: Dressed to Kilt
Löscht die Lupinen, schnürt die Schuh und schneuzt euch mit Niveau: Der vierte Teil von Diana Gabaldons unendlicher Highland-Geschichte ist da. Der Erfolg der Schotten-Saga liegt auch am Netz. Ein Lob der Schmonzette ■ Von Petra Kohse
Natürlich ist es die Sehnsucht, die in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet. Oder uns andernfalls immer wieder dem Leben entsagen läßt. Uns vom Schlafen abhält bis zum Morgengrauen, den Kontakt zur Mitwelt trübt und auf unseren abgetretenen Dielen geistige Reiche erschafft, in denen zum Unten stets das Oben gehört und zur Entsagung die Erfüllung. Orte voller Schicksal, Wahrheit und Leidenschaft. Jawohl, es gibt sie noch, die guten, alten Dinge, und im gleichen Maße, wie sie frühere Gesellschaften bestätigen mochten, wirken sie heute zersetzend. Denn Ich ist dann oft eine andere: Fangt schon mal ohne mich an, ein paar Seiten muß ich noch lesen!
Das erste Mal passierte es beim „Herrn der Ringe“. Dann kamen „Das Geisterhaus“, „Die Nebel von Avalon“ und sogar „Traumzeit“ von Barbara Wood. Wer jetzt lacht, hat gut lachen, ist immun und der wirklichen Welt ein sicherer Kantonist. Wer aber nicht lacht, kann sich freuen, denn die Outlander-Bände von Diana Gabaldon umfassen bereits über viertausend Seiten.
Der erste Band erschien vor sieben Jahren in den USA, vor drei Jahren brachte Blanvalet aus der Bertelsmann-Gruppe die deutsche Übersetzung im Hardcover heraus, letztes Jahr Goldmann das Taschenbuch. Seitdem geht es Schlag auf Schlag. Jeden Sommer zur Reise- und Lesezeit ein Band mehr der raffinierten Zeitreise ins schottische Hochland des 18. Jahrhunderts. „Feuer und Stein“ („Outlander“), „Die geliehene Zeit“ („Dragonfly in Amber“), „Ferne Ufer“ („Voyager“) und seit August auch „Der Ruf der Trommel“ („Drums of Autumn“).
„Zwei, drei Tage nachdem ein Band erschienen ist, rufen bei uns schon Leute an und fragen, wann der nächste herauskommt“, sagt Berit Böhm, die Pressereferentin des Blanvalet Verlags. Das wundert nicht, Entäußerung ist meistens nur als Sucht zu haben. Trotz der Startauflage von 50.000 Exemplaren mußte fünf Wochen nach dem Erstverkaufstag bereits die vierte Auflage gedruckt werden, in der Beststeller-Liste des Spiegel hat „Der Ruf der Trommel“ inzwischen Platz neun erklommen. Und das, obwohl kaum Kritiken veröffentlicht wurden.
Talent, Biß und Netzzugang
Ohnehin wird Diana Gabaldon als Literatin nur an den Rändern der Medienwelt wahrgenommen, in der Bäckerblume, Frau mit Herz, Hallo Gera oder, immerhin, dem Bonner Generalanzeiger. Als Internet-Autorin allerdings ist sie auch schon der Zeit und der Frankfurter Rundschau aufgefallen, denn genau das ist neben ihrem erzählerischen Talent und Durchhaltevermögen der zweite Grund für Diana Gabaldons Erfolg: Sie nutzt das Netz.
Genauer gesagt kam die heute 46jährige Meeresbiologin und dreifache Mutter aus Arizona überhaupt erst durch das Internet zum Schreiben. Zwölf Jahre lang hatte sie eine Professur im Zentrum für Ökologie in Arizona, wo sie Computerprogramme entwickelte. Später rezensierte sie Software für Computermagazine und lernte so auch das Literaturforum von CompuServe kennen. Sie kam und blieb – gesegnetes Land des Anything goes!
