: Schleichende Erosion des Diepgen-Senats
■ Mit der Rücktrittsankündigung von Wirtschaftssenator Elmar Pieroth (CDU) und der möglichen Kandidatur von Innensenator Jörg Schönbohm für den Vorsitz der Brandenburger CDU zeigen sich im Senat Auflö
Der Diepgen-Senat zeigt bedrohliche Auflösungserscheinungen. Wirtschaftssenator Elmar Pieroth (CDU) gab gestern bekannt, daß er nach 16 Jahren im Senat zurücktreten will. Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) bekräftigte, daß er grundsätzlich für den CDU- Vorsitz des völlig zerstrittenen Brandenburger Landesverbandes zur Verfügung steht. Auch eine Spitzenkandidatur für die Wahl des Brandenburger Landtags im Herbst 1999 zieht Schönbohm in Betracht. Er könne sich vorstellen, als Oppositionsführer in den Brandenburger Landtag zu gehen.
Darüber führte Schönbohm gestern vormittag ein Gespräch mit dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen. Danach erklärte Diepgen: „Die Entscheidung, ob der Innensenator dauerhaft seine Tätigkeit hier in Berlin oder in Brandenburg politisch wahrnimmt, muß er selbst treffen.“ Er gehe davon aus, daß dies in Kürze erfolge. Schönbohm will nun in weiteren Gesprächen mit der Brandenburger CDU klären, ob gemeinsame Ziele und Perspektiven formuliert werden können, sagte sein Sprecher Martin Strunden. Die Wahl des neuen Brandenburger CDU-Chefs ist für den 16. Januar geplant, über die Spitzenkandidatur soll erst im Frühjahr entschieden werden.
SPD-Chef Detlef Dzembritzki wertete Schönbohms mögliche Kandidatur in Brandenburg als „deutliches Signal“ gegen den Regierenden Eberhard Diepgen. Dies lasse aber auch Fragen an Schönbohms Verantwortungsbereitschaft gegenüber Berlin offen. Die Auflösungstendenzen der CDU gefährdeten die Regierungsarbeit in Berlin, so Dzembritzki. Für die SPD sei unvorstellbar, daß der Innensenator zusätzlich eine Funktion in Brandenburg übernehme. Seine Aufgabe erfordere den vollen Einsatz. SPD-Fraktionschef Klaus Böger warf Schönbohm vor, sein Amt mit einem Teilzeitjob zu verwechseln.
Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, erklärte, offenbar sehe Schönbohm keine Perspektive mehr in Berlin. In „Diepgens Hühnerstall“ habe er sich ohnehin nie einordnen wollen. Es sei allerdings erstaunlich, daß es „kaum noch Loyalitäten“ gebe. Diepgen und CDU- Fraktionschef Klaus Landowsky müßten sich allerdings fragen lassen, ob sie mit Schönbohm richtig umgegangen seien. Das Duo hatte den potentiellen Rivalen in der Vergangenheit mehrfach auflaufen lassen.
Sorge, ob der Regierende Bürgermeister den „Erosionsprozeß“ in den Griff bekomme, äußerte das CDU-Mitglied Joachim Feilcke. „Die Handlungsfähigkeit des Senats ist eingeschränkt“, so Feilcke. Die CDU treibe ungewollt das Thema vorgezogene Neuwahlen voran, so daß die SPD der lachende Dritte sei.
Nach Diepgens Zeitplan könnte das Abgeordnetenhaus am 12. November einen Nachfolger für Pieroth und für Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) wählen, die voraussichtlich Ministerin im Schröder-Kabinett wird. Einen Nachfolger für Pieroth nannte Diepgen gestern noch nicht, obwohl CDU-Staatssekretär Wolfgang Branoner zur Verfügung stünde. Der 63jährige Pieroth, der seit längerer Zeit als amtsmüde galt, erklärte, er wolle sich künftig der wirtschaftlichen Entwicklung Osteuropas widmen. Dorothee Winden
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