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„Kleine Könige im eigenen Reich“

■ Wer ist die „Generation X“, wer sind die Kinder der 68er, und was denken sie von ihren Eltern? / Zwei Berliner Trendforscher reden gegen die These des Wertezerfalls der Jugend und für die Zukunft der Kleinteiligkeit

Die Not ist eine Tugend: Mit ihrem Buch „Tugend der Orientierungslosigkeit“ haben die zwei Trendforscher Christoph Clermont (geb. 1970) und Johannes Goebel (geb. 1968) letztes Jahr ein forsches Buch der Generation X auf den Markt geworfen. Der theoretische Unterbau der Kinder der 68er setzt gnadenlos auf Individualität. Gerade Vielfalt und Unterschiede, nicht Solidarität und Großgruppen garantieren das Fortschreiten der Gesellschaft, so die These. Die Selbstgefälligkeit der Apo-Opas elektrisiert sie, für Lagerdenken haben sie nur Spott übrig. Dafür ernten sie bei der älteren Generation vor allem zweierlei: Unverständnis und den Finger in die rechte Ecke. Letzte Woche waren beide zu Gast bei der Auftaktveranstaltung der Veranstaltungsreihe „Kinder der Freiheit - oder das Ende der Gesellschaft? Versuch einer Bilanz zur Ethik des kommenden Jahrhunderts“ der evangelischen Kirche und der Heinrich Böll-Stiftung. Beide verdienen ihr Geld mit ihrer „Werteagentur“ in Berlin-Neukölln: Die Agentur macht Internet-Designs und berät Firmen. Die umstrittene Pro-Castor-Anzeige, die im Frühjahr in der taz für Wirbel sorgte, haben die beiden übrigens auch ausgeheckt.

taz: Was prägt die Generation X, die 89er?

Christoph Clermont: Das ist ganz lustig: Es gibt inzwischen etwas, was wir einen umgekehrten Generationenkonflikt nennen. Die 68er haben sich gegen ihre Eltern, gegen die spießbürgerliche Generation und gegen die faschistische Vergangenheit aufgelehnt. Dann stellte sich die Frage, wann sich die Kinder der 68er, also wir, gegen ihre Eltern auflehnen. Das ist nie passiert. Die Kinder haben gesagt, na, wir kommen schon irgendwie klar. Dann sagten auf einmal die Eltern zu ihren Kindern: Aus euch wird ja nichts. Jetzt müssen die Eltern beobachten, daß aus ihren Kindern langsam doch was wird, auch wenn die Arbeits- oder Familien-Kontinuität, die die 68er selbst nie propagiert haben, bei den Kindern flöten gegangen ist. Die Eltern kritisieren ihre Kinder dennoch: Wenn das alte Geflecht durch ein ständiges Ein- und Aussteigen ersetzt wird, wie es die Kinder tun, dann sehen die Eltern die Kompetenz bei ihren Kindern schwinden, soziale Beziehungen zu halten, Bildung zu erwerben oder Dinge zu lernen.

Nachdem die „Alt-68er Eltern“ nicht mehr auf ihren „Nazi-Eltern“ rumhacken, sind sie jetzt unzufrieden mit ihren Kindern. Das ist der umgekehrte Generationenkonflikt.

Ihr sprecht für einen bestimmten Menschentyp. Seht ihr euch als Inkarnation eurer Generation in der westlichen Gesellschaft?

Johannes Goebel: Nein, das wäre absurd. Wir propagieren eine Vielfalt der Lebensmodelle, die andere Generationen nicht kennen. Da kann es keine Idealtypen geben. Unsere Generation zeichnet sich gerade dadurch aus, daß sie nicht irgendwelchen Wortführern hinterher rennt, sondern indem alle kleine Könige in ihrem eigenen Reich sind. Das Selbstmarketing gehört zu den Grundausstattungen der Generation. Wir sind eher Chronisten oder Deuter und ein wenig auch Mutmacher.

Heute abend waren hauptsächlich Alt-68er da, die eure Weltsicht skeptisch beäugen. Fühlt Ihr Euch von denen noch verstanden?

Christoph Clermont: Ja. Vor eineinhalb Jahren wurden unsere Thesen noch mit Pfui-Aussprüchen belegt. Das hat sich schon gewandelt, weil diese Leute eingesehen haben, daß statt des Verfalls doch etwas Neues kommt. In der Analyse der Symptome herrscht noch Einigkeit. Dennoch befinden sich die zwei Generationen in zwei Sphären: Was für den einzelnen Menschen unserer Generation die Unsicherheit des nächsten Tages bedeutet, das versteht eher der, der selbst davon betroffen ist und mit dieser Unsicherheit umzugehen gelernt hat. Wenn die Alt-68er heute ihre Werte predigen und uns kritisieren, ist das natürlich schon ein bißchen verlogen. Letztendlich haben die ja ihre Lebensbiographien durchbrochen: Vorher sind die auch hin- und hergehüpft und haben verschiedene Jobs gemacht. Bevor sie alle im öffentlichen Dienst gelandet sind, war das ein illustres Leben. So fremd ist den Alt-68ern unser Ansatzpunkt eigentlich nicht.

Johannes Goebel: Das betrifft natürlich nur einen Ausschnitt: das Experimentieren, eine größere Offenheit, das Plädoyer für mehr Optimismus. Vieles andere wird nicht so gut verstanden. Unser prognostizierter Abschied von der protestantischen Ethik zum Beispiel. Oder daß viel Scheitern oder Orientierungssuche zu unserer Generation gehört und es uns nicht darum geht, daß wir tough an einer propperen Aufbruchsgesellschaft werkeln.

Seid ihr ein Mix aus Anarchie und Neoliberalismus?

Johannes Goebel: Weit auseinander ist das ja nicht. So anarchistisch allerdings sind wir dann doch wieder nicht. Auf einer Veranstaltung vor ein paar Wochen haben Micha Brumlik oder Wolfgang Thierse uns „olle Konservative“ genannt. Unsere Konzentration auf den Einzelnen und unsere eher individualistische Weltsicht stellen uns natürlich in diese Ecke.

Was bedeutet euch denn irgendeine Art von Solidarität?

Johannes Goebel: An die organisierte Solidarität glaube ich nicht mehr. Solidarität kann es nur zwischen konkreten Menschen geben, alles andere ist keine Solidarität. Es gibt Dinge wie Armutsbekämpfung, Sozialtransfer, aber das sollte man nicht mit Solidarität verwechseln. Wenn ich meine Steuern zahle, bin ich nicht solidarisch, sondern gesetzestreu.

Könnt Ihr euch mit eurem Weltbild überhaupt noch einer politischen Richtung zuordnen?

Christoph Clermont: Na ja ...

Johannes Goebel: Das ist schwierig.

Seid ihr zur Wahl gegangen?

Christoph Clermont: Ja. Aber mir ist das noch nie so schwer gefallen wie dieses Mal. Das Problem war ja: Die SPD ist keine richtige SPD, weil die hat ja Stollmann und Schröder, die müßten eigentlich bei der CDU oder der F.D.P. sein. Dann die Grünen: Auf der einen Seite sind sie die Grünen, auf der anderen Seite sind sie Joschka Fischer. Das war schon verdammt schwer. Letztendlich habe ich aus Tradition die Grünen gewählt.

Fragen: Christoph Dowe

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