: In den tiefen Spuren von Babe Ruth
Bei der heute in der Bronx beginnenden World Series wollen die New York Yankees des Jahres 1998 das beste Baseballteam aller Zeiten werden und die San Diego Padres sich ein neues Stadion verdienen ■ Von Matti Lieske
Berlin (taz) – Als David Wells in der Radioshow von Howard Stern nach den Chancen seiner New York Yankees in der World Series gegen die San Diego Padres gefragt wurde, zögerte er keine Sekunde mit seiner Antwort: „Wir schlagen sie in fünf Spielen.“ Später wirkte der Pitcher des „besten Baseballteams aller Zeiten“, das die Yankees zwar noch nicht sind, aber durch einen Gewinn der Meisterschaft werden wollen, schon etwas kleinlauter. Bei dem berüchtigten Provokateur Stern habe er eben etwas Provokantes sagen müssen, erläuterte der rundbäuchige Werfer seinen Vorstoß, natürlich wisse er genau, wie schwer es für das traditionsreichste Team der Major League werden wird, in der Best-of-seven-Serie eines der unbeschriebensten Blätter der Liga zu besiegen.
23mal haben die Yankees bereits die World Series gewonnen, erst ein einziges Mal stand die 1969 gegründete Mannschaft aus San Diego im Finale. Das war 1984, und es gab eine 1:4-Schlappe in der Serie gegen die Detroit Tigers. Als einziger Spieler aus dieser Zeit ist Tony Gwynn übrig geblieben, und der mittlerweile 38jährige erinnert sich an die Worte, die Mannschaftskollege Steve Garvey damals sprach. „Ihr solltet dies genießen“, hatte der Veteran seinen Kollegen gesagt, „es kommt nicht so oft vor, wie ihr denkt.“ Tatsächlich hatte Gwynn zu jener Zeit fest damit gerechnet, in einem aufstrebenden Padres-Team noch ein paar große Karriereerfolge feiern zu können. Doch trotz etlicher gewonnener Batting-Titel in der National League und 13 All-Star-Berufungen mußte er 14 Jahre warten, um noch einmal in einem World-Series-Match den Schläger schwingen zu dürfen.
Wenn er heute abend dem 35jährigen David Wells gegenübertritt, ist es sein erstes Match überhaupt im berüchtigten Yankee-Stadium in der Bronx, und nicht zuletzt von seinen Schlagkünsten wird es abhängen, ob sich der Außenseiter aus Kalifornien in New York behaupten kann.
Relativ sensationell hatte San Diego in den Play-offs die Houston Astros und die Atlanta Braves bezwungen und dabei Spiele gegen ausgewiesene Super-Pitcher wie Randy Johnson von den Astros, der den härtesten Fastball überhaupt wirft, oder die Braves-Asse Tom Glavine und Greg Maddux gewonnen. Eine deutliche Warnung für David Wells und seine werfenden Kollegen David Cone und Orlando „El Duque“ Hernandez. Der entscheidende Spieler war dabei allerdings nicht Gwynn, sondern Jim Leyritz, welcher vor zwei Jahren noch die Yankees zum Gewinn der World Series gegen Atlanta geführt hatte. „Besser kann es kaum werden“, freut sich dieser auf das heutige Wiedersehen, „es ist eines der größten Dinge in diesem Sport, die World Series in New York zu spielen.“
Ein noch größeres Ding ist für die Padres höchstens, die World Series in ihrem eigenen Stadion zu spielen, was ihnen 1984 bloß einmal vergönnt war. Die Baseballbegeisterung ist derzeit immens in San Diego, wo es gemeinhin keineswegs leicht ist, die Leute zu Sportveranstaltungen zu locken. „Es gibt den Strand, den Zoo, Sea World, Mexiko“, sagt Manager Kevin Towers, „es ist nicht einfach, sich zu langweilen.“ Hinzu kommt die notorische Erfolglosigkeit der städtischen Profiteams. Die Footballmannschaft der Chargers hat noch nie eine Super Bowl gewonnen, die Padres keine World Series, die Basketballer von den Clippers wanderten nach Los Angeles ab – was ihnen herzlich wenig nützte –, und ein Eishockeyteam der NHL hat es in San Diego nie gegeben.
Um so größer ist der jetzige Enthusiasmus angesichts des Erreichens der World Series. Mit 60.000 Fans platzte das Qualcomm-Stadion bei den letzten Matches aus allen Nähten, und der Lärm, den die Leute sowie die mit AC/DC- Musik dröhnenden Lautsprecher vollführten, verursachte den Akteuren beim Einlaufen „Gänsehäute“, wie Outfielder Steve Finley zu berichten weiß. Das Management der Padres ist festentschlossen, den Popularitätsschub zu nutzen. Pläne für ein eigenes Stadion in Downtown San Diego am Rande des historischen Gaslamp Quarter liegen bereit, denn die Padres möchten das im Vorort Mission Valley gelegene Qualcomm-Stadion, das sie sich mit den Chargers teilen müssen, unbedingt verlassen. Der Neubau soll den heruntergekommenen Distrikt zum Meer hin mit Leben erfüllen und ein neues ökonomisches Zentrum mit schicken Restaurants und Läden schaffen.
Am 3. November stimmen die Bürger der Stadt über „Vorschlag C“ ab, der das 411 Millionen Dollar teure Projekt enthält, das mit 225 Millionen Dollar Steuergeldern subventioniert würde. Den Rest müßten die Padres und einige andere Geldgeber beisteuern. In der Stadt regt sich jedoch Widerstand gegen das Vorhaben. „Es ist nicht weise, öffentliche Gelder für ein Unterhaltungsprojekt auszugeben, das den Geschäften eines privaten Unternehmens dient“, sagt ein Stadiongegner. „Es geht nicht um ein Stadion oder Baseball, sondern um Kohle“, pflichtet Diana Dixon bei, die Vorsitzende des Komitees „Stop C“. Ein Gewinn der World Series würde die in bisherigen Umfragen festgestellte knappe Mehrheit für das Projekt sicher entscheidend verstärken, wie auch Mel Shapiro von „Stop C“ einräumt: „Es gibt sentimentale Faktoren, die das Abstimmungsverhalten der Leute beeinflussen.“
Ein neues Stadion – nicht mehr in der Bronx, sondern in Manhattan – möchten auch die Yankees, doch weit mehr interessiert in New York die Frage, ob das aktuelle Team bei Meisterschaftsgewinn tatsächlich die beste Mannschaft aller Zeiten wäre. Die meisten Siege in einer regulären Saison haben die Yankees bereits (114) erreicht, bei einem Erfolg in der World Series wären es unerreichte 125. Aber reicht das, um die legendäre Crew von 1927 um Babe Ruth zu entthronen? „Vielleicht“, so Outfielder Chili Davis nicht sonderlich pietätvoll, „müssen wir die Yankees von 1927 exhumieren und gegen sie spielen.“
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