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Der Papst spricht Edith Stein heilig

Die Jüdin und spätere Ordensschwester wurde 1942 in Auschwitz-Birkenau ermordet. Ihre umstrittene Heiligsprechung wird den Konflikt zwischen Katholiken und Juden in Polen weiter verschärfen  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

Heilige müssen ein vorbildliches christliches Leben geführt, ein Wunder vollbracht oder einen Märtyrertod gestorben sein. Edith Stein, die Jüdin, die zum Katholizismus übertrat und 1942 in Auschwitz vergast wurde, ist seit gestern eine Heilige. Papst Johannes Paul II. zelebrierte die Messe für die in Breslau geborene Philosophin und spätere Nonne vor dem Petersdom in Rom.

Gegen die Heiligsprechung der deutschen Ordensfrau hatte wenige Tage zuvor das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Wien protestiert. Viele Christen würden die Erhebung der Konvertitin in den Stand der Heiligen als „Glorifizierung missionarischen Eifers“ begreifen. Dies stehe in einer Linie mit dem Versuch der Christianisierung des Holocaust und dem Aufstellen Hunderter von Kreuzen vor dem ehemaligen KZ Auschwitz.

Auch Rabbi Daniel Farhi, der der einflußreichen „Französisch- Jüdischen Liberalen Bewegung“ vorsteht, hält die Heiligsprechung Edith Steins für einen Fehler. „Warum will der Papst den Nachkommen der Opfer und denen, die den Holocaust überlebten, eine weitere Wunde zufügen?“ wird er in der Warschauer Tageszeitung Zycie zitiert. Seiner Meinung nach wird der seit einiger Zeit ohnehin angespannte Dialog zwischen Juden und Katholiken durch die Heiligsprechung zusätzlich belastet.

Edith Stein nämlich ist keineswegs als Christin den Märtyrertod gestorben, und sie hat den Gang in die Todeskammern von Auschwitz auch nicht als „Sühne“ auf sich genommen. Noch kurz bevor sie aus ihrem Kloster im vermeintlichen sicheren Echte in den Niederlanden deportiert wurde, hatte sie in verzweifelten Gesuchen beim Vatikan und bei Schweizer Behörden um Rettung gefleht. Doch die Behörden lehnten das Hilfegesuch und die Einreise Steins in die neutrale Schweiz ab. Die Antwort aus dem Vatikan gilt als verschollen.

Angeblich soll die Nachricht vom Tode der Karmeliterin Papst Pius XII. davon abgehalten haben, einen Protest gegen den Massenmord an den Juden zu veröffentlichen. Denn in den Niederlanden hatten die katholischen Bischöfe in einem Hirtenbrief gegen die Nazipolitik protestiert. Um jeden Widerstand im Keim zu ersticken, ordnete Reichskommissar Arthur Seyss-Inquart daraufhin eine Vergeltungsaktion an: Alle zum Katholizismus konvertierten Juden, insgesamt über 200 Personen, wurden nach Auschwitz deportiert. Unter den Opfern war auch Edith Stein. Als Papst Pius XII. von deren Tod erfuhr, habe er den vorbereiteten Protestbrief gegen den Massenmord an den Juden verbrannt. „Wenn der Brief der holländischen Bischöfe 40.000 Menschen das Leben gekostet hat, dann würde mein Protest womöglich mehr als 200.000 Menschen das Leben kosten“, habe der Papst laut Peter Gumpel, dem für Selig- und Heiligsprechungen zuständigen Jesuitenpater, erklärt. Es sei daher besser, so Papst Pius XII., „nicht offiziell zu reden, sondern im stillen zu handeln“. Für Pater Gumpel, der der italienischen Tageszeitung Awenire ein Interview gab, ist Edith Stein eine christliche Märtyrerin, denn der „Todesbefehl erfolgte aus Haß gegen die katholische Kirche“.

In Polen wird die Heiligsprechung der in Auschwitz-Birkenau ermordeten Konvertitin den Konflikt zwischen Katholiken und Juden weiter verschärfen. Ultrakatholiken, die seit Monaten einen Teil des ehemaligen Lagers besetzen, haben bereits angekündigt, demnächst auch in Auschwitz-Birkenau beten zu wollen. Niemand könne ihnen das verwehren, denn die „katholische Märtyrerin Edith Stein ist eine Heilige“.

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