich andere Geldanlagen spätestens nach zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren amortisiert haben, wird ein durchschnittliches Wohnhaus etwa hundert Jahre lang genutzt. Entsprechend geringer, dafür aber auch langanhaltender ist die Rendite. So können Wohnungsbesitzer heutzutage ohne staatliche Hilfe allenfalls mit einem jährlichen Gewinn von vier Prozent rechnen; woanders vermehrt sich das Geld einfach schneller.
Um den Wohnungs- und Bürobau vor allem im Osten anzukurbeln, half die Bundesregierung massiv nach. Bis Ende 1996 konnten für Neubauten den ersten fünf Jahren bereits 50 Prozent der Investition abgeschrieben werden – die sogenannte Sonder-AFA. In Westdeutschland waren die Sätze zwar mit 55 Prozent in vierzehn Jahren moderater, aber immer noch sehr günstig. Konsequenz: Der Immobilienmarkt boomte. Viele Objekte insbesondere im Osten wurden jedoch völlig am Bedarf vorbeigeplant und stehen nun leer. Doch für die Investoren ist das nur selten tragisch. Schließlich können sie die Verluste, die ihnen durch Mieten, die den Aufwand für Bankkredite oder Reparaturen nicht decken, mit positiven Einkünften verrechnen und so erneut ihre Steuerschuld senken.
Die Einkommensteuerstatistik von 1992, neuere Daten liegen bis heute offiziell nicht vor, weist Verluste aus Vermietung und Verpachtung von 43,5 Milliarden Mark aus – in jedem zweiten Einkommensteuerfall ging der Fiskus leer aus. Steuerexperten sind sich einig, daß sich diese Tendenz nach 1992 noch extrem verstärkt hat. Die SPD plant deshalb, die Verrechenbarkeit von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung zu beschränken. Nur noch ein Minus bis zu einer „Bagatellgrenze“ von 100.000 Mark pro Person soll vollständig geltend gemacht werden können. „Eine künstliche Verlusterzeugung, so wie in den letzten Jahren, ist nicht sinnvoll“, sagt Gernot Mittler, Staatsminister in Rheinland-Pfalz und Autor des SPD-Konzepts.
Die Teilnehmer des Berliner Kongresses sind natürlich empört über solche Pläne – insbesondere weil Mittler die hohen Abschreibungssätze sofort abschaffen will. Ursprünglich sollten die noch für mehrere Jahre gelten. „Viele Objekte sind so kalkuliert, daß sie die Sonder-AFA erst in den kommenden Jahren nutzen.
Da muß es doch Vertrauensschutz für Investoren geben“, fordert ein Zuhörer und prophezeit „reihenweise Konkurse“. Doch Kaligin dämpft die Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht. Mehrfach entschieden die höchsten Richter, daß so eine „unechte Rückwirkung“ bei Steuerfragen zulässig ist.
Die CDU will ihr Petersberger Programm recyceln, sollte sie noch einmal ans Ruder kommen. Danach soll parallel zu einer Senkung der Einkommensteuersätze die jährliche Abschreibung für Immobilien auf drei Prozent begrenzt werden. Dafür gibt es einen neuen Fördertopf für den Osten: zehn Prozent Zulage für neue Mietshäuser in Innenstädten. Und für die Modernisierung von Wohnungen und Einfamilienhäusern gibt es ebenfalls Zuschüsse. Läßt die angekündigte Steuerreform noch länger auf sich warten, gibt es für die Immobilienwirtschaft somit zunächst einen doppelten Geldsegen: Noch immer günstige Abschreibungssätze für die kommenden Jahre – plus das bereits beschlossene Fördergeld.
Die FDP plädiert dafür, sich für mögliche Einkommensausfälle durch mehr „Vertragsfreiheit zwischen Mietern und Vermietern“ zu revanchieren. „Wenn der Markt voll genug ist, steigen die Mieten nicht in den Himmel“, meint der Bundestagsabgeordnete Hildebrecht Braun.
Die Bündnisgrüne Franziska Eichstädt-Bohlig plädiert dagegen für einen Ansatz, der vom Bedarf ausgehe. Die Steuersparmodelle hätten sowohl Baukosten als auch Bodenpreise in die Höhe getrieben – und damit auch die Mieten.
Während die durchschnittlichen Einkommen seit 1991 um achtzehn Prozent gestiegen sind, schnellten so die Kaltmieten um ein Drittel in die Höhe. Eichstädt-Bohlig will Steuererleichterungen streichen und sie zum Teil durch direkte Investitionshilfen und günstige Darlehn ersetzen. Ihre Hoffnung: Die Bauherren haben ein Eigeninteresse an niedrigen Herstellungskosten und daran, Mieter für ihre Objekte zu finden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen