: Der rote Schal greift noch mal an
Walter Momper, Ex-SPD-Bürgermeister, will es wissen. Für die Wahl zum Spitzenkandidaten rüstet sich der Bauunternehmer und schreckt die Hauptstadt-Genossen. Ein Porträt ■ von Barbara Junge
Der eine wird im Berliner Kanzleramt regieren, den anderen drängt es ins Rote Rathaus, den Sitz der Hauptstadtregierung. Zwei Machtmenschen mit Gespür fürs Wahlvolk, zwei Niedersachsen, zwei ehemalige Juso-Fürsten, angekommen in der vielbeschworenen neuen Mitte, zwei Medienstars, zwei Machos. Liegt es am Land Niedersachsen, daß es solche Politiker hervorbringt? Wie Gerhard Schröder und Walter Momper. Das Duo infernale droht der Berliner Republik.
Walter Momper hofft auf den Schröder-Effekt. Wenn die BerlinerInnen im kommenden Jahr aufgerufen sind, über den Regierenden Bürgermeister abzustimmen, will Walter Momper der Spitzengenosse sein, der den amtierenden Hauptstadtboß, den Christdemokraten Eberhard Diepgen, herausfordert — so ihn denn die Berliner SozialdemokratInnen lassen.
Wie ein Enfant terrible regiert Momper die Herzen der Berliner GenossInnen: Parteitage, das sind seine Bühnen. Mit geübt-geheimnisvollem Lächeln streift er durch die Reihen, ein Druck seiner kräftigen Hand, ein kumpelhafter Schlag auf die Genossenschulter, ein freundliches Wort für den Mann von der Basis. „Ich bin noch wer“, heißt das Signal.
„Es geht eine Glatze um die Welt, eine Glatze, die mir gut gefällt“, reimte 1990 Oskar Lafontaine. Walter Momper, 53, und vor allem sein roter Schal haben Weltgeschichte gemacht. Er war die glänzende Glatze, die das Brandenburger Tor des wiedervereinigten Deutschland öffnen durfte, ein Hoffnungsträger der Sozialdemokratie für Berlin. Heute ist er ein bescheidener Bauunternehmer. Mit gerade mal sieben Angestellten. Nach seinem Sturz ins politische Nichts — 1990 kurz nach der Deutschen Einheit — zerbrach die von ihm geführte Berliner rot- grüne Koalition an der brachialen Räumung eines nahezu gänzlich besetzten Straßenzuges im Ostberliner Stadtteil Friedrichshain und an den neuen deutsch-deutschen Verhältnissen.
Dem Abfall des Koalitionspartners folgte sein persönlicher Abfall vom rechten Weg eines Sozialdemokraten. Ausgerechnet in der versumpften Berliner Bauszene suchte er neue Aufgaben und ein besseres Gehalt als das eines einfachen Abgeordneten. Die SozialdemokratInnen nahmen es ihm übel und den Parteivorsitz weg.
Auch eine gescheiterte Urwahlkandidatur zum Berliner Spitzensozialdemokraten liegt zwischen seiner Zeit als Regierender Bürgermeister und heute. 1995 unterlag Walter Momper der „Sozialtante“. Vor die Alternative gestellt, zwischen der Sozialexpertin Ingrid Stahmer – heute von den eigenen GenossInnen ungeliebte Jugendsenatorin in der Großen Koalition – und dem fremdgegangenen Medienstar zu wählen, entschieden sich die soliden Berliner GenossInnen für die leisere Variante.
Leise, das war Walter Momper selten. Niemand kann das besser bezeugen, als die acht Frauen, die er damals in seinem Senatsteam malträtierte. Mit Tränen quittierten grüne wie rote Frauen seine legendären Wutausbrüche am Kabinettstisch. Ungeachtet der versammelten Frauenpower wußte Walter Momper zu verhindern, daß die Frauen auch die Politik bestimmen. „Herrschen, das tat sein Küchenkabinett – alles Männer“, weiß nicht nur ein Weggenosse. „Entscheidungsfroh bis zur Skrupellosigkeit“, wurde unlängst die heutige Fraktionsvorsitzende der Berliner Grünen und damalige Senatorin im Mompersenat, Michaele Schreyer, über ihren damaligen und vielleicht auch künftigen Boß zitiert. Den Wahlverein „Machos für Momper“ erfand indes nur die taz.
187 Zentimeter Kraft streckte Walter Momper zu seinen Glanzzeiten in die Kameras. Zwei Zentner Entschlossenheit. Und ein entwaffnendes Selbstbewußtsein. „Det wat der kann, kann ick schon lange“, so Momper über Diepgen, als er sich 1989 entschlossen hatte, gegen den Handbuch-Diplomaten ins Feld zu ziehen. Zehn Jahre, eine gescheiterte Regierung und eine verfehlte Kandidatur als Spitzenkandidat liegen dazwischen. „Ich sehe älter aus, als ich bin“, streut Walter Momper heute manchmal in seine Reden ein – doch nicht immer schmeichelt ihm ein einkalkuliertes Dementi.
Heute will es Walter Momper noch einmal wissen. Per Urwahl wird die SPD ihren Spitzenkandidaten bestimmen. Drei Anwärter stehen derzeit bereit: einmal der Parteilinke Umweltsenator Peter Strieder; seine Chancen sind vergleichsweise klein. Der zweite im Bunde, der mächtige Fraktionsvorsitzende Klaus Böger, hat seine Kandidatur längst öffentlich angemeldet. Ein Kärrner, ein Vermittler, ein Parteisoldat, ein Mann der Taten, nicht der Worte. Der vielleicht aussichtsreichste Kandidat. Und immer wieder Momper.
Mit zusammengebissenen Zähnen und dem Versuch eines Lächelns reagiert die Berliner Parteiführung auf Mompers Drohung wiederzukommen. Sie wissen, was ihnen blühen könnte. Von der „Speckschicht der Funktionäre“, kündet Walter Momper gerne. Die Politik der SPD-Senatoren tituliert er freundlich „ordentliche Verwaltungsarbeit“. Und er weiß selbst, daß es ihm nicht gedankt wird. „Eine Mehrheit der Funktionäre ist sich in einem immer einig: Mich wollen sie nicht. Sie wollen keinen, der ihnen sagt, wo es politisch langgeht.“ Die Marschrichtung indes hat der politische Haudrauf unlängst schon ausgegeben: „Peter Strieder und Klaus Böger wollen moderieren, ich will führen.“
Die Telephone in den kargen Büroräumen der Momper-Projektentwicklungsgesellschaft im Hotel Hilton, am prestigeträchtigen Berliner Gendarmenmarkt, laufen jetzt, im Oktober 1998, wieder heiß. Er ist gefragt. Vielmehr er wird gefragt: Tritt er noch einmal an? Öffentlich hält sich Walter Momper noch zurück. „Beizeiten, rechtzeitig auf jeden Fall, werde ich mich erklären“, bekundet der sonst so wenig zurückhaltende Polit-Profi. Doch er ordnet die Verhältnisse. Seine Geschäftspartner schließlich müssen es wissen – die Bauprojekte laufen weiter, auch wenn er wieder ins politische Geschehen eingreift.
Und irgendwie lieben sie ihn noch immer, die BerlinerInnen. Einer von ihnen. Einer, der nicht wie Eberhard Diepgen im vornehmen Berliner Grunewald joggt. Einer, der besser in die rauchige Neuköllner Kiezkneipe paßt, als auf den Gendarmenmarkt. Diepgen, das ist die Berliner Variante des Mannes von Welt. Momper, das ist der Sohn eines Kochs und einer Köchin. Der Mann, der im rauhen Bremer Werftenmilieu aufgewachsen ist, der im Arbeiterseglerverein damals noch den Stallgeruch des sozialdemokratischen Milieus angenommen hat. Einer, der in Kreuzberg lebt.
Sein Haus in Kreuzberg, mitten im ehemaligen Szenebezirk, war in den 80ern und Anfang der 90er noch beliebter Treffpunkt für politische Bekundungen aller Art. Damals in den 80ern, als er noch ein Kreuzberger Linker war, hatte er die Schirmherrschaft über das 13. besetzte Haus in der damals eingemauerten Stadt übernommen. 1990 dann stimmte er schon Wochen vor der großen Schlacht der Räumung besetzer Häuser im Osten der Stadt zu.
Walter Momper ist entwicklungsfähig – so könnte man seine politischen Winkelzüge freundlich umschreiben. Bei Momper weiß man nie, ob morgen noch gilt, was er heute sagt. „Die AL ist nicht koalitionsfähig“, hatte er noch kurz vor den Wahlen 1989 die grundsoliden BerlinerInnen beruhigt. „Die AL hat nach der Wahl diese Positionen (Gewaltmonopol, Bindung Berlins an den Bund) geändert. Damit war der Weg für Koalitionsverhandlungen frei“, verkündete er nach der Wahl als Chef einer rot-grünen Koalition. Selbst SPDler nannten das, was ihr Boß da machte, „Wortbruch“.
Die Zeichen in Berlin stehen auf Rot-Grün
Rot-Grün, das ist heute in der Hauptstadt keine Frage mehr. Längst haben alle führenden GenossInnen in Berlin ihr Bekenntnis abgelegt, so auch Walter Momper. Nicht erst seit der Bundestagswahl zeichnen auch die Umfragen zudem einen deutlichen Vorsprung für diese politische Option. „Kohl muß weg“ war die Devise, die die Herrschaft von CDU und FDP im Bund beenden konnte. „Die Große Koalition lähmt die Stadt“, ist die Erkenntnis, die der CDU in Berlin zum Verhängnis zu werden droht. Denn die Berliner FDP dümpelt bei drei Prozent, andere Optionen hat die CDU nicht.
Für was steht Walter Momper heute? Den radikalen Sparkurs der sozialdemokratischen Berliner Finanzsenatorin unterstützt er ohne Wenn und Aber – wie auch Kandidat Klaus Böger. Doch Walter Momper geht weiter. Während die SozialdemokratInnen im Spagat zwischen Haushaltskrise und den Interessen der sozialdemokratischen Klientel nicht müde werden zu bekunden: Wir sparen, wir privatisieren landeseigene Betriebe, aber Entlassungen wird es nicht geben, fordert Walter Momper schon heute: „Den Lobbyisten muß Einhalt geboten werden. An betriebsbedingten Kündigungen kommen wir nicht vorbei.“ Der „ÖTV-Staat“, den will er abschaffen. Und schon heute stammen die wirtschaftspolitischen Thesen der Berliner SPD aus seiner Feder.
Und sonst? Walter Momper wirbt nicht mit Konzepten. Walter Momper wirbt mit Personality, das habe er von Gerhard Schröder gelernt. „Man wird sich schon durch die eine oder andere Initiative ins Gespräch bringen“, verspricht er seinen Anhängern. Wie zur Maueröffnung. Nie werden es ihm vor allem die GenossInnen im Osten der neuen Hauptstadt vergessen, daß er sie an der fallenden Mauer empfing. Überwältigt von neuentdeckten patriotischen Gefühlen stürzte er damals aus einer Talkrunde des Senders Freies Berlin, um sich leibhaftig ins größer gewordene Volk zu stürzen. „Walter wir danken dir“, halte es ihm entgegen. Seine stärksten Bastionen hat der Kandidat auch deshalb noch heute im Osten.
Die Berliner SozialdemokratInnen sind grundsolide. Das sollte Walter Momper nicht vergessen. Sie murren, wie es der Berliner halt tut. Aber sie machen brav ihr Kreuz beim verläßlichen Bürgermeister. Diese Figur hat Walter Momper noch niemand angedichtet. Doch Walter Momper ist ein Spieler — und dieses Mal ist es sein letzter politischer Einsatz.
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