: Verärgerung über Bögers Vorpreschen
■ SPD-Fraktionschef Klaus Böger erklärte als erster der drei möglichen Spitzenkandidaten seine Bereitschaft zur Kandidatur für die Wahl 1999
Mit Verärgerung und Enttäuschung haben gestern mehrere Sozialdemokraten auf den Vorstoß von SPD-Fraktionschef Klaus Böger reagiert, der als erster der drei möglichen Kandidaten offiziell seine Bereitschaft zur Spitzenkandidatur erklärt hat. „Ich bin über den Zeitpunkt enttäuscht“, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Klaus-Uwe Benneter. „Dies ist der Versuch einer Eigeninszenierung auf Kosten der Partei. Das kann niemand gutheißen.“ Bögers Vorpreschen sei „unsolidarisch gegenüber der Gesamtpartei“.
Der geschäftsführende Landesvorstand, dem auch Benneter angehört, hatte Anfang der Woche vorgeschlagen, die Frage der Spitzenkandidatur durch eine Urwahl der Mitglieder zu klären. Damit sollte vermieden werden, daß die nächsten Monate von einer Personaldebatte bestimmt werden. Parteichef Detlef Dzembritzki hatte mit den drei potentiellen Kandidaten – Walter Momper, Peter Strieder und Klaus Böger – vereinbart, daß sie die Personaldebatte nicht anfachen. Daß sich ausgerechnet der sonst so disziplinierte Böger daran nicht hielt, wurde gestern als Indiz für dessen wachsende Nervosität gewertet. Eine innerparteiliche Mehrheit für eine Spitzenkandidatur Bögers wird derzeit als „wackelig“ eingeschätzt. Verärgerung gab es auch darüber, daß Böger an die Öffentlichkeit ging, in der Fraktionssitzung am Dienstag aber nichts über seine Absichten verlauten ließ.
Momper und Strieder erklärten gestern, sie wollten sich an das verabredete Verfahren halten und sich jetzt nicht zu ihrer Kandidatur äußern. Momper, der verwundert über Bögers Vorstoß war, verwies darauf, daß die Partei in vielen Punkten ihr Profil schärfen müsse.
Enttäuscht über Bögers Schritt zeigte sich der Kreuzberger Kreisvorsitzende Andreas Matthae. Er glaubt, daß der Fraktionsvorsitzende damit Sympathien verspielt habe. Zudem hätte sich Matthae gewünscht, daß es im Vorfeld zu einer Einigung über die Spitzenkandidatur kommt. Aus dem Wahlkampf der Bundespartei habe man lernen können, daß nur eine geschlossene Partei und ein Team wie Schröder/Lafontaine erfolgreich seien.
Doch die Möglichkeit, daß der Landesvorstand bis Januar noch eine einvernehmliche Lösung unter den drei Kandidaten herbeiführen kann, ist nach Bögers Vorstoß unwahrscheinlicher geworden. Der Wilmersdorfer Kreisvorsitzende Christian Gaebler kritisierte gestern die Führungslosigkeit des Landesverbandes: „Es wäre Aufgabe des Parteivorsitzenden, hier für Ordnung zu sorgen.“
Der Reinickendorfer Kreisvorsitzende Reinhard Roß sprach sich entschieden gegen die Urwahl aus. Er hoffe auf einen „Aufschrei der Basis“. Sein Kreisverband bereitet für den SPD-Parteitag im November einen Antrag gegen eine Urwahl vor. Falls diese nicht zu vermeiden sei, solle sie noch vor Weihnachten abgeschlossen werden. Roß wünschte sich, „daß sich die drei Kandidaten untereinander einigen“. Dorothee Winden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen