piwik no script img

Schwarz und rot gesellt sich ungern

■ Keiner will sie, aber kommt sie trotzdem? Selbst Kanzler Kohl hielt die Große Koalition gestern erstmals „prinzipiell für möglich“. Für die SPD wäre das schwarz-rote Bündnis nur die zweitbeste Lösung. Doch Umfragen sprechen eine zu deutliche Sprache. Planspiele für die Elefantenhochzeit haben längst begonnen.

Achtung CDU/CSU. Hingehört und kehrt marsch!. Nichts ist es mehr mit der Ablehnung der Großen Koalition. Kanzler Kohl hat gesprochen. Gestern abend im ZDF. Auf einmal hält er eine Große Koalition „prinzipiell für möglich“.

Bisher war es so: Kohl schließt eine Große Koalition aus. Theo Waigel will auf keinen Fall eine machen, lieber sterben, so muß man ihn wohl verstehen. Schließlich droht er andernfalls mit einer Abspaltung der CSU von der Union. Und auch sonst gab es bis zum 23. September 1998, abends, niemanden in der Union, der öffentlich einer Großen Koalition das Wort geredet hätte. Denn wenigstens die Botschaft an die lieben Wählerinnen und Wähler sollte stehen: Wenn ihr nicht die Koalitionsparteien wählt, handelt ihr euch die Linksfront ein.

Nur die Umfrageergebnisse machen nicht so ganz mit. Fast allen Meinungsforschungsinstituten zur Folge kann bloß eine Große Koalition für eine stabile Mehrheit im Bundestag sorgen. Hat der Kanzler das jetzt auch realisiert?

Große Koalition? Moooment mal, schreien sie an dieser Stelle bei der Union auf. Der Schröder kann doch auch eine Minderheitenregierung machen, wie es der Höppner in Sachsen-Anhalt vorgemacht hat. Und machtgierig wie der ist, wird er das bestimmt tun.

„Grotesk!“ sagt die SPD. Schröder muß sein Versprechen halten. Weil er sonst nicht mehr glaubwürdig ist, weil es die SPD zerreißen würde und weil die Union nur genüßlich abwarten müßte, wie das Linksbündnis gegen den Baum fahren würde. Genau, sagt genüßlich die Union.

Mit diesem „genau“ beginnt der nichtoffizielle Bereich dieses Berichts, in dem es ein wenig aufrichtiger zugehen kann. Schließlich ist es so: Die SPD nährt den Glauben an die Bereitschaft für eine Große Koalition, um die Wähler der Mitte zu erreichen. Das sind diejenigen, die zwar die SPD schätzen aber die Grünen fürchten oder, um es mit einem CSU-Abgeordneten zu sagen, „die einen Wechsel ohne Risiko anstreben“. Deshalb vermeidet Schröder ein Bekenntnis zu Rot-Grün und erweckt den Eindruck, die SPD werde sich trotz rot-grüner Mehrheit gegebenenfalls für eine Große Koalition entscheiden.

Die SPD geht sogar so weit, sich als Juniorpartner in einer Großen Koalition ins Spiel zu bringen. Zum einen, um den Bürgern die Angst vor einer Minderheitsregierung zu nehmen, aber auch, weil sie darauf setzt, wie bei der letzten Großen Koalition vom Juniorpartner in die Chefrolle hereinzuwachsen zu können. Auf diese Weise könnte Oskar Lafontaine doch noch Bundeskanzler werden. Denn erst am Dienstag abend wieder hat Schröder versichert, er käme nur als Kanzler nach Bonn.

Aber natürlich will die SPD Rot-Grün, wenn es nur irgend geht. Um ihre Politik besser durchzusetzen, um mehr Ministerposten zu haben und selbst deshalb, weil die „gruppendynamischen Prozesse mit einer Partei, die schon in der Regierung ist und die eine bestimmte Ordnung gewöhnt ist, schwierig sind“, so ein Spitzengenosse. Was für die SPD gut ist, ist für die Union schlecht. Deshalb hat sie bisher so getan, als stünde sie für eine Große Koalition nicht zur Verfügung, egal ob als stärkste Partei oder als Juniorpartner. Die offizielle Begründung lautet, eine Große Koalition würde die extremen Parteien stärken, womit die CSU auch die PDS meint.

Aber da sind noch die anderen Gründe, die Unionsabgeordnete natürlich nie öffentlich nennen würden: „Die letzte Große Koalition war schlecht.“ Warum? „Weil wir danach für 13 Jahre weg vom Fenster waren.“ Na gut, aber muß sich das zwangsläufig wiederholen? Die Gefahr ist groß, sagt ein CSU-Stratege. Die Leute gewöhnten sich daran, daß es SPD-Minister gibt und stellten fest, so schlimm sind die ja gar nicht. Bisher sagten die Leute: Rot-Grün – o weh! Lafontaine – bloß nicht. Schröder – na ja. Aber wenn die erst mal mit am Ruder seien, fiele der Abschreckungseffekt weg. Das gelte erst recht, weil die Leute die SPD in einer Großen Koalition nicht „pur“, sondern eher „gemäßigt“ erleben würden. Um so schlimmer, wenn die SPD den Kanzler stellt. Die Erfolge würden dann in erster Linie ihr angerechnet. Und selbst wenn die CDU stärkste Partei wäre, würde ihr Einfluß sinken. So weit die CSU.

Fraglich nur, ob die Wähler solche Argumente akzeptieren, wenn ein Tolerierungsmodell à la Sachsen-Anhalt nur durch eine Große Koalition verhindert werden könnte. Joschka Fischer spricht vorsorglich schon von Neuwahlen. Aber hat die SPD nicht recht, wenn sie sagt: „Die Union bekäme dann Probleme“, weil schließlich alle demokratischen Parteien koalitionsfähig sein müssen?

Kohl hat das in letzter Sekunde doch noch akzeptiert. Immerhin denkt er, über den Wahltag hinaus, an die Glaubwürdigkeit seiner Partei, die notfalls eben doch eine Große Koalition eingehen müßte. Und wie stünde sie dann als Wortbrüchige da? Denn spätestens beim Bier geben die CDU-Parlamentarier ja auch jetzt schon zu, daß sie sich einer Großen Koalition nicht versagen können.

Es ist ja auch nicht so, daß eine Große Koalition nur Nachteile hätte. Ein Landesvorsitzender gibt zu bedenken, daß ein paar Ministerpöstchen besser seien als überhaupt keine. Und außerdem sei das Risiko zu groß, daß Rot-Grün doch besser klappen könnte als gedacht. Also lieber mitmachen. Das sehen wohl auch die Hoffnungsträger der CDU so: Weder Wolfgang Schäuble noch Volker Rühe lehnen die Große Koalition strikt ab. Für Rühe müssen „Demokraten im Prinzip miteinander arbeitsfähig sein“. Beide Politiker könnten von einer Großen Koalition persönlich profitieren. Kohl stünde erklärtermaßen nicht zur Verfügung, die Bahn wäre frei. Nur für wen?

Rühe ist ein hervorragender Verteidigungsminister, heißt es in der Union, aber seine Bandbreite ist nicht groß genug, um Kanzler oder gar Parteivorsitzender werden zu können. Zudem wirke er für viele wie die Verkörperung eines Sturmpanzers. Die höchsten Weihen seien daher ausgeschlossen. Bleibt Schäuble, dem eine Doppelfunktion als Partei- und Fraktionsvorsitzender zugetraut wird.

Im Grunde schwant selbst der CSU, daß die Union im Falle des Falles nicht um eine Große Koalition herumkäme. „Irgendwann wird die Butter schon schmelzen“, sagt einer. „Wenn es um die Verantwortung für Deutschland geht, werden die in der CDU eher weich als wir, auch wenn sie sich damit in Schwierigkeiten bringen.“ Markus Franz, Bonn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen