: Kunst in den Bau
■ Gestern wurden im Deutschen Bundestag Unter den Linden die Kunstkonzepte für Reichstag und Bundestagsneubauten vorgestellt
Befragt man die Kunst im öffentlichen Raum nach der Identität der Stadt, so erhält man in Berlin bisher weit auseinanderliegende Antworten. Denkmäler wie Micha Ullmanns versenkte Bibliothek auf dem Platz der Bücherverbrennung oder die Piktogramme von Renata Stih und Frieder Schnock, die im Bayerischen Viertel an die Vertreibung der Juden erinnern, haben Jahrzehnte nach dem Ende des Faschismus die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit aufgenommen.
Deutlich hebt sich davon die Kunst der neu in der Stadt angekommenen Investoren ab, die wie Ausrufezeichen für einen Identitätswechsel vor Bürobauten und in Atrien stehen: groß, bunt und poppig. Mit den Kunstkonzepten für den Reichstag und die Bundestagsneubauten wird jetzt eine neue Ebene hauptstädtischer Identität beschworen: Dort wird die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Demokratie gesucht.
Noch braucht man allerdings Phantasie, um sich das Zusammenspiel von Architektur, Kunst und Politik auszumalen. Denn in der Ausstellung „Kunst und Parlament“, in der jetzt das Kunstkonzept für den Reichstag veröffentlicht und die Wettbewerbsergebnisse für die Innenhöfe des Paul- Löbe-Hauses vorgestellt werden, sind fast nur Baustellenfotos des Reichstags zu sehen. Darunter erläutern Texte die künstlerischen Vorhaben. So kommt es, daß die Deutung der Realisierung vorauseilt.
Direkten Bezug auf die Geschichte des Reichstages und des Deutschen Bundestages nehmen Jenny Holzer und Christian Boltanski, die zugleich als Vertreter der alliierten Mächte USA und Frankreich einbezogen wurden. Über einen zweigeschossigen Pfeiler läßt Holzer in Leuchtschriften Zitate parlamentarischer Reden laufen, die Geschichte machten. Mit 7.500 Metallkästen will Boltanski ein Archiv der Abgeordneten seit 1871 anlegen. Ein schwarz lackierter Kasten markiert die Jahre von 1933 bis 1945.
Aus der ehemaligen Sowjetunion wurde Grischa Bruskin eingeladen, England wird durch den Architekten Sir Norman Foster repräsentiert. Alle anderen Künstler kommen aus Deutschland, unter ihnen Polke, Richter, Baselitz, der kürzlich verstorbene Carl-Friedrich Claus, Hanne Darboven und Rosemarie Trockel. Die Realisierung ist für April 1999 anvisiert, auch wenn von einigen Künstlern, wie Hans Haacke, bisher noch Entwürfe fehlen.
An der Direktvergabe der Aufträge für den Reichtsag, die ohne öffentliche Diskussion und durchweg an etablierte Künstler gingen, war Anfang des Jahres Kritik laut geworden, die sich vor allem an der Einbeziehung von Bernhard Heisig entzündete. Daß die Kunstkommission an ihm festhielt und seine Vergangenheit als Kulturfunktionär in der DDR nicht in die Argumentation einbeziehen wollte, kann Heisig, der von dem Kunstbeirat Götz Adriani als einziger Künstler zur Ausstellungseröffnung persönlich begrüßt wurde, als Sieg verbuchen. Sein Panoramabild deutscher Katastrophen in expressiv zerfetzter Malerei soll den „schönsten Gegensatz“ (Adriani) zu den blauen Wänden der Caféteria bilden.
Statt den Streit um Heisig aufzugreifen, gab sich Rita Süssmuth als Noch-Hausherrin des Reichstages moderat. Lieber stellte sie ihre Freude über die Rückkehr von Joseph Beuys' „Tisch mit Aggregat“ in den Vordergrund. Es ist kaum zu glauben, daß die kleine Bronzeskulptur, die mit Kabeln und Batterie ein essentielles Bild von Energie geben möchte, bei ihrer Aufstellung im Bundestag in Bonn soviel Haß auf sich zog, daß sie verschwinden mußte. „Die Form der Auseinandersetzung war inakzeptabel geworden“, sagte die scheidende Bundestagspräsidentin.
Ansonsten wirkt das Konzept für die Ausgestaltung plausibel, aber, dem Entwurfsstadium entsprechend, unkonkret. Das Bekenntnis, Kunst vor ideologischen Angriffen schützen zu wollen, wird durch die Aufstellung einer abstrakten Skulptur von Otto Freundlich bestärkt. Sein „Neuer Mensch“ war 1937 auf dem Plakat der Ausstellung „Entartete Kunst“ abgebildet.
Daß man auf den Kontext deutscher Geschichte auch aus einer Distanz reagieren kann, die ironisch mit den Klischees nationaler Identität spielt, beweist (e.) Twin Gabriel mit zwei Skulpturen für die Innenhöfe des Paul-Löbe-Hauses. Aus den Profilen von Goethe und einem deutschen Schäferhund entstehen „Deutscher 1“ und „Deutscher 2“. Dieser erzählerische Beitrag bildet eine Ausnahme in dem ansonsten mit architekturkompatibler und minimalistischer Kunst von Ulrich Horndash, Imi Knoebel, Elsworth Kelly und François Morellet ausgestatteten Haus. Katrin Bettina Müller
Die Ausstellung im Deutschen Bundestag, Unter den Linden 50, ist bis zum 10. November tägl. 12–20 Uhr geöffnet.
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