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Glücksparade

■ Lottogesellschaften machen sich TV-Shows für kostenlose Werbung zunutze - die leiten zur Glücksspielsucht an, sagen Verbraucherschützer

Erst einige Monate ist es her, daß die Londoner BBC die Spielshow „Dream Ticket“ einführte, bei der die Gewinner per Rubbellos ermittelt wurden. Eine Welle der Empörung folgte: Verbraucherschützer klagten, die Show mache offen Werbung und verführe Minderjährige zum Glücksspiel. Sechs bis sieben Prozent der heranwachsenden Briten sind laut einer aktuellen Studie glücksspielsüchtig oder stark gefährdet. Die gebührenfinanzierte BBC gestand den Fehltritt schnell ein – „Dream Ticket“ wurde eingestellt.

Soviel Einsicht liegt Deutschlands öffentlich-rechtlichen Sendern fern. Im Gegenteil, im Quotenkampf mit den Privaten Sendern steigt die Zahl der Spielsendungen mit hohen Gewinnen. Die Lotteriegesellschaften können sich dabei ins Fäustchen lachen: Das nahezu werbefreie Umfeld der Öffentlich-Rechtlichen ist für sie ideal.

Glücksspielshows auf allen Kanälen

Die ARD lancierte vor wenigen Wochen zusammen mit dem Block der Lottogesellschaften der Bundesländer die „Lotto-Show“. Wer mitspielen wollte, brauchte ein Los des Spiel 77.

Eine bei der ARD zu kurz gekommene Produktionsfirma trug ihre Ideen kurzerhand zur privaten Konkurrenz. RTL gebar die Show „Millionär gesucht“ mit Günther Jauch und der Süddeutschen Klassenlotterie (SKL). Die gleiche Gesellschaft ist auch bei Sat.1 dabei. In der vor zwei Wochen gestarteten Sendung „Gottschalk kommt“ hat der Münchner Lotteriebetreiber ein eigenes Gewinnspiel. Heute kommt „TeleBingo“ der werbefreien ostdeutschen ARD- Anstalten dazu (siehe Kasten).

Damit ist der durch die Ziehungen der Lottozahlen markierte Glücksspielsamstag des deutschen Fernsehens noch nicht ausgelastet. Auch die Norddeutsche Klassenlotterie drängt ins Fernsehen. Für kommendes Frühjahr bereiten ZDF und die Lotteriegesellschaft eine Samstagabendshow mit Michael Schanze vor.

Der Arbeitstitel: „Glücksparade“. Im Norden haben sich zehn, im Süden sechs Bundesländer zu Klassenlotterien zusammengeschlossen. Den Vertrieb besorgen private Lotterieeinnehmer, die etwa ein Siebtel der Einsätze erhalten, etwa doppelt soviel wie eine Lottoannahmestelle. Im Gegensatz zu den staatlichen und halbstaatlichen Gesellschaften des Lottoblocks dürfen sie aggressiv werben.

Notorisch irreführende Versprechungen

Geworben wird mit den Konterfeis der Moderatoren Gottschalk, Jauch und Schanze sowie mit notorisch irreführenden Versprechen wie „94 Prozent Gewinnchance“ (SKL). Daß tatsächlich kaum mehr als 50 Prozent der Einsätze ausgeschüttet werden, erfahren die Verbraucher nicht. Alfred Töpper von der Stiftung Warentest über das „Preis-Leistungs-Verhältnis“: „Ein abschreckender Faktor, über den nicht mehr informiert wird, als das Gesetz es vorschreibt.“ Vor zehn Jahren hatte die Stiftung festgestellt, daß es mit den Kentnissen der Stochastik bei Lottospielern nicht weit her ist. Doch sieben Milliarden Mark Lotteriesteuern, Gewinnablieferungen und Spielbankabgaben für die Staatskassen machen das Interesse der Politik an stärkeren Aufklärungspflichten nicht eben groß.

Laut einer Studie über „Glücksspielsucht und Delinquenz“ hatte jeder Sechzehnte, der wegen Spielsucht in Therapie war, auch oder ausschließlich Lotto gespielt. Lotto sei zwar weniger suchtgefährdend als Automaten- und Casinospiel, aber keinesfalls harmlos, sagt der Bremer Psychologe Gerhard Meyer: „Lotto ist für viele das erste Glücksspiel, mit dem sie in Berührung kommen.“ Die massive Medienpräsenz der Einstiegsdroge hat den Arbeitskreis Glücksspielsucht auf den Plan gerufen. „Jetzt wird noch die letzte Oma hinter dem Ofen vorgelockt“, fürchtet Sprecherin Ilona Füchtenschnieder: „Da wird eine Mentalität gefördert, in der sich das Glücksspiel ausbreiten kann.“ Sie fordert „von öffentlich-rechtlichen Sendern mehr soziale Verantwortung“. Wer die Sender anspricht, erntet Unverständnis. Einen Protestbrief Füchtenschnieders gegen die „Lotto-Show“ beantwortete ARD- Programmchef Günther Struve: „Lotto-Revisoren“ hätten das Konzept „sorgfältig geprüft“. Aufklärung über die wirtschaftliche Seite des Glücksspiels haben laut MDR-Sprecher Stephan Link nichts in „TeleBingo“ verloren, „weil das eine Unterhaltungssendung ist. Eine Reportage über die Verwendung für Sport und Kultur kann in einer anderen Redaktion laufen.“ Stefan Löffler

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