: Ein Mann, nicht geeignet für Schlagzeilen
Im Kabinett einer Schröder-Regierung soll Rolf Schwanitz Beauftragter für Ostdeutschland werden. Er ist ein Mann der leisen Töne. Nur bei einem Thema wird Schwanitz konkret: Keine Koalition mit der PDS ■ Aus Bonn Markus Franz
Rolf Schwanitz hat es so gut gemeint. Zum ersten Mal hat der SPD-Bundestagsabgeordnete aus Plauen bei einer Wahlkampfreise nicht den Fahrdienst des Bundestages engagiert, sonderen ganz bewußt einen aus seiner Heimat. Und jetzt läßt der Fahrer schon 20 Minuten auf sich warten. Wahrscheinlich hört er in der Chemnitzer Stadthalle noch SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder zu.
Als der Fahrer endlich erscheint, sagt Schwanitz, der die ganze Zeit über ruhig geblieben war, nur: „Sie machen mir vielleicht Spaß.“ Der Mann, der gute Aussichten hat, Regierungsmitglied im Kabinett Schröder mit Zuständigkeit für Ostdeutschland zu werden, hält nichts von lauten Tönen.
Im Gegensatz zu Schröders anderen Überraschungskandidaten für Ministerjobs, Jost Stollmann und Michael Naumann, scheint es, als fiele er am liebsten gar nicht auf. Obwohl zusammen mit Gerhard Schröder auf Wahlkampftour, hält er sich wie ein Passant artig abseits, wenn sich die Kamerateams um Bilder des Kanzlerkandidaten prügeln. Und deshalb wundert es auch nicht weiter, wenn einer aus dem Troß von Schröders Begleitern auf Schwanitz zeigt und fragt: Wer ist das überhaupt?
Bei der SPD sind die Meinungen über den Newcomer aus Sachsen nicht gerade euphorisch. „Ja, der Schwanitz ... fleißig, nüchtern, sachlich.“ Schwanitz? „Der kommt doch aus Sachsen. Ist in allen ostdeutschen Fragen sehr kompetent. Wird aber Zeit, daß der mal aus seiner Sektenecke rauskommt.“ Und in den wenigen Presseberichten, in denen seine Person beschrieben wird, heißt es immer wieder: „Blaß“, „profillos“, „ohne Ecken und Kanten“.
Selbst in Hintergrundgesprächen mogelt sich der 39jährige bei umstrittenen Themen um Stellungnahmen herum, die Aufmerksamkeit erregen könnten. Über Stollmann hat er „noch keine Klage im Wahlkampf gehört“. Was er selbst von ihm denkt, bleibt ungewiß. Zu Schröders Anmaßung, der Wirtschaftsaufschwung habe auch mit ihm zu tun, behilft sich Schwanitz mit der Antwort: „Kein Widerspruch zu dem, was Schröder sagt.“ Das läßt offen, ob er ihm recht gibt oder ihm nur nicht widersprechen will.
Häufig sind seine Stellungnahmen einfach zu differenziert und lassen sich zu wenig für eine Seite vereinnahmen, um Beachtung zu finden. Als er in Plauen gefragt wird, worauf es in Zukunft bei der Politik für Ostdeutschland ankommt, sagt er: Die Westdeutschen müßten auf unbestimmte Zeit weiter zahlen, und die Ostdeutschen dürften nicht auf baldige Lohnangleichung setzen. „Die einen müssen solidarisch sein, die anderen müssen aushalten.“ Und wenn man ihn fragt, was sich für die Ostdeutschen unter einer SPD-Regierung zum Positiven ändert, verspricht er lediglich, daß keine weiteren Abstriche gemacht werden.
Bei einem Thema wird aber selbst einer wie Rolf Schwanitz unmißverständlich: Wenn es um das Verhältnis der SPD zur PDS geht. Die PDS bezeichnet er als „Heimatvertriebenenverband“, der weit davon entfernt sei, eine Reform- geschweige denn eine Linkspartei zu sein. Bei anderen klänge das vielleicht polemisch. Aber Schwanitz sagt es nicht spöttelnd, sondern in seiner unaufgeregten, sachlichen Art. Das Gemeinschaftsgefühl der Verlierer der Einheit, begründet er, ist die „stärkste Ausbildung“ der Partei. „Diese Heimatkomponente ist nicht kompatibel mit dem Reformanspruch.“
Im Januar 1997 lief der Vorsitzende der Querschnittsgruppe Ost für seine Verhältnisse geradezu Amok. SPD-Vize Wolfgang Thierse hatte in einem Strategiepapier die Meinung vertreten, Koalitionen zwischen SPD und PDS auf Landesebene sollten nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Schwanitz konterte öffentlich mit einem fünfseitigen Thesenpapier, das in dem Vorwurf „politischer Naivität“ gipfelte. Thierse, so Schwanitz, manövriere die SPD in eine „Sackgasse“. Die PDS sei nicht koalitionsfähig: wegen noch vorhandener kommunistischen Grundwerte und dem ungeklärten Verhältnis zur Demokratie.
Schwanitz stammt aus einer Familie mit sozialdemokratischer Tradition. Sein Großvater war Landtagsabgeordneter für die SPD. Der Vater war Rechtsanwalt, und als Sohn eines Rechtsanwalts in der DDR, sagt Schwanitz, hat er zwangsläufig einen „geschärften Blick“ auf die Realität in der DDR gehabt. Durch den häufig „tief frustrierten“ Vater bekam er mit, wie skrupellos Staatsanwälte mit den Angeklagten umgingen, wie Rechte des Verteidigers beschnitten wurden und wie die Unschuldsvermutung umgekehrt wurde. Dennoch wollte er sich einrichten.
Als er zum Jurastudium nicht zugelassen wurde, war er schon „drauf und dran, eine Stelle in einem Museum anzunehmen, in dem sein Schwiegervater Direktor war. „Das wäre ein wunderschönes Leben gewesen.“ Aber dann kämpfte er sich doch durch alle Instanzen, um wenigstens im Fernstudium Jura machen zu können.
Schwanitz spricht nie abfällig von der DDR, lediglich kritisch. „Natürlich“, sagt er, „natürlich haben wir uns eingeschnürt gefühlt“, als komme er erst in der Nachbetrachtung zu dem Ergebnis, man habe sich selbstverständlich eingeschnürt fühlen müssen. Als er bei der Fahrt durch Plauen Plakate mit der Ankündigung eines Konzertes des Rocksängers Bob Geldof sieht, ruft er aus: „Ist das nicht toll, daß es das jetzt hier gibt? Früher war das undenkbar.“ Es folgt eine begeisterte Schilderung von Fernsehabenden mit dem „Rockpalast“. Zu den Aufmüpfigen im Staat gehörte Rolf Schwanitz nicht. Er kann gar nicht oft genug betonen, nicht selbst „zum politischen Widerstand gefunden“ zu haben.
Er nimmt für sich in Anspruch, „die PDS ganz nüchtern zu sehen“. Dennoch reagiert er bei keinem Thema emotionaler, was nicht bedeutet, daß er plötzlich lauter würde oder heftiger gestikulierte. Er wird nur kritischer, konkreter, weniger zurüchaltend. „Wenn die Westdeutschen mit den PDS-Leuten von der Basis Kontakt hätten“, sagt er, „wären die Ressentiments viel größer.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen