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Zwischen den RillenHeruntergeköchelter Ghettofaktor

■ Unbehagen in der HipHop-Industrie: Lauryn Hill klagt, Mica Paris schwelgt

Rita Watson ist unglücklich. Der Chor ihrer kleinen katholischen Ghettoschule hat die Endrunde der nationalen Meisterschaften erreicht. Doch kurz vor dem Finale verbietet ihre Mutter, daß sie bei dem Wettkampf mitsingt. Die Mutter spricht aus Erfahrung, schließlich war sie selbst einmal Sängerin mit der Hoffnung auf eine große Karriere — und blieb am Ende schwanger und ohne Ausbildung zurück. Der Tochter soll nicht das gleiche passieren: Was zählt schon der Triumph auf der Bühne gegen einen Job im wirklichen Leben? Aus dem Familiendrama wird ein Fall für Whoopie Goldberg: In „Sister Act 2“ von 1993 hält sie als Nonne mit Herz den Gospelchor zusammen und führt ihn gegen alle Unbillen der Schulpflicht ans Ziel.

Damals wurde die Rita von Lauryn Hill gespielt. Es war die erste Filmrolle der gerade mal 18jährigen, danach ging es als Schuhverkäuferin wieder in den „Footlocker“-Laden. Fünf Jahre später ist Hill das Erfolgsmodell der ohnehin schwer soul-, R'n'B- und HipHop-lastigen 90er Jahre. Das 1996 erschienene Album „The Score“ ihrer Band The Fugees hat sich weltweit 17 Millionen Male verkauft, und schon in der ersten Woche stand ihr Solodebüt „The Miseducation of Lauryn Hill“ auf Platz eins der US-amerikanischen Charts. Offenbar geht es im schwarzen Popbetrieb auch ohne Puff Daddy.

Nun hört sich Hill trotz riesiger Verkaufszahlen und permanenter MTV-Rotation ihres Videoclips „Doo Wop (That Thang)“ immer noch an, als müsse sie sich gegen eine Welt aus Business-Haien, HipHop- Neidern und jeder Menge Männerschweine durchsetzen. Mit einem schwermütigen Grundton erzählt angry young Lauryn etwa in dem Song „Superstar“, wie schlecht sie von den beiden Mit-Fugees Wyclef Jean und Pras behandelt wurde. Während Hill stets nur Musik für die Nachbarschaft machen wollte — und trotzdem auf dem Diana- Tribute-Album landen konnte —, haben die beiden Rapper ihre Roots an den Mainstream verkauft. Außerdem bekommen noch Konzeptschlampen à la Lil Kim oder Foxy Brown ihr Fett weg: „showing off your ass 'cause you're thinking it's trend“, wie es in „Doo Wop (That Thing)“ heißt.

Gegen ein solches Unbehagen in der HipHop-Industrie setzt Hill einmal mehr auf innere Werte. Aber reicht es, wenn man „Lauryn is only human“ singt oder auf den Gott in Zion vertraut — und schon wackelt die Wall Street? Ist da nicht ein godzillamäßiges Auftreten doch die bessere Waffe? Immerhin hat auch Hill für ihr Album ein Regiment an Profimusikern auf ihrer Seite, vom Produzenten Warren Riker, der unter anderem mit Michael Jackson gearbeitet hat, bis hin zu Carlos Santana, der für „To Zion“ ein paar spanische Takte klimpert. Überhaupt schwirren diverse Latin- und Reggae-Zitate durch das Album, alles ganz soft eben. Deshalb wirkt es ein wenig befremdlich, ständig dem Klagegesang über die verlorene Unschuld all der anderen zuzuhören und dabei chartkompatibel mit Flügelhörnern und Streichern unterhalten zu werden. Hill nennt den Spagat zwar „Street Ballads“, der andauernd besungene Ghettofaktor ist allerdings auf ein paar klappernde Beats und Rap-Ornamente heruntergeköchelt.

Bei Mica Paris kommt das Wort Ghetto gar nicht mehr vor. Nachdem sie sich vor acht Jahren für „Contribution“ Rakim als Vorzeige-Rapper einladen durfte, ist ihre vierte LP „Black Angel“ ganz auf New Soul zugeschnitten. Das hat Gründe: Obwohl Paris lange vor Mary J. Blige als Nachwuchs-Diva gehandelt wurde, blieb der Ruhm eher bescheiden. 1992 reichte es gerade mal für die Backing Vocals bei den Stereo MCs, dann flüchtete die 1969 in London geborene Sängerin vor der einsetzenden Britpop-Tümelei nach New York.

Daß noch ein paar alte Bekannte in England existieren, läßt sich an der Besetzungsliste von „Black Angel“ ablesen. Den Titelsong hat Boy George geschrieben, und „Should've known better“ geht auf eine Zusammenarbeit mit Omar zurück. Ansonsten überwiegt die Art von Lean Production, wie sie in US-Studios derzeit dutzendweise programmiert wird: Hier ein Synthie-Teppich, dort ein Bob-Marley-Sample und in der Mitte das übliche fette Funkgegrummel.

DJ-Mixe sind dagegen nicht abzusehen. Bei aller Nähe zur House-Musik wurden die Songs extrem auf die Stimme von Mica Paris zugeschnitten, die offensiv gurrt, schwelgt oder keift. Mal kann man dazu prima Geschirr spülen oder einkaufen, manchmal auch einfach bloß ein bißchen Sex haben. Gerade in dieser Gleichmut, der schlichten Funktionalität noch der ausgefuchstesten Melodien liegt bei Mica Paris die enorme Anziehungskraft von Soul. Die Botschaft ist nichts weiter als eine Leerstelle, die mit dem eigenen Tagewerk ausgefüllt werden muß. All you need is love und etwas Understanding. Viel schlauer ist Lauryn Hill am Ende ihrer Miseducation auch nicht. Dann singt sie den alten Gassenhauer „Can't take my eyes off of you“, Whoopie Goldberg lächelt, und jeder weiß, was gemeint ist. Harald Fricke

Lauryn Hill: The Miseducation of Lauryn Hill (Columbia/Sony)

Mica Paris: Black Angel (Chrysalis)

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