Wie Diana Gabaldon auf ihrer Homepage erzählt, verfiel sie rein zufällig auf das Thema des Buches, das sowieso nur ein Versuch sein sollte. Eines Abends kam eine alte Folge von „Dr. Who“ im Fernsehen, in der der zeitreisende Doktor ins Jahr 1745 und an einen Schotten gerät. Das war ein „süßer, kleiner Junge, etwa 17, hieß Jamie MacCrimmon, und er sah ziemlich hübsch aus in seinem Kilt. Und ich sagte mir: Nun, du mußt irgendwo anfangen, und es ist völlig egal wo, da es ohnehin nie jemand lesen wird, also warum nicht? Schottland, 18. Jahrhundert. Und damit begann ich – ohne Entwurf, ohne Figuren, ohne Handlung. Nur der Ort und die Zeit.“
Nur der Ort und die Zeit – und keine zehn Jahre später planen Hunderttausende (und hält man die liebevoll mit keltischen Mustern dekorierten Fan-Ecken im Netz für repräsentativ, dann vorwiegend weibliche) Gabaldon- Fans zwischen Lateinamerika und Schweden einen Urlaub in den schottischen Highlands, sind von der Idee der Zeitreise besessen, stehen im Prinzip auf Familie und Tradition, zweifeln aber an ihrer eigenen Ehe oder Beziehung.
Denn diese Schizophrenie ist der Preis für das Vergnügen: daß man in den Auszeiten des Lesewahns nie das Bestehende, sondern nur das Mögliche für wahr und richtig halten kann. Wobei wahnerzeugend nur ist, was die Grenzen des Möglichen resolut erweitert, dem eigenen Entwurf dabei aber stilistisch gewachsen ist. Man muß sich schneuzen müssen bei der Lektüre, doch das mit Niveau. So gesehen ist Diana Gabaldon ein Glücksfall. Denn ihr monumentaler Science-fiction-, Abenteuer-, Geschichts- und Liebesroman ist witzig und im größten Stile voller kenntnisreicher Details.
Einfach läßt sich die Geschichte, an der Gabaldon ihre Internetfreunde ausschnittweise jeweils schon vorab teilhaben läßt, tatsächlich nicht erzählen. Aber sie beginnt damit, daß die Krankenschwester Claire Randall kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Flitterwochen mit dem Historiker Frank in Inverness verbringt, ein englisches Paar im schottischen Hochland. Beim Kräutersuchen gerät Claire in einen Steinkreis, tritt ohne Absicht durch einen gespaltenen Stein und findet sich am gleichen Ort 1743 wieder, wenige Jahre bevor Bonnie Prince Charles die unzureichend ausgestatteten Hochlandschotten gegen die Engländer in die Schlacht führt und damit in ein Massaker, das die Geschichte der schottischen Clans beendet.
Vorbereitet nur durch ihre Arbeit in Kriegslazaretten taumelt Claire von einer gefährlichen Situation in die nächste, zunächst als Faustpfand zwischen den Fronten, bald aber als Frau des jungen Jamie Fraser, ein von den Engländern geächteter Anführer eines unbedeutenderen Clans. Es kommt zu allem, was man sich erhofft: Kampf- und Liebesszenen, innerlichen Zerreißproben der nun in zwei Welten verankerten Heldin, Burgleben, Intrigen, Mord und Folter, Landleben und Jagd, einem Hexenprozeß, einer Seereise nach Frankreich, Szenen in einem Kloster, bei Hofe und in Paris sowie tausenderlei Schilderungen von Gerüchen und Landschaften, Mode und Zeitkolorit, heilkundlichen Einzelheiten und der Erörterung des Zeitreisen-Phänomens. Denn Claire ist – ja, das weckt die Neugier und steigert den Teilhabekoeffizienten in absoluten Zahlen! – nicht die einzige Besucherin aus der Zukunft in der Vergangenheit.
Am Ende des ersten Bandes ist Claire schwanger und geht zurück in ihre Welt. Im zweiten kehrt sie nach zwanzig Jahren in die Vergangenheit zurück, im dritten reist sie mit Jamie nach Amerika, im vierten tritt beider Tochter ebenfalls die Reise durch die Steine an. Wer solches mag, kann es bei Gabaldon lieben. Man wogt durch die Seiten, gehalten durch die erstaunliche Fülle akkurat ineinander verwobener Handlungsstränge. Jedes neue Element ist vorbereitet, wird durchgeführt und überraschend abgeschlossen in einem Moment, da bereits anderes im Vordergrund steht. Spannungsabfall gibt es nicht, und auch keinen Gott aus der Maschine. Gabaldons einziger Trick ist, daß sie die Geschichte in Einzelteilen schreibt und alles erst am Ende zusammenfügt. Das zahlt sich aus, ebenso wie die Streifzüge der Autorin durch das Infoparadies Internet.
Und zwischen allen historischen Details verliert Gabaldon nie den angenehm distanzierten und mit der Ironie des 20. Jahrhunderts begabten Blick ihrer Protagonistin Claire darauf. Eine Figur übrigens, die man sich ein bißchen wie Joyce Carol Oates ohne Brille vorstellt: klein, zart und schon immer intelligenter als der Klassendurchschnitt, die aber in den zum Äußersten entschlossenen Fan-Ecken des Internets – „Und dann nahm ich meine Farbstifte und zeichnete von beiden ein Porträt...“ – eher als eine Art Verona Feldbusch der Highlands figuriert. So findet jeder, was er sucht.
Und jede, was sie braucht. Denn auch der rothaarige Keltenabkömmling Jamie ist Diana Gabaldon vollendet gelungen. Ein Mann, der nicht nur verantwortungsbewußt, klug und stark ist und mit Pferden umgehen kann, der nicht nur schön, sinnlich, leidenschaftlich und treu ist, der nicht nur Schach spielt, lateinisch zitiert, sprachbegabt ist und den literarischen Diskurs pflegt, sondern der auch noch, es ist nicht zu fassen, seine Socken selber strickt! Jedes Jota weniger wäre Kitsch, aber Gabaldon weiß, wie weit sie zu überziehen hat. „Wenn eine Frau diese Bücher liest und nicht anfängt, von Jamie zu träumen, sollte sie ihren Östrogenhaushalt überprüfen lassen“, schreibt Denise aus DeMaria 6aol.com ins Dreambook des Claire-&-Jamie-Ring.
Imagepflege mit Tartan-Folklore
Übersetzt wurde der vierte Band von Barbara Schnell, eine – Bonner Generalanzeiger, Die Zeit – auch journalistische Vorkämpferin Diana Gabaldons in Deutschland. „Der Ruf der Trommel“ liest sich wunderbar, während es in den vorigen Bänden manchmal holpert, was an den Schnittstellen der Arbeit des zwei- bis dreiköpfigen Übersetzerteams liegen mag. Als Reihe zu erkennen sind die Bücher übrigens nur an der rosenübersäten Tartan-Folklore der Umschlaggestaltung, gerade so als könnten sie auch einzeln funktionieren. Das tun sie nicht. Die gelegentlichen Was-bisher-geschah- Einschübe sind unelegant und beleidigen den echten Leser, denn nicht zuletzt ist der Genuß auch ein sportlicher.
Am Ende wird man fast siebentausend Seiten über Claire & Jamie gelesen haben, denn geplant sind noch Band fünf und sechs, mit den englischen Arbeitstiteln „The Fiery Cross“ und „King, Farewell“ sowie das Making-of-Buch „The Outlandish Companion“. Und falls das Warten auf Nachschub allzu schwer fällt, so trinkt Whisky, lernt Dudelsack spielen oder fahrt gleich in die Highlands – das Scottish Tourist Board freut sich schon! Aber auch wer keinen Puffer für die Rückkehr ins wirkliche Leben braucht, wird aus der Mitte des Alltags heraus die Lupinen löschen und die Schuhe schnüren, sobald Folge fünf erscheint. Schwupps, sind wir dann wieder weg. Denn natürlich gibt es Steinkreise! Man nennt sie auch Schmonzetten.
Diana Gabaldon: „Feuer und Stein“ (dt. von Elfriede Fuchs und Gabriele Kuby, 1995, Goldmann TB 1997), „Die geliehene Zeit“ (dt. von Sonja Schumacher, Rita Seuß und Barbara Steckhan, 1996, Blanvalet TB 1998), „Ferne Ufer“ (dt. von Petra Hrabak, Sonja Schumacher und Barbara Steckhan, 1997) und „Der Ruf der Trommel“ (dt. von Barbara Schnell, 1998), alles Blanvalet, ca. 50 DM
Homepage: http://www.cco.caltech.edu/~gatti/gabaldon/gabaldon.html
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