Bergsteigen in Bremen: Am Anfang war die Idee
■ Folge 1: Warum unserem Alpinisten beim Anblick Bremens die Eier bimmeln
Ziegelberg, Rosenberg, Steinberg – Bremens Straßennamen erwecken den Eindruck, als lebten die BewohnerInnen längs der Weser inmitten einer Alpenlandschaft. Aber Bremen ist flach – zumindest für den, der nur seinen Augen traut. Profibergsteiger Tim Ingold klettert ab heute wochenlang gekonnt über manche Alliterationskette, überquert bei seiner Suche nach Bremens Bergen blindlings alle sich ihm in den Weg stellenden Metaphernschluchten und bewegt sich zehn Folgen lang wagemutig am Rande des Nonsenskraters. Der Berg ruft. Und die taz hat ihn erhört. Lesen Sie selbst.
Ich habe ein neues Hobby. Nacktcampen. Aber das tut hier nichts zur Sache, denn ich möchte über das Bergsteigen berichten. Kennen Sie das Gefühl, etwas unbedingt, unbedingt, unbedingt tun zu müssen, auch wenn es noch so absurd ist? Nein? Wolfgang Hildesheimer kennt es. Er hat Eulen nach Athen getragen. Wenn Sie schon mal bei McDonald's gegessen, Veronas Welt gesehen oder bei einer Telefonsex-Hotline angerufen haben, kennen Sie es auch.
Jedenfalls, kürzlich schlenderte ich durch den Bürgerpark. Mir quollen sämtliche Körperöffnungen über angesichts solcher Naturschönheit. Es blühte, strahlte, funkelte, wuchs, zwitscherte, trillerte, tirilierte, jubilierte, quakte, blökte, brüllte und gedieh, erstens, in einer nie gesehenen Pracht und zweitens, daß mir ein kurzes Nachsinnen über meinen Drogenkonsum nicht völlig unangebracht schien. Der Frühling entfaltete seine pubertäre Pracht mit Pauken, Posaunen und anderen Alliterationen, was mich um so mehr erstaunte, da Herbst war.
Werden Sie nicht ungeduldig, ich komme noch zum Bergsteigen; zunächst hatte ich jedoch einen synästhetischen Orgasmus, daß mir – entschuldigen Sie die grobe Wortwahl – die Eier bimmelten. Übrigens, eine Synästhesie ist, wie mir mein Psychiater ... nein, wie mir der Psychiater eines Freundes ... nein, wie mir ein entfernter Bekannter, der zufällig Psychiater ist, erklärte, eine Überschneidung der Hoheitsgebiete der drei (bei Dagmar Berghoff) bis acht (bei EsoterikerInnen) Sinne. Zum Beispiel hören Sie etwas, das man gar nicht hören kann. Stellen Sie sich vor, Sie hören das Gras wachsen. Das ist eine opto-akustische Synästhesie. Oder Sie gehen zur Haustür, obwohl das Telefon klingelt. Das ist keine Synästhesie, sondern Dummheit. Ein synästhetischer Orgasmus ist jedenfalls alles auf einmal. Man hört also das Telefon wachsen und geht gleichzeitig zur Haustür, weil das Gras klingelt. Oder so.
Solcherlei Erleben ermöglichte mir der Bürgerpark, und ich möchte auf diesem Wege allen Gärtnern, Architekten, Vögeln, Rehen, Hunden und sonstigen Lebewesen für diese wahrhaft religiöse Erfahrung danken. Was dachte ich mir also? Ich dachte mir: Bremen ist schön! Ganz ernsthaft und nicht mit dem herablassenden ironischen Unterton, den sich überhebliche Jungfeuilletonisten, die im Theatro sitzen und Gauloises rauchen, angewöhnt haben. Plötzlich sah ich eine Gruppe junger Menschen auf mich einstürmen. Sie waren gut gelaunt, bunt gekleidet und schleppten die gesamte Produktpalette eines Fun-Sport-Centers mit sich herum: Frisbees, Mountainbikes, Rollerblades, Surfbretter, Bungeeseile, verchromte Vibratoren, Kanus, Plastikhanteln, den ganzen Plunder.
Ich dachte mir: Die Jugend in Bremen ist schön. Und sie hat schöne Hobbies. Und sie hat viel Energie, denn es ist drei Uhr nachts, gähn, warum bin ich nicht im Bett? Nur das schönste aller Hobbies können diese schönen, lieben Kinder im schönen Bremen nicht ausüben, die erhabene Königin der Hobbies: das schöne Bergsteigen.
Das Thema bei Jörg Pilawa heute morgen war: „Wenn du mit dem Fressen nicht bald aufhörst, verlasse ich dich.“
Tim Ingold
Folge 2 „Die Idee reift heran“ erscheint in der nächsten Woche
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