piwik no script img

Verse, die nach Wildkräutern duften

Wer Gedichte schreibt, hat es nicht leicht. Denn wer liest heute noch Lyrik? Und wo? Für den poetischen Augenblick unter der Dusche bietet sich jedenfalls die Shampooflasche als Versträger an. Und manche Lyriker scheuen sich nicht, zu Werbetextern zu werden  ■ Von Christine Berger

Alexander Sistenich dichtet und doch wieder nicht: „Mit Schröder, Fischer, Westerwelle ißt Kohl nur Krapfen auf die Schnelle“, heißt einer seiner Reime, die er täglich für eine Berliner Großbäckerei textet. „Natürlich ist das keine Lyrik“, wehrt der 28jährige Werbetexter ab. Die richtigen Gedichte entwickle er zu Hause, im sogenannten stillen Kämmerlein. „Seit ich 14 bin, schreibe ich, und bis vor sechs Jahren habe ich versucht, Verlage zu finden.“ Danach hat er es aufgegeben, seinen derzeitigen Job in einer bekannten Berliner Werbeagentur sieht er als Kompromiß.

„Dichten ist Berufung, Werbung mein Beruf“, bringt er auf den Punkt, was für viele wortgewandte Vertreter seiner Generation gilt. Als Dichter ein Forum zu finden oder gar einen Verlag, gilt als fast so aussichtslos wie sechs Richtige im Lotto. Und selbst wenn es gelingt, bildet Lyrik noch lange keine Existenzgrundlage. „Selbst Goethe hatte Nebenjobs und war Hofrat“, tröstet sich Sistenich und freut sich über sein regelmäßiges Einkommen.

Daß er abends oft nicht vor neun nach Hause kommt und deshalb die eigene Lyrik, die die Werbetexterei doch ermöglichen sollte, auf der Strecke bleibt, nimmt er nicht tragisch. Glücklich macht es ihn aber auch nicht. Stolz ist er, daß er auf den Webseiten von Bacardi-Rum, einem Kunde der Agentur, mittlerweile seine eigenen Märchenfabeln veröffentlichen darf. „Das ist eine Rubrik mit richtigen Geschichten, die Nische habe ich mir erkämpft.“ Viele andere Podien bleiben ihm derzeit sowieso nicht.

Daß die Werbung so manches literarische Talent verschluckt, liegt auf der Hand. Tagtäglich müssen Tausende Slogans, Headlines oder Wareninfos getextet werden – der Kampf um die Kundschaft nimmt so schnell kein Ende. Daß mittlerweile Markenstrategen Lyrik ganz offen verwenden, um ihr Produkt zu pushen, gibt dem Streit um das Textgut eine neue Wende. So bietet die Shampoomarke Timotei aus dem Hause Elida-Gibs seit Anfang diesen Jahres nicht nur Essenzen aus der Natur, sondern auch gleich die passende Lyrik dazu. Eduard Mörikes Frühlingsgedicht „Er ist's“ zum Beispiel ziert die Sorte „Blütennektar“, die Dichterin Hilde Domin wird via „Wildkräuter“ unter die Leute gebracht.

„Wann haben wir denn noch Zeit, Gedichte zu lesen?“ fragte sich Hans Stamer von der Elida- Marketingabteilung und fand zu der folgenreichen Erkenntnis: zum Beispiel unter der Dusche. „Normalerweise gibt es immer diesen Sermon über gelbe, grüne Haare hinten auf den Flaschen, wir wollten statt dessen ein Forum für Lyrik bieten.“ Gedichte aus der Natur, positiv und nährstoffreich bis zum Ausspülen. Daß die frischen Zeilen auf der weißen Plastikflasche auch dem Produkt zugute kommen, haben die Tüftler aus der Marketingabteilung angenehm zu spüren bekommen. „Wir haben begeisterte Reaktionen erhalten. Ein Kunde schrieb, daß er sich jeden Morgen auf die Dusche freue, weil er dann ein Gedicht lesen könne.“

Die Dusche als der neue Ort, um Lyrik zu lesen? Die Drogerie als Ersatz für die Buchhandlung? So weit soll es auch nach Stamers Ansicht nicht kommen. „Wir wollen mit unserer Kampagne die Haltung zur Lyrik verändern. Einen Schlüssel in die Hand geben, neugierig machen.“ Ein hehrer Ansatz, den auch die Verantwortlichen der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) so unterschreiben könnten. Mit ihrem Projekt Berliner Gedichte in der U-Bahn, das im vergangenen Jahr eine angenehme Abwechslung zur sonst gängigen Paech-Brot-Reimerei darstellte, war ebenfalls mehr als nur Imagepflege verbunden. „Wir wollten den Berlinern ein Stück Kulturgeschichte und Bewußtsein für ihre Stadt zurückgeben“, so U-Bahn-Betriebsleiter Norbert Klempert. Vierzig Gedichte auf Siebdruck wurden zu Tausenden ausgehängt, von Ringelnatz über Erich Kästner bis zu Ulrich Plenzdorf.

