„Schlimmer als tot, nämlich wie tot“

■ Heuchler und Metzger: Martin Kusej eröffnet die Thalia Spielzeit mit Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald, wo Mord tugendhafter als ein uneheliches Kind ist

Schwächere aus Frust niederzutrampeln war schon immer ein beliebter Zeitvertreib. In Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald treten etliche Personen auf, denen dieses Hobby zum Lebensinhalt geworden ist. Der sadistische Metzger Oskar, Heuchler Alfred, eine bigotte Großmutter – an der schönen blauen Donau regieren Erpressung, Bosheit und eine Moral, die Mord für tugendhafter hält als die Erziehung eines unehelichen Kindes. An dessen Mutter Marianne erfüllt sich Horváths Spruch „Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber furchtbar klein“ am perfidesten: Nach einem gescheiterten Ausbruchsversuch muß sie den grausamen, langwierigen Ehetod erleiden.

Das „Volksstück“, mit dem das Thalia Theater an diesem Wochenende die neue Spielzeit eröffnen wird, war seinerzeit ein Meilenstein in der Entwicklung des modernen Dramas. Systematisch wurde hier die Zerstörung von Operettenklischees betrieben, alltägliche Brutalität im Idyll entlarvt. Nach der Uraufführung 1931 bekam Horváth den Kleist-Preis, die damals wichtigste literarische Würdigung. Der deutsch schreibende Ungar starb 1938 im Pariser Exil.

Regisseur Martin Kusej sind Horváths Dramen geläufig. 1990 inszenierte er bereits Glaube Liebe Hoffnung, 1995 Die Unbekannte aus der Seine. Anspruchsvolle Volksstücke sind einer seiner Arbeitsschwerpunkte – nicht der einzige. Der 37jährige Kärtner hat zunächst Deutsch und Sportwissenschaften studiert und spielte in der österreichischen Handball-Bundesliga. Das anschließende Regie-Studium sei ein Zufallstreffer gewesen, habe sich jedoch für ihn zum optimalen Beruf entwickelt. Seit 1987 inszenierte er unter anderem in Graz, Ljubljana, Wien, München, Stuttgart und Berlin. Er verfaßt Texte für Theaterprojekte, und neben der Arbeit an großen Häusern realisierte er mit der Gruppe my friend martin diverse Produktionen „unabhängig von der Guckkastenbühne“, zum Beispiel auf dem Wasser oder zu Lande auf einem LKW.

Für die Horváthschen Figuren aus dem 8. Wiener Bezirk hat nun das große, bewährte Ensemble des Thalia Theaters etwas mehr Platz als eine Ladefläche. Martin Kusej hat für sie ein eigenes Motto entwickelt: „Schlimmer als tot, nämlich wie tot.“ Halbtot und erstarrt, suchten sie auf Teufel komm raus ihr Glück, seien aber zu dumm, um es zu finden – in der Tat ein zeitloses Thema.

Barbora Paluskova

Premiere: Samstag, 19. September, 20 Uhr, Thalia Theater