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Ein Herz für Schlupflöcher

Europaparlament stimmt heute über seine Position zum Kioto-Protokoll ab. Beschlußvorlage gäbe Umweltsündern freie Hand, den Klimaschutz auszutricksen. Kritiker sehen darin einen „Kniefall“ vor den USA  ■ Von Matthias Urbach

Berlin (taz) – Die Entscheidung kam überraschend: Vor zwei Woche erarbeitete der Umweltausschuß des Europäischen Parlaments (EP) eine Beschlußvorlage für eine Klimaschutz-Erklärung, die eine komplette Umkehr der bisherigen Position des Parlaments bedeuten würde. Heute wird das EP darüber abstimmen, ob es vom endgültigen Klimaschutz-Protokoll „ein höchstmögliches Maß von Flexibilität einschließlich dem Handel von Emissionsrechten“ verlangen will. Was harmlos klingt, gehört zu den großen Schlupflöchern im Klimaabkommen von Kioto. Der Ausgang der Abstimmung ist noch unklar.

Für jedes Industrieland wurden vergangenen Dezember Quoten festgelegt, um die der Ausstoß an klimaschädlichen Gasen vermindert werden muß. Schafft ein Land eine stärkere Minderung, soll es, so der Wunsch der USA, anderen Ländern erlauben können, entsprechend mehr ausstoßen zu dürfen – gegen Bares, versteht sich. Diese Emissionsrechte sollen handelbar sein wie Aktien.

In Kioto hatte die EU noch gegen diesen Plan gehalten. Der Grund: Es ist absehbar, daß sowohl Rußland als auch die Ukraine aufgrund des Zusammenbruchs der Schwerindustrie weniger ausstoßen als erlaubt. Staaten wie die USA und Australien könnten sich dort von ihren Klimaschutzverpflichtungen freikaufen.

Bundesumweltministerin Angela Merkel hatte schon in Kioto klargemacht, daß sie den Handel ablehnt. Als Kompromiß sei lediglich die Erlaubnis denkbar, bis zur Hälfte der nationalen Verpflichtungen durch Emissionshandel zu decken. Auch das Europaparlament hatte noch im Frühjahr beschlossen, der Handel dürfe „eine Ergänzung“, aber „kein Ersatz“ für Klimaschutz zu Hause sein.

Doch im Umweltausschuß war davon nichts mehr zu spüren. Ein Antrag der Grünen, den Emissionshandel auf maximal ein Viertel der nationalen Verpflichtungen zu begrenzen, wurde rundweg abgelehnt. Sowohl der konservative potugiesische Abgeordnete Carlos Pimenta als auch der Ausschußvorsitzende Ken Collins von der britischen Labour-Partei sprachen sich für eine flexible Formulierung aus, um den US-Kongreß von seiner Ablehnung abzubringen.

Für das grüne Umweltausschußmitglied Hiltrud Breyer ist die Vorlage schlicht „ein Kniefall vor den Interessen der USA“. Auch Umweltverbände sind „bestürzt“. „Es macht keinen Sinn, den US-Kongreß zu überreden, indem man dem Protokoll alle Substanz nimmt“, schreiben Helmut Röscheisen vom Deutschen Naturschutzring und Jürgen Maier vom Forum Umwelt und Entwicklung in einem Brief an alle EP-Abgeordneten, „und es in ein perverses Instrument umwandelt, um weiter wachsende Emissionen zu legitimieren.“ Sie fürchten vor allem, daß ein solcher Beschluß die Verhandlungsposition der EU schwächt, wenn im November in Buenos Aires um die Details des Kioto-Protokolls gefeilscht wird. Allerdings ist auch unter den Fachministern der EU die Ablehnung des Emissionshandels längst nicht mehr einhellig. Einem Antrag Dänemarks, ihn auf die Hälfte der nationalen Verpflichtung zu begrenzen, stimmten auf einem informellen Ministertreffen nur Österreich und Deutschland zu.

Jetzt scheinen manch EU-Abgeordneten die Konsequenzen zu dämmern, die die Beschlußvorlage für den Umweltschutz hätte. „Das wird repariert“, kündigte ein Sprecher der Sozialdemokraten an.

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