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War's der Herrgott oder schon die Nato?

■ Ein Gefühl ohnmächtiger Erwartung bestimmt die Atmosphäre in Belgrad: Angesichts des drohenden Nato-Schlages zeigen die Menschen alle Anzeichen einer ordentlichen Kriegshysterie

Vergangenen Dienstag kurz nach Mitternacht brachte ein starkes Erdbeben Serbien ins Wanken – zumindest die Erde: Es schüttelte und rüttelte, Panik brach aus, Menschen liefen in ihren Pyjamas auf die Straße. „War's der Herrgott oder doch schon die Nato!?“ war der erste Gedanke vieler aus dem Schlaf geweckter Bürger. Der Sachschaden war gering, Todesopfer waren nicht zu beklagen. Daß ein Luftangriff der Nato ganz andere Folgen haben würde, dessen sind sich die Einwohner Serbiens sehr wohl bewußt.

Wie ein finsterer Schatten legt sich die Drohung der westlichen Allianz über Serbien. Zumindest in Belgrad ist die Meinung weit verbreitet, daß der UN-Sicherheitsrat der Nato noch in dieser Woche grünes Licht für einen Militäreinsatz im Kosovo geben werde. Eine bisher nicht bekannte Kriegspsychose packt das Land. Ein Gefühl machtloser Erwartung bestimmt die Atmosphäre.

„Wird man uns bombardieren?“ Diese Frage wird in Belgrads Kneipen, Geschäften und auf der Straße diskutiert. Die Wut der meisten Serben ist gegen Deutschland und Amerika gerichtet. „Das ist eine verdammte Ungerechtigkeit! Wenn die Albaner Serben abschlachten, kümmert das niemand. Und wegen dieses angeblichen Massakers an albanischen Zivilisten, das nicht einmal bewiesen ist, will man ganz Serbien bombardieren“, empört sich Mirjana, eine 27jährige Lehrerin. Dabei verteidige Serbien doch nur sein Staatsterritorium gegen albanische separatistische Terroristen. Ihre Familie überlege daher schon, Belgrad vorsichtshalber zu verlassen und im Wochenendhaus auf dem Land die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates abzuwarten.

Unabhängige serbische Medien sprechen von 600 schon bestimmten Radar- und Flakstellungen in Serbien und Montenegro, die in der ersten Phase eines Nato-Angriffs mit Boden-Boden-Raketen von in der Adria stationierten Flugzeugträgern zerstört werden sollen. In der zweiten Phase sollen militärische Flughäfen und Stützpunkte bombardiert werden und in der dritten Kommunikationssysteme und die Infrastruktur des Landes.

Frau Professor Mirjana Markovič, die Gattin des jugoslawischen Präsidenten, Slobodan Milośevič, bezeichnete alle unabhängigen Medien schlichtweg als „fünfte Kolonne“, die Panik schüre und mit der man gefälligst abrechnen müsse.

Die Menschen in Serbien haben Angst, das Regime aber schweigt, ausgenommen die Tiraden einzelner Politiker über die „Weltverschwörung gegen die Serben“. Weder trat der Oberste Verteidigungsrat zusammen, noch wurden die Menschen vor einem möglichen Luftangriff gewarnt. Nur Vojislav Seselj, der serbische Vizepremier und Vorsitzender der extrem- nationalistischen „Radikalen Partei Serbiens“, wurde in seiner martialischen Art konkret: „Wenn die uns angreifen, werden wir mit allen in die Aggression involvierten Ländern diplomatische Beziehungen abbrechen und Nato-Soldaten in der ganzen Welt jagen. Die Bürger dieser Staaten sollten lieber gleich abhauen. Und wehe den jugoslawischen Staatsbürgern, die dem Ausland dienen, vor allem westlichen Medien, solche werden nicht einmal von der Genfer Konvention beschützt!“

Washington hat allen Amerikanern schon empfohlen, Jugoslawien zu verlassen, ein Teil des diplomatischen Personals zieht schon aus Jugoslawien ab. Auch die meisten EU-Botschaften in Belgrad folgten dem Beispiel.

Das „Hard Rock Café“ im Zentrum Belgrads ist jeden Abend voll. „Ich mag dieses Regime ja auch nicht, aber daß wir bombardiert werden, nur weil Bill Clinton nach seinen Sexspielchen seine politische Männlichkeit beweisen will, das finde ich nun wirklich pervers“, meint der Geschäftsmann Goran. Es falle ihm nicht im Traum ein, einer eventuellen Mobilmachung zu folgen: „Soll ich wie im Zeichentrickfilm mit einem Gewehr Raketen abschießen?“ fragt er. Weder Goran noch die meisten Gäste des überfüllten Cafés wissen, daß das populäre Lokal eigentlich ein Atom-Luftschutzbunker ist, in dem sie getrost und sicher bei einem Glas Bier Bomben der Nato trotzen könnten. Angesichts eines möglichen Luftangriffs stellte sich heraus, daß der Großteil der insgesamt 3.193 öffentlichen Luftschutzbunker in Belgrad als Geschäftsräume vermietet wurden und die Stadtbehörden nicht einmal die Schlüssel haben.

Die meisten Serben empfinden das Säbelrasseln der Nato als eine skandalöse Ungerechtigkeit, eine brutale Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates. Zumal die serbische Regierung beteuert, die wichtigste Forderung des UN-Sicherheitsrates längst erfüllt zu haben, die Sondereinheiten der Polizei und die Armee im Kosovo hätten sich bereits vorige Woche in ihre Kasernen zurückgezogen. Alle Augen sind nun hoffnungsvoll auf das brüderliche, orthodoxe Rußland gerichtet, das mit einem eindeutigen Machtwort das militante Muskelspiel des „katholischen, serbenfeindlichen“ Westens aufhalten soll. Andrej Ivanji, Belgrad

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