: Das Volk hat nicht entschieden
Der Volksentscheid zum Volksentscheid scheiterte knapp. Bürgerschaft will eigenen Entwurf umsetzen. Bürgerentscheide eingeführt ■ Von Silke Mertins
Die Initiative „Mehr Demokratie“ hat beim Volksentscheid ein überwältigendes Ergebnis erzielt: Rund 545.000 HamburgerInnen stimmten dafür, die Hürden für die Volksgesetzgebung abzuschaffen. Der von SPD und GAL entworfene „Gesetzentwurf der Bürgerschaft“, der die Hürden absenken, aber nicht abschaffen will, bekam nur rund 425.000 Stimmen.
Dennoch reichte das überraschend deutliche Wählervotum, das Landeswahlleiter Wolfgang Prill in der Nacht zum Montag bekannt gab, nicht für einen Sieg von „Mehr Demokratie“. Um die Verfassung zu ändern, sind nach den jetzigen Regeln, die „Mehr Demokratie“ für viel zu hoch hält, 50 Prozent Ja-Stimmen erforderlich – 605.000 Stimmen.
Für die Einführung von Volksentscheiden auf Bezirksebene, den „Bürgerentscheiden“, gab es erwartungsgemäß eine Mehrheit, denn dazu waren nur 25 Prozent Zustimmung nötig. Auch hier lag „Mehr Demokratie“ im Vergleich zum Entwurf der Bürgerschaft vorn. Somit werden nun die wahlberechtigten Bezirksbevölkerungen über alles abstimmen können, was auch die Bezirksversammlungen beschließen. Dabei geht es etwa um Bauvorhaben, Verkehrsthemen wie Tempo-30-Zonen, aber auch Flüchtlingsunterkünfte, soziale Einrichtungen oder Fixerstuben.
Die Initiative feiert das Abstimmungsergebnis und die hohe Beteiligung von 66,7 Prozent als „Riesenerfolg“. Auch wenn der Volksentscheid an den hohen Hürden gescheitert sei, könne an dem Votum „kein Politiker vorbei“, ist Sprecher Marcus Hiller sicher. Hiller ist nun gespannt, „ob die Bürgerschaft die Frechheit besitzt, den Verliererentwurf umzusetzen.“ Gerecht wäre das seiner Ansicht nach nicht. Denn würde der Bürgerschafts-Entwurf mit seinen abgesenkten Hürden schon jetzt gelten, hätte „Mehr Demokratie“ gewonnen.
„Man kämpft immer zu den Regeln, die gerade gelten“, weist SPD-Fraktionschef Holger Christier das Argument zurück, nur der Entwurf der Initiative hätte die Legitimation, umgesetzt zu werden. Christier räumte aber ein, daß man „beraten“ müsse, ob die bisherige Position „noch Bestand hat“.
Auch die CDU, die für eine Verfassungsänderung im Parlament gebraucht wird, ist zum Einlenken bereit. „Es muß sicher eine erhebliche Vereinfachung geben“, so Oppositionsführer Ole von Beust. Allerdings beinhalte das Ergebnis „keine moralische Verpflichtung“, die Forderungen von „Mehr Demokratie“ umzusetzen. Von Beust geht davon aus, daß der von SPD und GAL ausgearbeitete Kompromiß mit Hilfe der Union umgesetzt wird. Unterdessen mahnt Antje Möller, GAL-Fraktionschefin, „die Botschaft“ des „hocherfreulichen Ergebnisses“ zu akzeptieren.
„Mehr Demokratie“ will sich in die Verhandlungen nicht einschalten. „Wir haben kein Verhandlungsmandat“, so Sprecher Michael Efler. Wenn die Parteien sich stur stellten, werde man bei den nächsten Bürgerschaftswahlen im Jahre 2001 erneut antreten. „Mit uns ist nicht zu spaßen“, droht Hiller.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen