piwik no script img

„Argumente aus der Steinzeit“

Billstedt: Morgen entscheidet der Ortsausschuß über feste Räume für die Fixerstube. Bürgerbegehren dagegen ist bereits geplant  ■ Von Elke Spanner

Nein, ein „zweites St. Georg mit Dealern, Raubüberfällen und Spritzen“ wollen die BillstedterInnen auf keinen Fall, schreibt die „Bürgerinitiative gegen Drogen“ in ihrem Aufruf. Kaum ist auf Bezirksebene das Bürgerbegehren in Hamburg eingeführt, demonstrieren AnwohnerInnen der Legienbrücke in Billstedt, was sie unter „Mehr Demokratie“ verstehen: Sie wollen mit einem Bürgerbegehren verhindern, daß die Drogenhilfeeinrichtung „Drug-Mobil“ feste Räume bekommt.

Bisher steht das „Drug-Mobil“ auf Rädern. Seit 1994 parkt der umgebaute Linienbus in Billstedt. Er beherbergt die erste Hamburger Fixerstube. Außerdem können Junkies hier ihr Spritzbesteck tauschen, ihre Wunden versorgen, sich beraten lassen oder zum Kaffee mit anderen KonsumentInnen treffen – auf knapp 30 Quadratmetern.

Daß derartige Drogenhilfeeinrichtungen politisch erwünscht sind, legte die rot-grüne Hamburger Regierung in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich fest. Daß das „Drug-Mobil“ viel zu eng ist, ist den BezirkspolitikerInnen klar, seit der ehemalige Linienbus umgebaut wurde. Deshalb beantragten SPD, CDU und GAL im Ortsausschuß Billstedt einhellig, dem Betreiber „Freiraum e.V.“ feste und größere Räume zur Verfügung zu stellen. Damit sollen „bessere Betreuungsmöglichkeiten sowie akzeptable Arbeitsbedingungen realisiert werden“, heißt es in ihrem interfraktionellen Antrag.

Das und nicht mehr soll jetzt geschehen, doch in Billstedt schlagen die Wogen hoch. Würden wie geplant Container an der Legienbrücke aufgestellt, würde die Drogenhilfeeinrichtung „den Leuten angenehm gemacht“, empört sich Anwohnerin Kathrin Hille. Das sei eine „Einladung an die Drogenszene, sich dort niederzulassen“.

Hille hat 885 Unterschriften gegen die Pläne gesammelt. In den kommenden Tagen will sich ihre Bürgerinitiative mit aufgebrachten AnwohnerInnen aus Hoheluft treffen. Die haben bereits ein Bürgerbegehren gegen die im „Café Drei“ geplante Fixerstube am U-Bahnhof Hoheluftbrücke angekündigt.

Fassungslos über die Feindseligkeit ist Norbert Dworsky von „Freiraum e.V.“: „Seit Jahren haben wir bewiesen, daß sich rund um das Drug-Mobil keine Szene ansammelt“, sagt er. Mit den NachbarInnen habe es nie Ärger gegeben, so daß er sich deren Ressentiments gegen DrogenkonsumentInnen kaum erklären kann. „Auf öffentlichen Anhörungen fielen Argumente aus der Steinzeit der Drogenpolitik“, bedauert er.

Im Ortsausschuß Billstedt wollen SPD, GAL und CDU am Dienstag entscheiden, ob an der Legienbrücke Container aufgestellt werden. Das müßte dann noch die Bezirksversammlung absegnen. Ihre Sternstunde wittert nun die Fraktion der rechtsextremen Deutschen Volksunion (DVU) im Bezirk. Deren Abgeordneter im Ortsausschuß, Georg Kosemund, hat sich auf die Seite der AnwohnerInnen geschlagen und läßt sich derzeit als der einzig wahre Vertreter der Volksinteressen feiern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen