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Hohe Kunst oder „Ärgernis“: Die „plastinierten“ Menschen, die in Berlin in der Ausstellung „Die Macht des Alters“ gezeigt werden, sorgen für Aufregung. Eine Besucherin, die Strafanzeige gegen den Künstler stellte, sieht in ihm einen Fall für die Psychiatrie Aus Berlin Ulrich Clewing

Makabres Arrangement zum Anfassen

Der Anblick ist nichts für schwache Nerven. Der Mann scheint zu laufen, mit weit ausholendem Schritt steht er da. Er ist nackt, mehr noch: Man hat ihm die Haut abgezogen, die Muskelstränge vom Knochen getrennt. Die Fleischfetzen hängen herunter, als flatterten sie im Wind. Es ist ein Bild wie aus dem Gruselkabinett, und doch ist alles echt, eine präparierte Leiche, derzeit mit drei weiteren Präparaten in einer Kunstausstellung im Berliner Kronprinzenpalais zu sehen. Ihr Titel: Die Macht des Alters.

Der verantwortliche Ausstellungsmacher Bazon Brock ist begeistert, schwärmt von einer neuen Einheit von Kunst und Wissenschaft. Andere sind weniger angetan von dem makabren Arrangement: In den regionalen und überregionalen Tageszeitungen hagelte es Verrisse, von einem „Ärgernis“ war die Rede, manche Kritiker empfanden das Ensemble schlicht als „widerlich“. Doch wer geglaubt hatte, die Sache sei damit erledigt, wird nun eines Besseren belehrt. Eine schockierte Besucherin hat gegen den Urheber dieser Präparate, den Heidelberger Pathologen Gunther von Hagens, Strafanzeige gestellt. Ihre Vorwürfe: Verwendung von Leichen für die Herstellung von Kunstobjekten, Betrug an Spendern sowie Mißbrauch der beruflichen Möglichkeiten als Pathologe. Darüber hinaus hat Mariele Bergmann, Diplompsychologin und Graphikerin, einen an verschiedene Institutionen und Personen adressierten offenen Brief verfaßt, Kopien gingen unter anderem an Bundespräsident Roman Herzog, Schirmherr der „Macht des Alters“, an die Berliner Ärztekammer und die Leiter der involvierten Museen. Was Bergmann dadurch erreichen möchte, läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Entweder werden die Exponate von Hagens entfernt, oder die ganze Ausstellung wird geschlossen: „Hier ist eine Grenze überschritten worden.“ Wäre von Hagens kein Arzt, käme er für die Verwirklichung seiner Phantasien in die Psychiatrie, sagt Bergmann.

Es ist nicht das erste Mal, daß der Heidelberger Arzt mit seinen Menschenpräparaten Anstoß erregt. Als vor einem Jahr im Museum für Technik und Arbeit in Mannheim die Ausstellung „Körperwelten“ mit dreißig dieser Figuren gezeigt wurde, waren es vor allem Vertreter der Kirchen, die gegen die Präsentation protestierten. Für sie ist sie Störung der Totenruhe. Auf dem Gebiet der Ethik bewanderte Forscher wie der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff bezweifelten, daß „die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben der wahre Grund für die Ausstellung sei“, und unterstellten von Hagens Publicitysucht und rein kommerzielle Interessen. Umsonst: Die Ausstellung wurde ein Riesenerfolg, innerhalb der ersten beiden Wochen strömten 40.000 Neugierige ins Mannheimer Museum, am Ende hatten rund 700.000 Menschen von Hagens Plastinationen (benannt nach dem speziellen Verfahren der Konservierung, der „Plastination“) gesehen.

Die Abstimmung mit den Füßen ist für die Organisatoren der „Macht des Alters“ denn auch eines der Hauptargumente für die neuerliche Zurschaustellung der präparierten Leichen, frei nach dem Motto: Was Hunderttausende für gut befunden haben, kann nicht auf einmal schlecht sein. „Der Sachverhalt geht längst über die individuelle Reaktion und Betroffenheit hinaus“, sagt Bazon Brock. Der Wuppertaler Ästhetikprofessor, einer der ersten Verfechter der Interdisziplinarität, ist überzeugt: „Hier handelt es sich um die Etablierung einer neuen wissenschaftlichen Disziplin.“ Einen Namen hat er dem Kind auch schon gegeben: bildende Wissenschaften oder zu englisch „imaging“. Ähnlich sieht die Angelegenheit Dieter Ronte, Direktor des Kunstmuseums in Bonn, wo die Ausstellung anschließend zu sehen sein wird. Auch Ronte hat nichts dagegen, die grotesk verformten Menschenkörper in seinem Haus zu zeigen, obgleich er einschränkt: „Eine Einzelausstellung mit den Präparaten würde ich nicht machen.“ Im Zusammenhang mit den übrigen Kunstwerken der „Macht des Alters“ aber sei da nichts einzuwenden.

Hagens selbst versteht sich als Wissenschaftler und Vertreter einer Avantgarde, die sich dunkler Mächte wie etwa der inquisitorischen Staatskirche erwehren muß. Nicht nur, daß er und seine Apologeten Traditionen bemühen, die bis in die Renaissance reichen (Brock: „Leonardo war auch Künstler und Wissenschaftler“), er verkauft sich auch gern als Wohltäter. Körperspender hätten neben der Aussicht auf Unsterblichkeit Vorteile, wenn sie zu ihm kommen: „Sie sparen die Beerdigungskosten.“

Andere Beteiligte sind sich ihrer Sache offenbar nicht so sicher. Bei der Bonner Stiftung für Kunst und Kultur, Mitveranstalter der „Macht des Alters“, ist zu erfahren, daß es intern heftige Diskussionen über eine Beteiligung von Hagens gegeben habe, man sich am Schluß jedoch von Ausstellungsmacher Brock überzeugen ließ. Gleiches hört, wer beim Hauptsponsor der Ausstellung nachfragt, ironischerweise der Lebensversicherer Deutscher Herold, Köln. Er persönlich habe da zwar eine ganz andere Meinung, könne noch nicht einmal sein eigenes Blut sehen, sagt ein Sprecher der Versicherung. Andererseits gelte die Maxime: „Wir als Sponsor wollen keinen Einfluß auf die Gestaltung der von uns unterstützten Ausstellungen nehmen.“

Und doch gibt es auch für die Befürworter der Ausstellung noch Diskussionsbedarf. Heute abend um 18.30 Uhr findet im Berliner Kronprinzenpalais ein Podiumsgespräch zum Thema statt.

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