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Pillenritt in die Glückseligkeit

Romantik in Zeiten von Techno: die inspiriert gefilmte Drogen-Liebelei „Wasted!“  ■ Von Christian Buß

Ist das der Himmel? Zärtlich schiebt Jacky ihrem Freund Martijn eine halbe Ecstasy-Pille in den Mund; der bedankt sich, indem er ihr Dosenbier ins Gesicht spritzt. „Merkst du was?“ – „Nein, ich merke gar nichts.“ Jacky schiebt ein paar nach, Martijn spritzt noch ein bißchen mit dem Bier. Dann geht's los. Erst zu einem Rave irgendwo in der Walachei, dann an den Strand. Die Bilder laufen verzögert ab, trotzdem changieren die Orte in fliegendem Wechsel.

Ian Kerkhof hat einen Film über Techno gemacht und die Drogen, die dazugehören, und Einheit stellt sich natürlich nicht über die möglichst plausible Verknüpfung von Zeit und Raum ein. Wir sind hier ja nicht in Hollywood, sondern Holland. Der Regisseur fährt in Wasted! mit allerlei digitalen Gimmicks auf, läßt die Bilder rasen, bremst sie – je nachdem, welche Substanzen sich seine Helden gerade reingepfiffen haben. So verrückt er die Wahrnehmungshierarchien, schiebt in den Vordergrund, was sonst in den Hintergrund verdammt ist. Er überlagert Bilder, streckt Sequenzen. In seinen besten Momenten erzählt der Film nicht nur von Techno, sondern ist Techno. Der Schnitt funktioniert nach dem Prinzip des Stroboskops, die Logik ist die des Remixes. Schöne Stellen dürfen da wiederholt werden, und besonders schön anzuschauen ist es, wie sich die Liebenden am Anfang im gleißenden Weiß der Meeressonne zu zwei einander umspielenden Punkten verlieren. Romantik in Zeiten hochgefahrener Beats.

Apropos Zeit: Wasted! ist keineswegs der heißeste Scheiß in Sachen Techno. Schon vor zwei Jahren wurde er fertiggestellt – wenn am Ende ironischerweise ein paar Leute niedergemetzelt werden, die kurz zuvor bemerkten, daß man doch nicht in einem Film von Tarantino sei, merkt man das. Und man merkt es auch an einigen Tracks, die ungefähr das gleiche Haltbarkeitsdatum haben wie das T-Shirt von Martijn. Auf dem prangt der Schriftzug „Fuck Chirac!“ Trotzdem ist es löblich, daß das Metropolis den Film jetzt doch noch für das Hamburger Publikum zugänglich macht. Denn unter dem Anspruch, den state of the art einer Pop-Kultur zu verkörpern, schlummert ein echtes Melodram.

Ian Kerkhof erzählt zwar in Episoden, fokussiert die Aufmerksamkeit auf einzelne Momente, stellt das Erleben separater Augenblicke in den Vordergrund, trotzdem bedient er sich des klassischen Melodram-Personals. Da sind die beiden Liebenden, die sich durch eine Dummheit verlieren, und irgendwann taucht das Böse auf in Form eines Dealers, der Sushi ißt statt alten Cornflakes. Vor dem Sex saugt er Koks vom Körper nackiger Frauen, nach dem Sex vertrimmt er sie. Da muß auch Jacky, die Naive vom Lande, durch.

Am Ende wird der Dealer von einem Haufen aufgeheizter Gabba-Prolos mit Baseballschlägern zur Strecke gebracht, und Jacky fällt Martijn in die Arme. Das ist die wunderbare Pointe an Wasted!, der streckenweise Kulturpessimisten in die Hände spielt: In der Schlußsequenz fahren die Liebenden in Martijns alter Kiste einer besseren Zukunft entgegen – in ihre Vorstellung einer besseren Zukunft. Mit einer ganzen Tasche voll geklauter Pillen nämlich. Das ist der Himmel.

morgen, 21.15 Uhr; Fr, 9., 19 Uhr; Sa, 10., 21.15 Uhr; So, 11., 19 Uhr; Mo, 12., 21.15 Uhr; Di, 13., 21.15 Uhr; Mi, 14., 19 Uhr; Do, 15., 21.15 Uhr; Sa, 17., 21.15 Uhr; So, 18., 19 Uhr; Mo, 19. Oktober, 19 Uhr, Metropolis

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