Claudia Nolte vergeblich auf der Flucht

Die Bonner Familienministerin hat keine ruhige Minute mehr. Wo auch immer sie auftaucht, es gibt nur noch ein einziges Thema: Ihr „Versprecher“, daß die Union nach der Bundestagswahl die Mehrwertsteuer erhöhen will  ■ Aus Bonn Markus Franz

„Sie kommt“, ruft einer der Journalisten ganz aufgeregt. Gespräche verstummen, die Blicke wenden sich dem Eingang der Bonner Beethovenhalle zu, das Bataillon der Kameraleute ist ohnehin schon seit einer Stunde in Positur. Erwartet wird Frauenministerin Claudia Nolte, die das Internationale Jahr der Senioren 1999 eröffnen will.

Zügig und auf direktem Wege geht die 32jährige auf die Wartenden zu, bleibt stehen, lächelt scheu und erwidert auf irgendeine Frage zur Mehrwertsteuererhöhung (denn worum sonst sollte es an diesem Donnerstag gehen?): „Es war ein großer, großer Irrtum von mir. Das ist sehr, sehr ärgerlich für mich.“ Dabei wirkt sie ehrlich zerknirscht über ihren „Versprecher“ am Montag abend.

Ob es irgendwelche Konsequenzen geben wird, fragt einer nach. Schließlich hat die jüngste Ministerin seit Bestehen der Bundesrepublik den Kanzler nicht zum ersten Mal in Schwierigkeiten gebracht. Kurz vor der Jahreswende forderte sie eine Änderung des Abtreibungsgesetzes, falls die Zahl der Abtreibungen nicht zurückgehen sollte. Kohl pfiff die Frau, in der er die „Vorstellung von einem jungen Menschen verkörpert sieht“, zurück.

Angesichts der vielen Journalisten atmet Nolte tief aus: „Jetzt möchte ich mich gerne dem eigentlichen Grund meines Kommens widmen.“ Dann geht sie zur Pressekonferenz. Natürlich ist die Ministerin nervös. Bei ihrem kurzen Vortrag ruckt sie mit dem Kopf, hüstelt und liest ihre Rede monoton ab. Bei der Fragerunde danach ergeht es ihr auch nicht besser als dem amerikanischen Präsidenten Bill Clinton am Mittwoch in Washington. Bei einer Pressekonferenz mit Václav Havel stellte eine Journalistenveteranin zu Beginn eine Frage zum Flüchtlingselend im Kosovo. Dann ging es nur noch um Monica Lewinsky. Ähnlich bei Nolte. Ein älterer Journalist fragt belanglos zum Jahr der Senioren. Die zweite Frage lautet: „Steht diese Veranstaltung im Zusammenhang mit Ihren Äußerungen zur Mehrwertsteuererhöhung?“ Und die dritte: „Was sagen die Rentner zu Ihren Steuerplänen?“

Claudia Nolte reagiert nicht ungehalten, eher wie jemand, der durch eigenes Verschulden in die Enge getrieben ist: „Ich habe mich geirrt“, sagt sie wieder, und diesmal fast flehentlich: „Ich selbst ärgere mich am meisten darüber. Aber es muß doch möglich sein zu akzeptieren, daß ich zwar einen Fehler gemacht habe, ihn aber zugegebe.“

Auf den Fluren sind sich die Journalisten einig: Frau Nolte hat Pech gehabt, sie hat die Wahrheit gesagt – aber zum völlig falschen Zeitpunkt. Der FDP-Vorsitzende Gerhardt habe doch gestern selbst zugegeben, daß die Koalition die Mehrwertsteuer erhöhen wollte. Und hat Schäuble nicht erst am Abend wieder angedeutet, daß die Mehrwertsteuererhöhung anstehe, wenn die Steuersätze in der Europäischen Union angeglichen würden?

Und dann schleichen sich die Journalisten an Claudia Nolte heran, machen ein nettes Gesicht, lächeln freundlich und sagen: „Wir wissen noch nicht, ob wir diese Sache noch mal aufwärmen ... tut uns ja auch leid ... aber könnten Sie nicht doch noch mal zur Mehrwertsteuer ...?“

Die gebürtige Rostockerin hört sich die Fragen immer und immer wieder an, wird nicht unwillig, gibt ähnlich lautende Antworten. Selbst Journalisten, denen sie zu vertrauen scheint, denen sie warm an den Ärmel greift, denen sie mit herzlicher Stimme begegnet, erfahren nicht viel mehr von ihr. Nicht die leiseste Andeutung, daß ja schließlich ihre Äußerung vor drei Tagen so falsch gar nicht gewesen ist. Sie hat den Fehler gemacht. Basta!

Nur einmal setzt sich die Frau, die der Spiegel als „tugendsam und machtbewußt“ beschrieben hat, kurz von den Presseleuten ab. Ihr Sprecher reicht ihr den Lippenstift und steckt ihn wieder in seine Jackentasche. Auf zur nächsten Runde. Kommentar Seite 12