Sieben Sezessionisten

■ Deutsche Fußballclubs träumen davon, ihre Spiele selbst ans Fernsehen zu verkaufen. In Italien hat dieses Spiel schon begonnen

Daran hätte der Präsident des italienischen Profi-Fußballverbundes, Franco Carraro, bis vor kurzem sicher weder im Traum noch im Alptraum gedacht: daß die Verhandlungen über die Fernsehzukunft des Profifußballs nicht nur eine Geldgrube öffnen, sondern die Clubs in verschiedene Fraktionen entzweien könnten. Nun ist es soweit.

Es geht um die begehrten Übertragungsrechte für das Abonnentenfernsehen. In Italien, so kalkulieren Medienkonzerne, können Live-Übertragungen der Spiele zum Verkaufsschlager werden. Schließlich ist das Land derart fußballverrückt, daß Familienväter selbst bei Wochenendausflügen immer ein Transistorradio am Ohr halten. Und in keinem anderen Land Europas erscheinen zwei Tageszeitungen, die sich nur mit Sport beschäftigen. Nun wird darum gerungen, wer beim TV- Geschäft mit den Fußballmillionen den größten Happen abbekommt.

Begonnen hatte alles kurz vor Saisonstart Anfang September mit einer Bekanntmachung des Privatsenders Telepiú. Der möchte sich offenbar seine Programme ab Mitte nächsten Jahres von den interessantesten Mannschaften aus beiden Ligen zusammenstellen lassen. Deswegen werde Telepiú bis zum Jahre 2005 zwei Milliarden Mark zahlen und die Heimspiele der prominenten Vereine Inter Mailand, Juventus Turin, SSC Neapel und AC Mailand verschlüsselt im privaten Digital-TV übertragen, hieß es. Inzwischen sind noch drei weitere Mannschaften dem Abkommen beigetreten. Nun will Telepiú jährlich insgesamt 400 Millionen Mark an die nun sieben Vereine zahlen. Ein enormer Sprung, verglichen mit den 200 Millionen, die Telepiú für seine Übertragungen im Pay-TV und Pay-per-view (Abrechnung pro Spiel) gezahlt hat.

Doch nicht nur die Summen ändern sich: Bisher wird das Geld an den Fußballbund überwiesen. Der verteilt es auf die Vereine der Profi-Ligen – im Sinne eines Finanzausgleichs zwischen Arm und Reich. So funktioniert es auch in Deutschland, obwohl Großvereinen wie Bayern München oder Borussia Dortmund schon heftig davon träumen, ihre Spiele selbst zu verkaufen und kleine Vereine schon um ihren Teil vom Fernsehgeld bangen. In Italien könnte das Solidaritätsprinzip zwischen prominenten und unbedeutenderen Clubs mit dem Vorstoß der sezessionistischen Sieben gefährdet sein. Verbandspräsident Carraro möchte darüber freilich zur Zeit nicht viel sagen – und gesehen habe er auch nichts Ernstzunehmendes: „Bislang habe ich von Verträgen nur in der Zeitung gelesen.“

Dabei liegt auf dem Tisch des Verbandsfunktionärs bereits eine Reaktion der kleinen und mittleren Vereine. Sie bitten Carraro, den aktuellen Stand der Verhandlungen um die Fernsehrechte klarzustellen und dabei auf Transparenz und Rechtmäßigkeit zu achten. Sie seien der Ansicht, daß die gegenwärtige Satzung es keinem Verein erlaube, TV-Rechte an Veranstalter von verschlüsselten Programmen im Alleingang zu verkaufen. Tue es ein Club aber doch, „dann beschädigt er damit die ausbalancierte Struktur des Fußballbundes und gehört automatisch nicht mehr dazu“.

Die sieben abtrünnigen Clubs interpretieren die Grundsätze völlig anders. Das ist möglich, weil der Fußballbund nie eindeutig definiert hat, welches juristische Verhältnis zwischen den Fernsehrechten und den Vereinen besteht. Präsident Carraro erklärt indes, schon vor Monaten sei ein Arbeitskonzept für die nächsten sechs Jahre geschaffen worden. Das sehe vor, daß die einzelnen Vereine ihre Rechte an verschlüsselte Fernsehprogramme direkt verkaufen. Für den Rest sei der Fußballbund zuständig. „Auf dieser Basis sollten wir weiterarbeiten, ohne uns in juristische Abenteuer zu verstricken. Und wir werden uns einigen.“

Das ist leichter gesagt als getan. Bis zur nächsten Vollversammlung des Fußballbundes am 23. Oktober wird es weitere Angebote geben. Auf eines davon wartet der Fußballbund gespannt: auf das der italienischen Telecom-Tochtergesellschaft „Stream“. Dieses Unternehmen hat sich von einer unauffälligen Randerscheinung der italienischen Medienlandschaft zum Hoffnungsträger der Fernsehzukunft gewandelt. Der Vorteil von Stream: Telepiú gehört zu 90 Prozent dem französischen Pay-TV- Unternehmen CanalPlus, den Rest hält Medienmogul Silvio Berlusconi. Da gefällt es weder dem öffentlichen Fernsehen RAI noch der bis vor kurzem bestehenden Regierung, daß Telepiú einziger Anbieter von digitalem Fußballfernsehen und Quasi-Monopolist ist. Um an der digitalen Fernsehzukunft partizipieren zu können, bräuchte es nach Ansicht der Italiener auch ein mehrheitlich italienisches Veranstalterkonsortium – doch das gibt es derzeit nicht.

Der vorsichtige Versuch der Telecom Italia, mit Stream das Zukunftsgefühl TV schon in der Gegenwart zu verströmen, war nicht gerade von Erfolg gekrönt. Nur 60.000 Haushalte sind Kunden am digitalen Kabel. Außerdem ist das Projekt mit einem geschätzten Betrag zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Mark schwer verschuldet und schreibt konsequent weiter rote Zahlen. Der Wert aber ist kaum zu messen, denn die technischen Voraussetzungen für eine digitale Konkurrenz kann Stream von heute auf morgen anbieten. Möglicherweise nicht nur mit der RAI als Partnerin. Rupert Murdoch als Geldgeber ist ebenso im Gespräch wie das öffentliche französische Tf 1. Auch ein Marktinteresse der deutschen Telekom ist nicht ausgeschlossen: Sie bereitet sich darauf vor, sich ab März mit einem Stromkonzern und der France Telecom in einer Partnerschaft namens „Wind“ auf dem italienischen Markt umzuschauen. So könnte der bisherige Aschenputtelsender Stream gar zur privaten Fußball-Prinzessin der europäischen Fernsehzukunft mutieren. Den Vereinen kann das recht sein. Sie könnten zwischen mehreren Sendern wählen und noch mehr kassieren. Frank Helbert