: Ein Mann wie Arno
Der Kaufhaus-Erpresser Arno Funke spielt den Publikumsliebling Dagobert, der den witzigen Medienstar spielt, der aber eigentlich nichts weiter will als seine Ruhe. Er ist froh, wenn er Ausgang hat und Zeit zum Malen. Morgen wird in Berlin sein Buch vorgestellt ■ Von Barbara Bollwahn
Es gibt ihn nur im Doppelpack. Seitdem Arno Funke vor sechs Jahren den Karstadt-Konzern über Anzeigen und Schreiben im Namen von „Dagobert“ um 1,4 Millionen Mark erpressen wollte, wird Deutschlands bekanntester Verbrecher die Comicfigur nicht mehr los.
Es ist wahrscheinlich eine Illusion zu glauben, Dagobert je wieder loszuwerden. Dabei hat Dagobert nichts mit mir zu tun. Das ist ein Aliasname, der mir aufgedrückt wurde wie ein Stempel, mit dem ich versuche umzugehen. Ich kann doch nicht mit einem Schild um dem Hals rumlaufen, auf dem steht „Ich bin nicht Dagobert. Ich bin Arno Funke.“
Es ist ein sonniger Freitag. Punkt 13 Uhr verläßt Arno Funke die Haftanstalt in Berlin-Plötzensee. Vor ihm liegen sechs Stunden Ausgang. Freiheit auf Raten. Der 49jährige möchte in ein Einkaufszentrum in Steglitz. Nicht, weil das besonders schön ist, sondern weil der Therapeut, den er später aufsuchen muß, seine Praxis in der Nähe hat. Also Einkaufszentrum. Arno Funke mischt sich unter die Leute. Er weiß, daß die meisten ihn aus der Presse kennen. Doch nur wenige erkennen ihn. Denn Arno Funke ist Dagobert. Und der sitzt im Gefängnis.
Vor dem Einkaufszentrum spielt eine dieser Andengruppen, die ständig den Kondor kreisen lassen. Arno Funke hört zu und blinzelt in die Sonne. Dann geht er in einen Buchladen und kauft ein norwegisches Wörterbuch. Weil seine Mutter Norwegerin war und er als junger Mann einige Jahre dort gelebt hat und weil er nachts in seiner siebeneinhalb Quadratmeterzelle einen norwegischen Radiosender hört.
Arno Funke möchte gern Chinesisch essen gehen. „Vielleicht laden Sie mich ein?“ fragt er kokett. Er verspricht, nur eine kleine Portion zu essen. Dabei weiß er ganz genau, daß sich Dutzende von Zeitungen und Fernsehsendern darum reißen, ihm ein üppiges Essen und noch viel mehr zu spendieren. Denn morgen abend wird er sein Buch „Mein Leben als Dagobert“ in Berlin vorstellen. Dazu kehrt er in die Nähe des Ortes zurück, wo er 1996 zu neun Jahren Haft verurteilt wurde. Er wird in einer Buchhandlung gegenüber dem Landgericht aus seinem im Ch. Links Verlag erschienenen Buch lesen.
Erinnern Sie mich nicht daran. Mir ist schon übel, wenn ich nur daran denke. Ich habe an der ambivalenten Geschichte zu knabbern, Straftäter zu sein und in den Medien präsent zu sein. Wenn ich den Literaturnobelpreis bekommen würde oder wegen meiner Bilder in der Öffentlichkeit stehen würde, hätte ich weniger Probleme.
Arno Funke sucht einen ruhigen Tisch im Restaurant. Doch es nützt alles nichts. Eine Frau erkennt ihn. Sie kommt mit seinem Buch in der Hand an den Tisch. „Sie sind doch Arno Funke?“ fragt sie. Arno Funke lächelt und fragt, welchen Namen er in das Buch schreiben soll. Eigentlich stört es ihn nicht, erkannt zu werden. Solange die Kontakte freundlich sind, sei es zu ertragen. Selbst Beschimpfungen könne er verstehen. Denn schließlich hat er Straftaten begangen. Doch in der Regel schlägt ihm Wohlwollen entgegenschlagen. Oft von ganz biederen Leuten.
Das hat damit zu tun, daß viele Menschen das Bedürfnis haben, sich nicht an Gesetze zu halten und auszubrechen. Nur, viele trauen sich nicht auf den Putz zu hauen.
Jetzt, nach vier Jahren hinter Gittern, will es Arno Funke beschaulich, ruhig und geregelt. Er blickt auf die Uhr. Er muß zum Therapeuten. Am Anfang seiner Haftzeit, als er unter schweren Depressionen litt und mehrere Selbstmordversuche unternahm, bekam er starke Antidepressiva. Jetzt, wo es ihm besser geht, wird er zur Therapie geschickt. So will es die Senatsverwaltung für Justiz. Arno Funke ist ein mustergültiger Häftling. Er will sich nichts zuschulden kommen lassen. Er hofft, zum Jahreswechsel in den offenen Vollzug zu kommen.
Nach dem Vorstellungsgespräch bei dem Arzt überlegt er, was er mit den verbleibenden drei Stunden anfängt. „Gibt es nicht einen Puff mit roten Laternen?“ fragt er. „Das war ein Witz“, fügt er hinzu und lacht ein wieherndes Lachen, das seinen akkuraten Oberlippenbart wackeln läßt. „Ein Orgelkonzert wäre auch nicht schlecht. Aber nicht im Puff.“ Arno Funke kann es nicht lassen. Er glaubt, den Witzbold spielen zu müssen.
Dann sagt er, daß er gern in ein Museum gehen möchte. Das meint er ernst. Als er vor der kürzlich eröffneten Gemäldegalerie im Kulturforum gegenüber vom Potsdamer Platz steht, blickt er auf die Spielbank, das Hyatt-Hotel und die Mercedes-Zentrale. „Voll geil, Alter“, ist das erste, was ihm einfällt. Das sind Worte, die im Knast gesprochen werden.
Ich muß lernen, auf meine Worte zu achten. Ich spreche wie unter Freunden. Die kennen meine Ironie. Ich gebe mich so, wie ich bin. Ich will mich auch nicht mehr krumm machen. Früher habe ich versucht, everybody's darling zu sein. Das geht nicht.
Bevor der Kunstliebhaber Arno Funke die Gemäldegalerie betritt, muß er sich „auswringen“. Mit leerer Blase schlendert er an Boticelli, Rubens und Rembrandt vorbei. Zu fast jedem Bild fällt ihm etwas ein. Mittelalterliche Pin-up-Girls oder Vermutungen über Hämorrhoiden eines genuesischen Herrn aus dem 17. Jahrhundert.
Das Aufsichtspersonal stößt sich gegenseitig die Ellenbogen in die Hüften. Sie erkennen den berühmten Besucher. Doch sie schweigen. Nur ein Mann an der Kasse hält ihn beim Hinausgehen zurück. Er bittet ihn um ein Autogramm auf einem Hundertmarkschein. Funke wägt eventuelle rechtlichen Folgen ab und unterschreibt. Der Mann im Kassenhäuschen wünscht ihm alles Gute und schaut ihm voller Bewunderung nach.
Eine Bewunderung, die Arno Funke gefällt und nicht gefällt. Schließlich hat ihm sein Coup außer fünf Millionen Mark Schadenersatzforderungen von Karstadt, einem zweiseitigen Eintrag in einem Weltgeschichtslexikon und einer zweifelhaften Berühmtheit nicht viel eingebracht. Seine philippinische Frau hat sich von ihm scheiden lassen, seinen achtjährigen Sohn darf er einmal im Monat sehen. Dem muß er dann erklären, daß er nicht Steine klopfen muß und daß es keine Todesstrafe gibt.
Kürzlich schrieb Arno Funke auf Wunsch einer Abiturklasse das Vorwort für deren Abschlußzeitung. Das Thema: „Wissen ist Macht oder: Das Positive an Niederlagen. Scheitern als Chance?“
Habe ich von dem Scheitern profitiert? Ich bin reich an Erfahrung geworden. Aber das sind Erfahrungen, die man keinem empfehlen kann. Ich bin ja nicht reich an positiven, sondern an negativen Erfahrungen. Und das war nicht Ziel der Unternehmung.
Wieder hat er die Kurve gekriegt. Arno Funke macht es einem leicht und schwer zugleich. Man sieht ihn, begrüßt ihn und redet wie mit einem alten Bekannten. Doch wer ihn während der Gerichtsverhandlung erlebt hat, wo er an manchen Tagen vollgepumpt mit Antidepressiva teilnahmslos vor sich hinstarrte, und wer sein Buch gelesen hat, ahnt und hofft, daß da mehr ist als diese unverbindliche, freundliche Art. Man will wissen, ob er den Sinn des Lebens, der ihm damals, als er die Idee mit der Erpressung hatte, abhanden gekommen war, nun gefunden hat.
Der Sinn des Lebens ist so profan, daß es erschreckend ist. Es ist nur eine Weitergabe von Informationen. Wir leben in einer Informationsgesellschaft. Deswegen schreiben Leute Bücher, um etwas zu hinterlassen. Aber etwas Geheimnisvolles, Tieferes gibt es nicht.
Arno Funke ist bescheiden geworden. Er ist froh, wenn er Ausgang hat und Zeit und Muße für die Zeichenaufträge für ein Berlin- Special von Geo und das Satiremagazin Eulenspiegel, in deren Redaktion er einen Teil seiner Ausgänge verbringt.
Die Emotionen sind zurückgekehrt. Ich kann wieder Stimmungen empfinden. Wenn ich mit dem Fahrrad durch die Stadt fahre und die Sonne scheint, geht es mir richtig gut.
Arno Funke hat die Zeit im Gefängnis genutzt. Er trinkt nicht mehr und hat auch keine Depressionen mehr. Er berauscht sich an Literatur: Dostojewski, Fallada, Camus. Auch über seine Taten hat er nachgedacht. Doch ob er sie bereuen soll, weiß er nicht.
Ich habe zu oft über das Wort Reue nachgedacht. Ich verbinde damit mehr als andere. Oft ist Reue nur eine Worthülse. Reue über einen Autokauf, weil einen die Karre im Stich läßt. Oder Gefangene, die vor Reue zerfließen. In Wahrheit ist es aber Selbstmitleid. Wenn man das Wort Reue näher betrachtet, löst es sich auf.
Ein bißchen Angst habe ich davor, daß die Depressionen zurückkommen. Doch ich lasse es auf mich zukommen. Wenn ich entlassen werde, muß ich neu anfangen. Das Beste, was mir passieren könnte, ist, daß ich ohne Zeitdruck malen und schreiben kann. Und vielleicht eine gutverdienende Akademikerin kennenlerne, die selten zu Hause ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen