Schicksale zum Verheizen?

■ Für Bildergeschichten werden Lebensberichte bedürftiger Menschen benötigt: Spendenaktion „Weihnachtshilfe“ von Weser Kurier und Sozialbehörde sorgt für Kritik

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Gitta Baruske, Rechtsberaterin der Aktionsgemeinschaft arbeitsloser Bürger (AGAB) fühlt sich dieser Tage an das Zitat von Kurt Tucholsky erinnert. Es passe zur Spendenaktion „Weihnachtshilfe“, die von der Bremer Tageszeitungs-AG und der Sozialbehörde organisiert wird.

Das Konzept ist einfach. Bedürftige BremerInnen (nicht nur Sozialhilfeempfänger) melden sich beim Sozialamt. Das Amt leitet die Bitte weiter an einem Verein, in dem Sozialsenatorin Tine Wischer (SPD), zwei leitende Mitarbeiter der Tageszeitungs AG und Vertreter der Sparkasse sitzen. Der Vergabeausschuß des Vereins sucht die schlimmsten Schicksale aus. Die Bedürftigen erzählen ihre Gesichte dem Weser Kurier. Die Zeitung veröffentlicht das Schicksal mit einem Bild, auf dem die Gesichter nicht zu erkennen sind. Die Leser bekommen Mitleid und spenden.

„Die Idee, einen Geldtopf zu schaffen, aus dem unbürokratisch geschöpft werden kann, ist gut“, sagt Baruske. „Aber hier werden die Schicksale von Leuten verheizt.“

Diese Empörung teilt die Abgeordnete Karoline Linnert (Grüne). Sie hat jetzt eine Frage für die Fragestunde in der Bremischen Bürgerschaft formuliert. Ihre Kritik: Wenn der Rechtsanspruch auf soziale Leistungen „den Anstrich einer Wohltätigkeitsveranstaltung“ bekomme, werde „dem Abbau von Rechten Vorschub geleistet“. Armut zu bekämpfen sei Sache des Staates. Außerdem sei die Sprache der „Richtlinien für die Spendenaktion“, die die Sozialbehörde derzeit an ihre Mitarbeiter verteilt, „zynisch“. „Für die Veröffentlichung der Bildergeschichten im Weser-Kurier werden Schicksale benötigt“, ist eine Passage, die Linnert kritisiert. „Deshalb die Bitte“, heißt es weiter, „falls Ihnen in ihrem ,wirtschaftliche-Hilfen-Alltag ein Klient auffällt, dessen Problem Sie für gut darstellenwert halten, bitte melden Sie sich...Erwünscht ist dafür die Bereitschaft, daß eine Bildgeschichte im Weser Kurier veröffentlicht werden kann.“

Olaf Joachim, Sprecher von Sozialsenatorin Tine Wischer (SPD), versteht die Kritik nicht. „Wenn ich böswillig bin, kann ich das so interpretieren“, hält er Linnert entgegen. Es ginge bei der Aktion jedoch „um Bereiche, die der Staat nicht abdeckt“.So könnte beispielsweiser einer alleinerziehenden Mutter ein Fahrrad für das Kind finanziert werden. Außerdem sei die Aktion „keine Bremensie“. Die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Rundschau und die Hannoversche Allgemeine Zeitung hätten bereits über Jahre gute Erfahrungen mit solchen Spendenaktionen gemacht.

Elisabeth Voß, Redakteurin bei der Hannoverschen Allgemeinen, betreut die Spendenaktion der HAZ, die ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem Sozialamt organisiert wird, seit über 20 Jahren. 1,5 bis 1,7 Millionen Mark sammelt sie jährlich. Einer jungen Frau, alleinerziehend und krebskrank, konnte mit der Aktion geholfen werden. Bei den Spendenempfängern handele es sich vor allem um Leute, deren Einkommen gerade eben über dem Sozialhilfesatz liegen. Kleider, warme Schuhe, Weihnachtsgeschenke für die Kinder, seien die häufigsten Wünsche, weiß Voß. Die Kritik an solchen Aktionen hört sie nicht zum ersten Mal. Sozialarbeiter weigern sich mitunter, ihr Bedürftige zu vermitteln, erzählt Voß. „Die sind sowieso schon so arm und müssen sich jetzt auch noch prostituieren“, sei das häufigste Gegenargument. „Journalistisch ist das ein schmaler Grad“, gibt die Redakteurin zu. „Aber es geht mir nicht darum, eine rührselige Geschichte zu erzählen, sondern darum, Armut darzustellen.“ Bei aller Kritik habe die Aktion einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Voß: „Das A und O ist die Spendenverteilung.“ Und durch die Zusammenarbeit mit dem Sozialamt sei gewährleistet, daß jeder Pfenning tatsächlich Bedürftigen zugute komme. Kerstin Schneider