Auch Klempert klagt über die zunehmende Lyrikmüdigkeit im Land und fühlt sich mit seiner Initiative gleich noch ein bißchen als Weltverbesserer. „Durch die Werbung gibt es kaum noch Raum für Lyrik, weder in Zeitungen noch sonstwo.“ Daß so manches Kind eher einen Schokoriegel-Slogan auswendig weiß als ein Gedicht, findet er schrecklich. Auch in Zukunft will er die BVG, soweit finanziell möglich, als Forum für Lyrik erhalten. Gedichte im Verkehr zu lesen ist nicht nur in Berlin möglich. In Paris und New York verfolgen die U-Bahn-Betriebe schon seit längerem diese Art von Bildungspolitik. Dort läßt man sich die Alternative zur Werbung eine ganze Menge kosten und realisiert das Machbare auf einem mittlerweile gängigen Weg – mit Sponsoren.

Nicht alle Autoren sind mit einer Öffentlichkeit, die im Angesicht von Shampooflaschen oder Litfaßsäulen daherkommt, einverstanden. Die Lyrikerin Hilde Domin jedoch hat mit der Timotei-Liaison keine Probleme. „Das hat mich amüsiert“, erklärt sie. Die Verwendung einzelner Werke für Verkaufszwecke störe sie nicht. Ihre Grenze? „Daß meine Gedichte auf jeder Schokoladentafel abgedruckt werden, das ginge nicht“, erklärt die 86jährige. Ob ihr nicht klar sei, wieviel Shampooflaschen im Umlauf sind? Kein Kommentar. Für Domin ist die Flasche sowieso nur eines von vielen möglichen Foren. „Ich gehe in Schulen, publiziere in Universitätszeitschriften, gebe Lesungen.“ Wieso also nicht auch mit den Menschen unter der Dusche kommunizieren?

Da längst nicht alle Gedichte imagefördernd sind, haben zum Beispiel die Gedichte eines Gottfried Benn oder Erich Mühsam wenig Chancen, jemals den Weg auf Plakatflächen oder Shampooflaschen zu finden. Timotei-Vermarkter Stamer ahnt auch schon die Gefahr einer „Lyrikdiktatur“. Nur noch das Schöne und Gute, gedrechselt in appetitlichen Reimen, würde dann noch ein Forum finden. Kritische oder gar düstere Gesellschaftsbilder hätten keine Daseinsberechtigung mehr. „Die Gefahr besteht ganz klar“, so Stamer. Aber schließlich sei die Förderung „positiv geprägter“ Dichtkunst immer noch besser als gar keine.

Für die Fachwelt in Sachen Lyrik ist das Abdriften ihrer Materie in die Welt des Kommerzes keine Überraschung. Das gilt besonders für den Reim: Den Reiz, den ein Reimgedicht auf den Menschen ausübt, hat der Dichter Peter Rühmkorf ausführlich analysiert. Für ihn ist der Reim ein literarisches Beschwörungsmittel, eine allseits verbindende Lösungsformel. Die Ursprünge für die Begeisterung findet er in den menschlichen Urlauten. Jedes Baby, das mit Wauwau und Kacka die Welt ins Auge faßt, bringt die Dinge auf den Punkt und ersetzt sie. An diese Primärsprache werden wir, so Rühmkorf, jedesmal angenehm erinnert, wenn wir einen Reim vor uns sehen. Kein Wunder also, daß sich Sätze wie „Ach je, ruft der Opapa, ist schon wieder mal kein Paech-Brot da“ ins Gedächtnis einbrennen, ob man will oder nicht.

Reime haben im Vergleich zu prosaischen Sätzen diesen Vorteil: Sie prägen sich ein und sind so fest verankert, daß sie über Generationen in Gehirnen festsitzen. (Langnese: You are melting away like a happy day...) Daß der Griff zum Lyrikbuch immer seltener wird, ist also vielleicht nicht nur der Tatsache geschuldet, daß zum Lesen immer weniger Zeit aufgebracht wird. Denn wir sind via Werbung mit Reimen als Lyriksurrogat schon längst übersättigt. Zwar schmeckt die Werbereimerei immer ein wenig schal auf der Zunge, aber sie erfüllt ihren Zweck. Mehr Raum für die Verarbeitung von Geistesblitzen bleibt nicht. Und so sitzen potentielle Dichter, statt den Menschen ihre Sicht der Dinge zu erklären, weiter als Texter in hippen Agenturen, joggen mittags mit den Kollegen um die Büroblöcke und haben hinterher eine gute Idee. Die landet dann morgen auf Plakaten und übermorgen auf dem Müll der Konsumgeschichte.

Bleibt nur noch die Musik. Der Rap als Bastion lyrischer Texte hat auch uns Deutschen den Reiz des Reimens außerhalb von Brotreklame und Pizzawerbung wieder nähergebracht. Doch was wäre, wenn Bands wie Fettes Brot eines Tages Werbung für Margarine machten? Dann würden wir uns auch daran gewöhnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen