: Kein Wille, kein Fußball
■ Schlußfolgerungen nach Werders Niederlage von taz-Gastautor Otmar Willi Weber
„Vor lauter Philosophieren über Schopenhauer kommen wir gar nicht zum Trainieren“, dieses Wort der Woche stammt von Richard Golz, der seit dieser Saison das Tor der Freiburger Weisheiten hütet.
Bremens Trainer Wolfgang Sidka hatte den „Kicker“ sicher auch gelesen, die Aussage als Falle begriffen und sich gesagt: Der Tod(t) ist ein Meister aus Freiburg, aber er ist auch Finkes Bruder und deshalb ließ Sidka den kantigen Manndecker auf der Bank. So hatte der Mann wenigstens 45 Minuten Zeit, sich mit der Schopenhauerschen These: „Dasein heißt Leiden“ auseinanderzusetzen.
Und das tat er, besonders heftig in der 8., in der 27. und der 41. Minute. Spätestens da hatten Todt und 29.980 (minus 100 Freiburger Fans) Zuschauer begriffen: Arthur Schopenhauer, Du hast ja so recht. Null zu Drei, und der Moderator der Hansawelle vermeldete: Aktuelle Temperatur im Weserstadion minus sieben Grad.
Werder hatte sich komplett der zweiten Form der Schopenhauerschen Negation des Willens (Mitleid) angenommen, wobei das Wohl des Anderen zum ausschließlichen Gesichtspunkt des eigenen Handelns wird.
Dafür bedankten sich die Freiburger, fühlten sich wohl und führten vor, daß „jeder wahre Akt des Willens sofort und unausbleiblich auch eine (erfolgreiche) Bewegung des Leibes mit sich bringt“.
Laufspiel ohne Ball, Anspiel-stationen schaffen, Nachrücken und Abschließen. Das ist wohl erlernbar, dafür braucht es keine millionenteuren Ailtons und Bogdanovics, sondern man kann auch als Müller, Hoffmann und Weißhaupt richtigen Fußball spielen.
Die Einheit von Wille und Leib wollte sich bei Werder auch im achten Saisonspiel nicht einstellen, und deshalb herrschte nach dem Schlußpfiff rundherum die dritte Form der Negation des Willens: Resignation!
Beim Publikum, bei den Spielern (bei Andreas Herzog sogar schon seit der 8. Minute), beim Präsidium und beim Trainer.
„Die in der Resignation erzielte Freiheit ist eine solche, die gleichermaßen den Menschen wie den Willen von der selbstzerstörerischen Dynamik eines rastlosen Vorwärtsgetriebenseins befreit.“
Diese Schlußfolgerung Schopenhausers wird Werder wenig hilfreich sein, würde das doch bedeuten, die eigene Elf freiwillig vom Bundesligaspielbetrieb abzumelden. Dagegen spricht die kaufmännische Vernunft, denn die Investitionen für das Team sind durch Spielverzicht nicht reinzuholen.
Also stellt sich die ideologisch etwas belastete Frage: Was tun, wenn man der Schopenhauerschen Konsequenz der Verneinung des Willens zum Leben nicht folgen will?
Die Werderaner müssen Hegelianer werden, denn seine Vernunftphilosophie erlaubt zumindest ein optimistisches Hoffen auf die Existenz geschichtlichen und gesellschaftlichen Fortschritts, der auch Werder vor der totalen Bundesligaaskese bewahren könnte.
Des Autoren Beobachterin vor Ort stellte denn auch in der gewohnten substantiellen Direktheit fest: „Ohne Sidka und Rost, aber mit Jens Todt, wäre das nicht passiert!“
Woraus abzuleiten wäre:
1. Der Trainer hat trotz Abitur nicht die intellektuelle Substanz, der Mannschaft die Philosopie des Gewinnen-Wollens zu vermitteln und muß durch einen Trainer ersetzt werden, der jungen, körperlich gut ausgebildeten Männern klar macht: Siegeswille und fußballerische Intelligenz kann man nicht nachts an den Theken der Szenekneipen dieser Stadt bestellen.
2. Frank Rost braucht eine Rast, um seinen „Olliesmus“ zu kurieren und muß durch Stefan Brasas ersetzt werden, der nämlich kann sich und Werder am eigenen Zopf aus dem Abstiegssumpf herausziehen.
3. Der Todt ist zwar noch kein Meister aus Bremen, aber wenn er einer werden will, dann muß er halt auch spielen und das besser als bisher. Das kann er nämlich. Und in diesem Zusammenhang empfehlen wir als philosophischen Lesestoff das bekannte Werk von Karl Marx: „Das Bein bestimmt das Bewußtsein“.
Otmar Willi Weber
Das Spiel wurde per Radio und Videotext verfolgt von Radio-Bremen-Moderator Otmar Willi Weber. Spielbeobachterin im Stadion: Jutta Schöpp, ohne deren analytische Zuarbeit dieser Text nicht möglich geworden wäre.
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