: Ich bin Kanaka! Ich bin Happy-Kanaka!
Die Kanaken kommen! Nein, sie sind da. In seinem Buch „KanakSprak“ ließ der Autor Feridun Zaimoglu 1996 türkische Jungmänner wortgewaltig über Deutschland herfallen. Mit nachhaltigem Echo. In seinem neuen Buch „Koppstoff“ ziehen nun die Turkmaninnen vom Leder: in Feridunischem Stakkoto stilisier Protokolle von hier lebenden Türkinnen über ihre Haßliebe zu diesem Land. Sie wollen raus aus den Nischen – mit Groove, Sex und Spaß! Ob die „Sprengt die Ketten“-Attitude der von Zaimoglu ausgerufenen Kanak-ewegu die Republik erschüttert, sei dahingestellt. Jedenfalls dokumentiert sie Befindlichkeiten und ein neues Selbstbewußtsein. Ein Gespräch mit Feridun, Çagil und Belhe über weibliche Subjektformation ■ Von Edith Kresta und Eberhard Seidel-Pielen
taz: In deinem Buch „KanakSprak“ hast du Türkmänner porträtiert. In deinem neuen Buch „Koppstoff“ porträtierst du weibliche „Kanakstas“, sprich türkische Frauen. Hast du nun, politically correct, das weibliche Universum entdeckt?
Feridun: Es ist keine Fortsetzung im Sinne von „Das Imperium schlägt zurück“. Vielmehr biete ich eine Plattform, auf der sich die unterschiedlichsten Frauen, vor allem junge Frauen, darstellen können. Und wenn ich von einer Kanak-Bewegung oder von der neuen Auffälligkeit der zweiten oder dritten Generation spreche, habe ich nie einen Hehl daraus gemacht, daß die Kanakstas ein unverzichtbarer Bestandteil dessen sind.
In deinem Buch kommen nicht nur jüngere Frauen, sondern auch ältere Frauen vor. Was ist für euch ein Kanake oder eine Kanaka?
Feridun: Das hat weder mit dem Alter noch mit der Nationalität zu tun, sondern mit einer andersartigen Denkweise. Wenn ich sage, ich bin Kanake, dann bin ich einfach anders.
Belhe: Man macht sich mit diesem elendigen Schimpfwort stark, weil ich genau darauf setze, was eigentlich ein Minus darstellt. Ja, ich bin Kanake oder Kanaka. Mir geht's gut. Ich bin happy Kanaka.
War es schwer, ins Kanaka-Universum einzudringen?
Feridun: Ich wollte nicht den voyeuristischen Blick bedienen, von wegen gestern die Kopftuch-Ayses und heute die junge weibliche Brut, die aus ihren Löchern kommt. Allerdings ist es schwierig, Frauen nach ihrem Privatleben, ihrer Sexualität zu befragen. Aber, und das ist großartig: diese Frauen kamen auf mich zu.
Belhe, kannst du mit der von Feridun stilisierten Form deines Porträts leben?
Belhe: Aber nur, aber nur. Ich finde es als Frau sehr schwierig, in diesem Land zurechtzukommen.
Warum?
Belhe: Es ist erstens wetterbedingt kühl, und zweitens sind die Menschen unterkühlt. Es fehlt Wärme. Wie kommt es, daß Leute wie ich so darunter leiden?
Ja, wie kommt's?
Belhe: Na ja, weil ich ein anderes Feuer unterm Arsch habe.
Wie brennst du?
Belhe: Ich lache gern lauter, ich bin lebhafter und bin verwundert, daß hier alles in einem niedrigen Ton gesprochen wird. Ich sage, Mensch, mehr Mut zu dem, was die eigene Wahrheit ist, zu dem, was ich will: die Sehnsucht umsetzen.
Çagil, anders als bei Belhe hat dich der Meister mit deinen eigenen Worten in sein Buch aufgenommen...
Çagil: ...ich habe mich irgendwann an den Computer gesetzt und geschrieben.
Was hat dich getrieben?
Çagil: Du bist anders, du bist nicht so wie die anderen Türkinnen, wurde mir gesagt. Habt ihr eine Ahnung! Ihr wißt doch überhaupt nicht, wie ich bin. Ab und zu kommt mal einer und fragt, was hörst du für Musik, und was machst du sonst so. Das sind so Fragen, da kann man mit einem Satz antworten. Wenn du noch mehr sagen willst, hört keiner mehr zu. Die wollen gar nicht wissen, wie ich bin.
Wer sind „die“?
Çagil: Deutsche allgemein. Das wurmt. Man möchte die ganze Zeit sagen, ich habe soviel mehr zu erzählen, warum hört keiner zu, warum ist das so uninteressant?
Wo ist das anders?
Çagil: In „KanakSprak“. Das Buch war für mich eine Erleuchtung. Ich habe gedacht, mein Gott, endlich hat es jemand ausgesprochen. Unverblümt, so wie er denkt.
Und du hast dich im Buch wiedergefunden?
Çagil: Die Meinung dieser 25 Leute, die in „KanakSprak“ porträtiert sind, kennt man, und man denkt genauso. Aber man weiß auch, daß diese Meinung niemals raustritt aus dem Ghetto. Und Ghetto ist nicht Kreuzberg, ist nicht ein bestimmter Ort, sondern Ghetto ist, wo wir immer wieder hingebracht werden. Ein Deutscher hat die Möglichkeit, Popper zu sein oder Rocker zu sein, der zieht sich 'ne Lederjacke an, dann ist er ein Rocker. Ein Türke, der hat nicht die Wahl, der ist eben Kanake. Und das stinkt mir.
Oberflächlichkeit, Vorurteile, Lebensversicherung, Schmusewolleleben, Designermöbel, Fruchtquark – so wird der Deutsche in „Koppstoff“ charakterisiert. Ist er so?
Feridun: Damit wir uns richtig verstehen, ich spreche immer in einer drastischen Sprache von der Scheißhauspersönlichkeit. Mein Eindruck von all den Kanakster, Deutschländerinnen, Türkinnen war, daß sie auf ihr Recht auf Individualität pochen, auf ihr Anderssein.
Was ist anders? Das Feuer unterm Arsch?
Feridun: Nein, nein. Belhe spricht von einer Oberflächlichkeit. Sie bemängelt, daß Deutsche und Türken nicht verschmelzen, daß man nicht zusammen feiern kann, daß man sich nicht wirklich öffnet füreinander und nicht nur sagt, ach, du trägst kein Kopfuch, vielleicht bist du ja anders. Es gibt dieses Schubladendenken. Dagegen sind wir.
Alles, was du sagst, ist keine spezifische Kritik der Kanakstas. Seit 1968 kritisiert man das spießige, kleinbürgerliche Leben – zuwenig Spannung, zuwenig Aufregung, zuwenig Nähe, zuwenig Sex.
Feridun: Aber hallo, es ist spezifisch. Frag irgendeine x-beliebige Türkin in Kreuzberg, wie sie sich fühlt. Sie wird dir zehn Mängel aufzählen, allerdings wird sie dir diese nicht auf die Nase binden. Sie alle eint, in der Liga der Verdammten zu spielen.
Und du sprengst die Ketten?
Feridun: Man kann darüber lachen und das für verschmuste Sozialromantik halten. Es geht doch darum, daß man zum Kanaken gemacht wird, und wenn man den Deckel hebt, zischt es, kommt Aggression raus.
Die Botschaft deiner Bücher lautet: Alemannenland wird abgebrannt, Türken raus aus dem Ghetto. Fühlst du dich tatsächlich als Malcolm X der Türken, wie dir das Feuilleton schmeichelt?
Feridun: Ich gehöre nicht zu den beleidigten Knoblauchwürsten, die sagen, was macht die Journaille mit mir. Ich typologisiere. Wenn ich sage Abiturtürke, klingelt es bei meinen Leuten, auch bei meinen deutschen Brüdern und Schwestern. Ich spiele damit. Ich bin ja selbst ein großartiger Abiturtürke...
...der das revolutionäre Subjekt entdeckt hat?
Feridun: Nein, das habe ich nicht. Es geht nicht darum, den ulkigen Revoluzzer zu spielen. Es geht mir um Subjektformation. Ich verweise darauf, daß bis jetzt die Migrantinnen und Migranten immer Objekte der Migrationsforschung waren. Ich gebe ihnen selbst das Wort.
Wenn die weibliche Subjektbildung durch deine männliche Sprache stilisiert wird, kann man das weibliche Subjekt nur schwer erkennen.
Çagil: Was wäre denn weiblich? Erwartet man Blümchen um die Dialogwolke? Es ist auch weiblich, daß ich mich aufrege. Es gibt Leute, denen würde ich am liebsten eine mitten auf die Zwölf geben. Es ist weiblich, Aggressionen zu haben.
Belhe: Frauen haben auch Aggressionen. Feri gibt ihnen Form. Und wir finden seine Sprache gut.
Feridun als euer Sprachrohr?
Çagil: Ja natürlich...
Belhe: Und ich bin ihm dankbar.
Ist es chic, sich auf Feriduns Ghetto- Attitude einzulassen, weil mit Feridun ein neuer Sound, eine neue Sprache in die Migrantenliteratur kommt?
Feridun: Dagegen verwahre ich mich.
Deine Ghettobeschwörung in „KanakSprak“ wird sehr stark rezipiert, nicht allerdings dein politisches Anliegen.
Feridun: Es ist nicht nur ein neuer Sound. Nein, es ist die neue Auffälligkeit, die ich verkörpere. Es ist eine Stimmung, wie sie damals in den sechziger Jahren im Audimax geherrscht hat. Es ist jetzt Schluß, keine Abgrenzung mehr, wir verlassen die uns zugewiesenen Nischen, aber bitte nicht mit Verbissenheit, sondern mit Freude, mit Grinsen, mit dem neuen Groove, mit Sex. Amen.
Neuer Groove, Sex, Freude – seid ihr das?
Çagil: Wenn ich jetzt sage, ich bin sexy, klingt das komisch. Wenn das wirklich so ein Ghetto-Groove wäre, den Feridun allein durchzieht, dann hätte sich das nach drei Monaten erledigt. Natürlich muß er sich interessant machen. Wenn er verschnarcht vor die Leute träte, würden sie nicht zuhören. Das ändert nichts daran, daß die Inhalte richtig und wichtig sind. Ja, ich kann mich damit identifizieren, das ist besser als das problemzentrierte Gespräch an der Uni, wo man so einen Kopf bekommt und das Gefühl hat, daß man nichts bewegt hat. Ich habe mehr erreicht, wenn ich auf einer Fete getanzt habe, da habe ich mich wenigstens gefreut.
Wie haltet ihr es mit deutschen Männern?
Belhe: Ich habe einen deutschen Freund, und den liebe ich. Das ist ein herzensguter und freudiger Mensch, der hat nicht die Verbissenheit, die ich ansonsten an den Deutschen kritisiere.
Du hattest also das Glück...
Belhe: Nein, ich liebe viele Deutsche, ich liebe viele Türken. Es gibt viele Türken, die ich hasse, Deutsche, die ich hasse.
Çagil: Über Männer will ich nichts sagen. Meine beste Freundin ist Deutsche. Die meisten meiner Freunde sind typische Deutsche. Problematisch wird es, wenn das Typische umschlägt in Ausschließlichkeiten und jeden, der anders ist, ausgrenzt. Die Frauenprotokolle lesen sich vielleicht wie eine einzige Schimpfe auf die Deutschen, das stimmt nicht, sie sind eine Schimpfe auf ganz bestimmte Deutsche, die nichts anderes sein wollen.
Belhe: Es geht doch darum, daß sich die Menschen ohne Vorbehalte treffen und finden.
Feridun: Wo ich Selbstkritik üben könnte, wäre an dem Punkt, daß jemand sagen könnte: Schon wieder diese trümmernde Bekenntnisliteratur mit hartem Beat. Wenn man immer wieder auf jemanden einschlägt, wird er müde. Aber ich betone, daß es nicht um ethnische Festlegungen geht, sondern daß uns die Großstädte allesamt verunstalten, das ist eine sehr willkommene Verunstaltung. Es ist nicht diese abgeschlossene Persönlichkeit.
Und die Persönlichkeit türkischer Männer, ist die noch sehr abgeschlossen?
Feridun: Es gibt genügend deutsche Frauen, die auf diese anatolische Ziegentreiberart, auf diesen männlichen Machismo der Turkos abfahren. Gleichzeitig gibt es viele türkische Männer, die sich sagen, jetzt hole ich mir so eine Blondine. Bei denen haben wir den Goldkettchen-Bonus. Dann haben die Turkos festgestellt, ach, die deutschen Frauen machen Zicken, also zurück zur türkischen Unschuld. Ihr Problem ist nun, daß sie wie die deutschen Männer, Gott sei's gebimmelt, erfahren mußten, daß Schluß ist mit den bereitgestellten Puschen. Auch die türkischen Frauen haben klargemacht, es ist Schluß mit lustig. Die türkische Unschuld abholen? Nix da. Das erschüttert. Auch für die Turkos ist es vorbei mit der Selbstherrlichkeit.
Stimmt das?
Belhe: Nein, finde ich nicht. Ich finde, daß es wirklich noch derbe, beschissene Machotypen gibt.
Çagil: Ich kriege schon mit, daß der Machismo erschüttert ist. Aber das liegt daran, daß die Frauen sich ändern. Die Frauen haben mehr Selbstbewußtsein.
Also, alles wird gut?
Çagil: Vielleicht hört es sich jetzt so an, daß wir die Kritik relativieren. Aber keine Illusion. Wir nehmen nichts zurück. Es ist nach wie vor so, daß es in Deutschland schwieriger ist, als Ausländer zu leben, im Vergleich zu Frankreich oder Holland. Überall gibt es Probleme, weil es Reibung gibt, aber in Deutschland wird einem eine Wand vor die Nase gesetzt. Du stößt immer gegen diese Wand, fühlst dich hilflos und total frustriert.
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