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Die Schwierigkeiten des Vergebens

Das Baskenland sucht Versöhnung. Für viele ist das schwierig. Etwa für Consuelo Ordóñez, deren Mann von ETA erschossen wurde, und für Arantza Raskin, deren Sohn als ETA-Kämpfer im Gefängnis sitzt  ■ Aus San Sebastián Reiner Wandler

„Wir brauchen Frieden“, verkündet ein Transparent am Balkon des Rathauses von San Sebastián. Gleich nebenan, in den engen Gassen der Altstadt, wo bis vor kurzem Plakate mit den Porträts der Lokalpolitiker der Partido Popular (PP) im Fadenkreuz die Wände schmückten, hängen nun eiligst verklebte Fotokopien der Titelseite der Tageszeitung Euskadi Information an den Wänden: „ETA verkündet einen unbefristeten Waffenstillstand“, steht da zu lesen. Die Ausgabe datiert vom 17. September.

„Für mich kommt die Waffenruhe zu spät“, sagt Consuelo Ordóñez bedrückt. Im Januar 1995 wurde ihr Bruder Gregorio erschossen, als er in der Altstadt zu Mittag aß. Sein Vergehen: Er war Bürgermeisterkandidat und Abgeordneter im baskischen Parlament für die mittlerweile in Madrid regierende PP und als solcher für ETA ein „Volksfeind“. „Einer der Täter war der Sohn des Besitzers einer Bar, in der Gregorio oft einkehrte“, erzählt Consuelo, die seither auf keiner Demonstration gegen die ETA fehlt. „Und selbst das wollen sie mir verbieten“, beschwert sich die 35jährige Anwältin. Immer wieder hat sie Drohungen auf dem Anrufbeantworter.

Amnestie für die Mörder? Unvorstellbar

Sie meidet die Altstadt, seit sie dort vor wenigen Monaten von einer Flasche am Kopf getroffen wurde. „Der Typ, der geworfen hat, konnte sich ungehindert davonmachen, keiner half mir.“

Als sie vom Waffenstillstand erfuhr, verspürte sie „eine ungeheurer Erleichterung.“ Haftverschonung für die ETA-Gefangenen, die kein Blut an ihren Händen haben, ein Referendum über die Unabhängigkeit des Baskenlandes, sie kann sich vieles vorstellen, um endgültig den Frieden zu erreichen, nur eines nicht: eine Amnestie für die Mörder ihres Bruders. „Das hier ist nicht Irland, hier gibt es keine zwei Gruppen“, bricht es aus Consuelo heraus, „Wir haben nicht getötet.“ Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: „Man kann viel vergeben. Körperverletzung, Vergewaltigung ... aber ein Toter, das ist etwas so verdammt Endgültiges.“

„Was mein Kind gemacht hat, ist mir egal. Das hier ist ein Krieg“, sagt Arantza Razkin. Ihr Sohn Sergio (27) ist einer der über 500 ETA-Gefangenen. Er verbüßt eine Haftstrafe von 380 Jahren. „Wir wissen nur, daß sie unsere Kinder schlecht behandeln“, sagt die 52jährige Angestellte, die an der Halskette eine silberne Axt mit einer Schlange trägt, das ETA- Emblem, ein Geschenk ihres Sergio. Die resolut auftretende Frau ist Mitglied von Senideak, der Organisation der Angehörigen der ETA-Gefangenen.

„Einmal in der Woche haben wir 40 Minuten Besuchszeit. Sergio sitzt in Ciudad Real. Das sind sechs Stunden Autofahrt hin und sechs Stunden zurück“, erzählt Arantza. Andere Angehörige hat es noch übler getroffen, sie müssen in den äußersten Süden – über 1.100 Kilometer Landstraße – oder gar auf die Kanarischen Inseln –, fast drei Stunden Flug. „Die Gefangenen müssen in Haftanstalten im Baskenland. Denn mit der Aufteilung bestrafen sie uns Angehörige gleich mit“, beschwert sich Arantza über die Politik Madrids, in der sie „einen Racheakt für den bewaffneten Kampf“ sieht. „Selbst wer schwer krank ist oder drei Viertel seiner Strafe abgesessen hat, kommt nicht raus.“

Auf die Frage, ob sie sich vorstellen kann, im Laufe des Friedensprozesses einmal den Familienangehörigen der ETA-Opfer gegenüberzustehen, winkt Arantza ab. „Ich habe sie vorher nicht gekannt, warum sollte ich sie jetzt kennenlernen.“ Dann fügt sie nachdenklich hinzu. „Es hat auf beiden Seiten viele Tote gegeben. Ob die Wunden ganz verheilen, weiß ich nicht. Aber vielleicht hören sie wenigstens auf zu bluten.“ Jetzt hofft Arantza darauf, daß die Gefangenen bis Weihnachten alle im Baskenland sind. „Das wäre ein erster Schritt.“

„Einfach ist die Aussöhnung sicherlich nicht“, grübelt auch Maria Eugenia Garcia, die seit 1995 den Parlamentssitz des getöteten Gregorio Ordóñez einnimmt. Die 40jährige Konservative bewegt sich nur mit Leibwache. Auch jetzt, nach dem Waffenstillstand, schlägt Maria Eugenia jeden Tag einen anderen Weg in das Büro der Partido Popular in einem der anonymen, neuen Vierteln von San Sebastián ein, trinkt nie zweimal hintereinander in der gleichen Kneipe einen Kaffee, denn „solange die noch Pistolen haben, fühle ich mich nicht sicher“.

„Ich habe versucht, nicht allzuviel Haß anzustauen“, sagt Maria Eugenia. „Denn das zerstört dich letztendlich selbst.“ Es war nicht immer leicht. Sieben PP-Politiker hat sie mit zu Grabe getragen. Das erste Opfer der ETA-Mordserie, Gregorio Ordóñez, hatte sie einst vor 18 Jahren für die Politik begeistert. José Luis Caso, einer der letzten Toten, kam wie sie aus Irún, wo sie vor Jahren zusammen ein Parteibüro aufbauten.

Die Parlamentarierin möchte nur zu gerne glauben, daß ETA und deren politischer Flügel Herri Batasuna (HB) künftig mit politischen Mitteln für ein unabhängiges Baskenland eintreten. „Vielleicht können wir dann eines Tages ganz normal miteinander reden, auch wenn wir politisch ganz anderer Ansicht sind“, wünscht sich Maria Eugenia. Daß dazu auch Zugeständnisse aus Madrid notwendig sind, weiß sie auch.

„Jugend gewährt keinen Waffenstillstand“

Auf die Frage, ob sie glaubt, daß es auch im gegnerischen Lager Wut und Trauer gibt, denkt Maria Eugenia kurz nach. Dann antwortet sie: „Die Angehörigen der ETA- Gefangenen leiden sicher auch. Aber es gibt da einen kleinen Unterschied. Die können die Ihren im Gefängnis besuchen. Uns bleibt nur der Weg auf den Friedhof.“

„Auch wir haben unsere Toten. Kämpfer, die von der Polizei erschossen wurden, oder die Opfer des schmutzigen Krieges in den 80er Jahren“, gibt Joseba Permach zu bedenken. Erst 29 Jahre jung, hat er es bereits zum HB-Gemeinderat in San Sebastián und zum Mitglied des kollektiven Parteivorstandes der Koalition gebracht. Er ersetzt eines der 23 Mitglieder der alten Leitung, die vergangenen Dezember wegen „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ zu sieben Jahren Haft verurteilt wurden. Permach wurde damit zu einem der Väter der neuen, offeneren Linie, die in den Waffenstillstand ETAs mündete. „Das Baskenland ist so klein. Die unterschiedlichen Ansichten existieren selbst innerhalb vieler Familien nebeneinander her. Was im Konflikt das Leben so schwermachte, kann jetzt zur Aussöhnung beitragen“, ist sich der HBler sicher. Auch er hat Verwandte, die nichts vom Selbstbestimmungsrecht der Basken wissen wollen. „Aus der Familie meiner Mutter, die aus Spanien ins Baskenland gezogen ist“, sagt Permach.

Die endgültige Lösung für den Konflikt sieht er in einer Volksabstimmung über die Unabhängigkeit. „Egal, wie es ausgeht, werden wir das Ergebnis respektieren“, versichert Permach. Seine Sorge gilt dem Straßenkampf der Jugendlichen aus dem linksnationalistischen Lager. Deren Sabotageakte und Einschüchterungsaktionen gegen Politiker, die nicht mit der Forderung der radikalen Nationalisten konform gingen, galt HB bisher „als Beschleunigung des Prozesses“. Jetzt könnten diese Aktionen den Weg zum Frieden behindern. „Es wäre geradezu absurd, weiterhin gegen diejenigen vorzugehen, die wir als Bündnispartner auf dem Weg zur Unabhängigkeit brauchen“, sagt Permach, dessen Partei seit geraumer Zeit die gemäßigten Nationalisten umwirbt.

„Die baskische Jugend gewährt keinen Waffenstillstand“, zeigt sich Antxon Ollokiegi, Sprecher der radikalen Jugendorgansiation Jarrai, unerbittlich. Für ihn sind „spontane Protestaktionen“, was längst zum Ritual verkommen ist. Wochenende für Wochenende treffen sich kleine Gruppen von Jugendlichen in der Herriko Taberna, der HB-Kneipe in der Altstadt von San Sebastián. Bevor sie zu vorgerückter Stunde die Sturmhaube überstülpen, trinken und reden sie sich zwischen Fotos von ETA-Gefangenen unter der baskischen Fahne Mut an.

Dann geht es los: Barrikaden werden errichtet, Telefonzellen, Geldautomaten oder Linienbusse abgefackelt, die Scheiben in den Kneipen der gemäßigten Nationalisten oder des Buchladens der Frau eines sozialistischen Abgeordneten gleich um die Ecke eingeschmissen. Selbst vor Brandsätzen gegen Menschen schrecken die Straßenkämpfer nicht zurück.

Auch wenn Antxon leugnet, daß „die baskische Intifada“ von Jarrai organisiert wird, die ideologische Begründung liefert der 26jährige Berufspolitiker bereitwillig mit: „Wer mit seiner alltäglichen Politik die Rechte des Baskenlandes leugnet, muß dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das Baskenland kann nicht mit verschränkten Armen dasitzen.“ Wer sich im Laufe eines Friedensprozesses der Forderung nach mehr Unabhängigkeit anschließe, dürfe damit rechnen, daß „der politische Druck der Straße“ auf ihn nachlasse.

Eine Aussöhnung ist für Antxon überflüssig, „da es hier keine Auseinandersetzungen zwischen Basken gibt“. Und auf die zugehen, denen er – ob Basken oder nicht – mit seiner Politik Schaden zugefügt haben könnte? „Das Baskenland hat niemals etwas Schlechtes getan. Wie sollen wir da um Verzeihung bitten? Die Gewalt ist notwendig, um unserem Ziel einen Schritt näherzukommen“, antwortet er, ohne nachdenken zu müssen.

Unversöhnliche Töne, und doch gibt es Anlaß zur Hoffnung. Seit ETA vor zehn Tagen ihren Waffenstillstand verkündet hat, sind auch „die spontanen Aktionen der Jugend“ abgerissen. Erstmals seit Jahren ist wieder Ruhe in die Altstädte des Baskenlandes eingekehrt.

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