■ SPD: Lafontaine will Scharping nicht als Fraktionsvorsitzenden: Undurchsichtiges Spiel
Versetzen wir uns in die Haut von Rudolf Scharping. Lieber nicht? Tut zu weh? Mag sein, aber wir können ja zum Glück schnell wieder raus. Also: Nach der verlorenen Bundestagswahl 1994 haben Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder keine Gelegenheit ausgelassen, uns zu düpieren. 1995 auf dem Mannheimer Parteitag hat uns Lafontaine vom Amt des Parteivorsitzenden weggeputscht. Danach waren wir verletzt, gedemütigt, mit einem Wort: fertig. Aber wir waren vom ersten Moment an loyal, haben alles für den Wahlsieg getan, ohne Beanstandung die Fraktion geführt und jetzt, wo die SPD nach 16 Jahren endlich an der Regierung ist, da werden wir als lästiges Übel bloßgestellt oder anders gesagt: öffentlich geschlachtet.
So, schnell wieder raus aus der Haut von Rudolf Scharping. Geht's wieder gut? Jedenfalls begreifen wir nun, warum sich Scharping weigert, auf den Posten eines Verteidigungsministers abgeschoben zu werden. Es geht schon allein um Selbstachtung.
Was verständlich ist, muß deshalb noch nicht richtig sein. Gerade Scharpings Verweigerung erklärt, warum Lafontaine ihn aus dem einflußreichen Amt drängen will und Schröder mitmacht. Weil Scharping mit beiden noch ein Hühnchen zu rupfen hat, und sich darauf jetzt auch berufen kann, ist er für sie unberechenbar. Aber ist das etwa Grund genug? Die persönlichen Spannungen hat die SPD vor der gewonnenen Bundestagswahl erfolgreich ausgehalten und wird es auch weiterhin können.
Und wäre es etwa richtig, Scharping deswegen zu opfern, damit Lafontaine über einen Fraktionsvorsitzenden Müntefering ein stärkeres Gegengewicht zu Schröder installieren kann? Wenn es wirklich darum geht, sollte die SPD ihren Richtungsstreit offen austragen und in einer Kampfabstimmung ihren Fraktionsvorsitzenden wählen, statt ein undurchsichtiges Spiel auf Kosten des jetzigen Amtsinhabers zu betreiben.
Mag sein, daß es einfältig ist, in der Politik Anstand und Rücksichtsnahme zu erwarten. Andererseits geht es bei Politik, anders als bei Wirtschaftsunternehmen, nicht in erster Linie um Bilanzen und schwarze Zahlen, sondern um das gedeihliche Zusammenleben einer Gesellschaft. Eine Partei, die derart anrüchig agiert, daß sie einen ihrer Spitzenleute, ohne seine Arbeit in Frage zu stellen, ein zweites Mal demontiert, verliert Vertrauen für ihre Politik. Denn einer solchen Partei fehlt es vielleicht auch sonst an sozialer Kompetenz. Markus Franz
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