piwik no script img

Besser Tropenwäldchen als nur noch Wüste

Der Raubbau am tropischen Regenwald läßt sich nicht stoppen – nicht durch Proteste, nicht durch Boykotts, nicht durch Gesetze. Aber vielleicht durch Kooperation mit der Holzindustrie? Im Rahmen eines ehrgeizigen Pilotprojekts im brasilianischen Amazonasgebiet soll untersucht werden, inwieweit sich Holzwirtschaft und Ökologie miteinander in Einklang bringen lassen. Text und Fotos  ■ von Werner Rudhart

Begleitet vom Krachen der Äste saust der Baumriese nieder, und sein donnernder Aufprall erschüttert den Waldboden. Im Regen aus Blättern, Ästchen, Insekten und Staub, der ihm folgt, werden diesmal außer dem üblichen Kreischen der Papageien auch aufgeregte menschliche Stimmen laut. Nacheinander stolpern alle mit etwas bleichen Gesichtern aus dem Dickicht: das Filmteam aus Köln, die zwei Forststudenten aus Yale, der Mann vom Aufsichtsrat aus Zürich und die Abordnung eines bekannten deutschen Motorsägenherstellers. Zum Glück: Man ist noch vollzählig.

Sichtlich erleichtert nimmt Forstingenieur Joao Cruz seine düpierte Holzfällertruppe in Schutz. Ein paar unsichtbare Lianen, weit oben in der Krone, haben den Baum gehalten und schließlich in die entgegengesetzte Richtung fallen lassen – mitten in den Fluchtweg der erschrockenen Zuschauer. Die Tücken des Objekts, vor allen bei Vorführungen, sind natürlich auch Joao Cruz bekannt, doch in letzter Zeit sieht er sich ihnen öfter ausgeliefert, als ihm lieb ist.

Vor vier Jahren hat die schweizerische Aktiengesellschaft Precious Woods zweihundert Kilometer östlich von Manaus, nahe der Ortschaft Itacoatiara, 80.000 Hektar Urwald aufgekauft, um am Oberlauf des Amazonas ein ehrgeiziges Projekt in die Tat umzusetzen: umweltverträgliche Forstwirtschaft betreiben – und damit Profit machen. Seit diese Bemühungen im Juni vergangenen Jahres mit einem Prüfsiegel der „Rainforest Alliance“ ausgezeichnet wurden, kann sich die „Madeireira Itacoatiara Limitada“ – kurz Mil genannt – vor interessierten Besuchern aus Brasilien und der ganzen Welt kaum mehr retten. Im größten tropischen Regenwald der Erde, in dem jährlich zehn Prozent aller auf dem Planeten gefällten Bäume unter die Säge kommen, sind die Schweizer von Mil bisher die einzigen, die dies gemäß international geltender Prinzipien auf nachhaltige und schonende Weise tun.

Die Besucher im Schlepptau, marschiert die Holzfällertruppe weiter durch das Unterholz, um den nächsten Baum aufzuspüren, der auf der Fällungskarte ausgewiesen ist. Nr. 191, Massaranduba, eines der begehrtesten Bauhölzer in Brasilien. Eine kurze Probebohrung an der Basis des mächtigen Stammes weist auf einen Hohlraum in seinem Innern hin – zuwenig „Fleisch“, er darf stehenbleiben und weiterhin Schatten und süße, kleine Früchte produzieren. Weiter: Nr. 340, Roter Angelim. Stück für Stück werden die großen Brettwurzeln abgetrennt, die den hohen Stamm stützen. In einen eingesägten Spalt getriebene Eisenkeile lassen den Giganten schließlich genau in die vorgesehene Richtung stürzen – ohne benachbarte „Zukunftsbäume“ mitzureißen und genau im rechten Winkel zur Seilwinde auf dem nahen Rückweg.

Jetzt bekommt auch noch der Stumpf eine Nummer aufgenagelt. „Jeder Baum hier ist per Computer erfaßt“, erklärt der für die Planung verantwortliche Forstingenieur Tim van Eldik stolz. Der Holzeinschlag im 2.000 Hektar großen Sektor B ist für ihn nur der Höhepunkt einer Aktivität, die bereits vor zwei Jahren begann. Hektar für Hektar durchkämmten Prospektorenteams das Dschungelstück, lokalisierten, bestimmten und numerierten jeden Baum, der mindestens fünfzig Zentimeter Stammdurchmesser hat und nicht unter Naturschutz steht.

Anhand dieser Bestandsaufnahme hat Tim van Eldik dann am Computer die genauen Fällungskarten erarbeitet: Nur knapp die Hälfte der festgestellten Bäume pro Hektar sind darauf vermerkt und niemals zu viele von derselben Gattung. Der Baumbestand in der Nähe von Wasserläufen und Quellen bleibt unangetastet, ebenso wie ein 13.000 Hektar großes Waldreservat im Herzen der schweizerischen Besitzung.

Wenn die Kettensägen nach Ablauf eines Jahres schließlich verstummen und alle Stämme über die sorgfältig angelegten Rückwege und die befestigte „Hauptstraße“ zum Sägewerk abtransportiert sind, wird hier im Sektor B wieder Ruhe einkehren, 25 Jahre lang. Zeit genug, laut wissenschaftlicher Berechnung, für den Wald, sich zu regenerieren und für die nächste Runde nachzuwachsen.

Der Urwald der alten Riesen mit den großen Durchmessern wird dabei nach und nach verschwinden, räumt Tim van Eldik ein. Was entsteht, ist ein verjüngter, halbnatürlicher Wald – „aber eben ein Wald und keine Wüste.“ Die nämlich ist in der Regel das Resultat der traditionellen brasilianischen Abholzungsmethoden.

Auf einem Teilgebiet von Sektor B, wo die Schweizer einer Fremdfirma gestatteten, zu Vergleichszwecken nach gebräuchlichem Muster vorzugehen, kann man es betrachten: Jeder gefällte Baum hat fünf, sechs weitere mitgerissen, deren Stämme zersplittert aus dem Dickicht ragen, viele andere wurden einfach liegengelassen, weil sie hohl waren. Es sieht aus wie nach einem Bombenangriff. Tim van Eldik: „Nicht einmal in hundert Jahren wird hier wieder ein richtiger Wald sein!“

Immer schneller fressen sich so die Sägereien im Verein mit Viehzüchtern und Kleinbauern voran gegen noch 2,3 Millionen Quadratkilometer Dschungel. Eine Fläche von der Größe Frankreichs haben sie schon abgeholzt. An keinem Ort der Welt werden heute soviel Bäume gefällt wie am Amazonas.

Die ökologisch verträgliche Nutzung, die die brasilianische Regierung bei der Vergabe von Forstkonzessionen zur Bedingung macht, wird in der Praxis schlicht ignoriert – sowohl von den zahlreichen kleinen einheimischen Betrieben als auch von den mittlerweile 22 großen internationalen Firmen, die im Amazonasgebiet operieren. Die meisten dieser ausländischen Holzproduzenten kommen aus dem asiatischen Raum, Malaysia, Indonesien, China und Japan. Sie kontrollieren heute den größten Teil des Weltmarktes an Tropenhölzern und haben dabei die Regenwälder Südostasiens schon nahezu ausgelöscht.

Willkommen geheißen und tatkräftig unterstützt von dubiosen Lokalpolitikern, sind sie jetzt dabei, sich im letzten großen Waldgebiet der Erde strategisch zu plazieren. „Das ist ein großes Glück“, jubelt der Bürgermeister von Itacoatiara, Miron Fogaa. „Die ausländischen Firmen werden uns den Fortschritt bringen.“ Überall am Amazonas reißt man sich derzeit um die Ankunft der asiatischen Holzfäller und verwechselt dabei absichtlich die Schaffung von Arbeitsplätzen mit der Zerstörung der Wälder. „Vielleicht haben die Gouverneure von Par und Amazonas solange in der Nachbarschaft von Bäumen gelebt, daß ihnen vom vielen Grün einfach schlecht ist“, spottete die brasilianische Wochenzeitschrift Veja in ihrer vielbeachteten Amazonas-Sonderausgabe Ende letzten Jahres. „Wer an Wiedergeburt glaubt, wird bestimmt hoffen, daß die beiden ihr nächstes Leben gnädigerweise inmitten der Sahara verbringen dürfen.“

Schmuggel, Urkundenfälschung, irreguläre Landnahme und illegales Abholzen wird den asiatischen Sägewerkern inzwischen nicht nur von Umweltschützern vorgeworfen: Vier von ihnen wurden im vergangenen Jahr sogar beim Holzfällen in ausgewiesenen Indianerreservaten erwischt, und ein chinesisches Sägewerk produzierte 15.000 Kubikmeter Edelholz – ohne auch nur eine Handbreit Land zu besitzen.

Achtzig Prozent allen Holzes in Amazonien wird auf illegale Weise geschlagen, und das brasilianische Bundesorgan für Umweltschutz, kurz Ibama, sah dem Treiben bislang zähneknirschend und praktisch machtlos zu. Zum einen fehlte es an Geld und Personal, um die riesigen und schwer zugänglichen Gebiete effektiv zu kontrollieren, zum anderen gab es keine rechtliche Handhabe. „Es existiert nicht ein einziges Gesetz im Land, mit dem sich Umweltverbrechen bestrafen ließen“, beklagte sich Ibama-Präsident Eduardo Martins. „Das äußerste, was wir tun können, ist, illegal geschlagenes Holz zu beschlagnahmen.“

710.000 Kubikmeter kamen dabei allein im vergangenen Jahr zusammen. Die kriminellen Abholzer brauchten indes nichts zu befürchten; viele verklagten sogar das Ibama auf Schadensersatz oder kauften sich das beschlagnahmte Holz auf den öffentlichen Versteigerungen einfach wieder zurück. „Es ist ein Skandal“, faßte der Parlamentsabgeordnete Gilney Viana die Arbeitsergebnisse einer von ihm geleiteten Sonderkommission, die 1997 die Umtriebe der Ausländer in Amazonien untersucht hatte, zusammen: „Es ist, als würden wir entdecken, daß Fabriken Autos mit gestohlenen Teilen montieren – ohne daß die Regierung etwas dagegen unternähme.“

Mit der Verabschiedung neuer Umweltgesetze hat das brasilianische Parlament Ende Januar – nach siebenjähriger Debatte – diesem Treiben nun ein vorläufiges Ende gesetzt: Illegaler Raubbau kann ab jetzt rechtskräftig mit bis zu fünf Millionen Dollar Bußgeld und, im Wiederholungsfall, mit der Liquidation von Firmen bestraft werden. Der plötzliche Eifer der Parlamentarier läßt sich vielleicht auch mit dem Schock erklären, den das Land erfuhr, als die Regierung, nach langem Hinhalten, im Januar endlich die offiziellen Zahlen über den Zustand Amazoniens bekanntgab. Die Studie, erstellt auf der Basis von Satellitenfotos, enthüllte, daß allein zwischen 1995 und 1996 eine Grünfläche von der Größe der Schweiz durch Feuer, Beile und Motorsägen für immer von der Landkarte getilgt worden war.

Das Dröhnen des Raupenfahrzeugs, das in eine Wolke von rotem Staub gehüllte Baumstämme zur Sägerei abtransportiert, dringt durch die Bretterwände in Friedrich Brüggers Büro. „Als es Mil noch nicht gab“, sagt er, „war es für die anderen einfacher, aber jetzt haben wir den Anfang gemacht und ein Beispiel gegeben.“

Naturnaher Waldbau nach europäischem Muster in der verwirrenden Artenvielfalt des tropischen Regenwalds – weil auf einem solchen Beispiel auch ein enormer Erfolgsdruck lastet, vor allem was die Wirtschaftlichkeit anbelangt, wurde Friedrich Brügger vom Precious-Woods-Aufsichtsrat vor kurzem als Manager von Mil berufen. Seit zwanzig Jahren lebt und wirtschaftet der energische Schweizer schon am Amazonas.

Unter anderem plante er in den siebziger Jahren für Volkswagen do Brasil ein umstrittenes Viehzuchtgroßprojekt und setzte es auch gleich in die Tat um. Damals versuchten die Generäle der Militärdiktatur, die amazonische Wildnis partout dem Rest des Landes anzugliedern: Riesige Konzerne, ohne jegliche landwirtschaftliche Tradition, wurden mit staatlichen Vergünstigungen und Subventionen geködert, um die Region zu einem der größten Fleischexporteure der Welt zu machen. Der Groll darüber, daß das Volkswagenprojekt aus politischen Gründen wieder eingestellt wurde, bevor es seine Wirtschaftlichkeit beweisen konnte, ist dem Agraringenieur noch heute anzumerken.

Das Sägewerk jedenfalls, vorher ein Problemkind von Mil, läuft inzwischen hörbar auf Volltouren: Die Bandsägen der drei modernisierten Produktionslinien filetieren knapp 20.000 Kubikmeter Schnittholz im Jahr, und das ohne die in den veralteten amazonischen Sägereien sonst üblichen zwei Drittel Ausschuß. Außer dem einen Dutzend gängiger und begehrter Edelholzsorten will Friedrich Brügger versuchen, auch für bislang kaum genutzte Hölzer einen Markt zu schaffen.

Bereits gelungen ist das mit dem weitverbreiteten Acariquara-Baum. Wegen seiner unregelmäßigen Stammform schwer wirtschaftlich nutzbar und bisher nur im Norden Brasiliens zur Fertigung von Weidezäunen und Strommasten verwendet, wurden im vergangenen Jahr immerhin 5.000 Kubikmeter der extrem widerstandsfähigen Holzart nach Deutschland ausgeliefert – dort sollen damit die Deiche der mecklenburgischen Küste befestigt werden.

Schnittholz aus 38 Baumarten offeriert Mil in seinem unlängst in Amazoniens Hauptstadt Manaus eröffneten Verkaufslager, und derzeit denkt Friedrich Brügger nach über den besten Weg, auch den industrialisierten, dichtbesiedelten Süden des Landes zu beliefern: „Nicht nur in Europa, auch in Brasilien werden in Zukunft immer mehr Leute genau wissen wollen, woher das Holz für ihren Hausbau kommt und unter welchen Bedingungen es geschlagen wurde.“

Der Wald als Kapital, das erhalten werden muß, um Zinsen zu tragen. Eine einfache und logische Geschäftsphilosophie, die aber am Amazonas noch weit davon entfernt ist, Allgemeingültigkeit zu besitzen. Auf der 260 Kilometer langen Autofahrt von Manaus nach Itacoatiara ist dies unschwer zu erkennen: Zu beiden Seiten der Landstraße zieht sich eine breite Schneise karger Viehweiden und trostlosen Buschlands, wo allein die gefräßigen Blattschneideameisen sich wohl zu fühlen scheinen und dafür sorgen, daß kein junger Baum mehr nachwächst.

Profitgier und Überlebensnot, im Verein mit einer durch die brasilianische Geschichte geprägten Geisteshaltung, die Wald ganz unromantisch als ein lästiges Hindernis begreift, haben nur hie und da ein paar vereinzelte Baumriesen übrig gelassen. Doch die schwache und sandige Erde Amazoniens taugt nicht für die Landwirtschaft. Ohne den Wald ist sie nach zwei, drei Anbauzyklen am Ende.

Daß ein funktionierender Wald für sie auch eine existentielle Bedeutung haben kann, sollen die 270 brasilianischen Mitarbeiter von Mil nicht nur am außergewöhnlichen Umfang ihrer Lohntüten merken. Regelmäßig hält der junge Tim van Eldik für alle Teile der Belegschaft Vorträge, in denen er die Philosophie von Precious Woods und die daraus resultierenden Arbeitsweisen von Mil genau darstellt: „Ich will, daß auch eine Kantinenköchin oder der Mann, der an der Bandsäge steht, und dessen Arbeit sich in nichts von der in anderen Sägewerken unterscheidet, weiß, daß er an einer außergewöhnlichen und wichtigen Sache mitarbeitet.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen