piwik no script img

Die Korruption ist ein weitverbreitetes Phänomen

■ Sabine Hanke analysiert die Situation Aserbaidschans, dessen Transformationsprozeß, trotz reichlich vorhandener natürlicher Ressourcen, bislang nicht gelungen ist. Trotzdem kann es sich zu einem Kuweit des Kaukasus entwickeln

Ein demokratisches Glanzstück waren die Präsidentschaftswahlen in Aserbaidschan vom 11. Oktober nicht. Schon bei den Vorbereitungen wurde der Vorwurf des Wahlbetruges laut. Daß positive Entwicklungen – wenn auch auf niedriger Flamme – im Vergleich zu den letzten Wahlkämpfen erkennbar waren, liegt weniger am Willen zur Demokratie. Es geht ums Geld. „Aserbaidschans Weg zur Marktwirtschaft“, eine eben erschienene Studie, zeigt, wie holprig dieser Weg bisher war.

Aserbaidschan, im östlichen Kaukasus gelegen, bemüht sich seit seiner Unabhängigkeitserklärung 1991 um politische und wirtschaftliche Transformation. Devisen winken: Das Land ist reich an natürlichen Ressourcen. Und arm an finanziellen Reserven. Wie die Autorin Sabine Hanke belegt, haben diese im Dezember 1993 gerade mal für die Stützung des Importes über drei Wochen genügt. Dafür allerdings benötigte man westliche Währungen nicht; vielmehr sollten militärische Güter für den von 1992 bis 1994 dauernden Krieg um Berg Karabach gekauft werden.

In solchen Zeiten einen Rechtsstaat aufzubauen ist schwer. Alles, was an Gesetzen und Verordnungen geschaffen wurde, wurde nicht nur laufend wieder verändert – die Bevölkerung traute zudem weder Paragraphen noch Richtern. Verläßlich war nur die Haltung der Staatsorgane: „Korruption war ein im gesamten Staatssektor verbreitetes Phänomen, das nicht geahndet wurde und das Entstehen von Rechtsstaatlichkeit verhindert hat.“ Die Autorin, die den Wandel bis 1995 analysiert, durchwandert Währungsordnung und Bankensystem, Handlungsrechte und Privatisierung, Außenwirtschaft und Investitionsförderung.

Manches gute Urteil fällt da. Zum Beispiel über die Privatisierung. Das staatliche Betriebsvermögen kann man nicht nur kaufen, sondern auch geschenkt bekommen. Die Kapitalknappheit der normalen Bürger ist somit kein Hinderungsgrund, teilzuhaben. Die sonst auf innenpolitischer Ebene vermißte Akzeptanz gegenüber Reformen, hier herrscht sie. Einige zentrale Bedingungen für das Funktionieren einer Marktwirtschaft sind hingegen kaum vorhanden. Es gibt Preise, die nicht liberalisiert wurden, so daß sie keine ökonomischen Signale aussenden können. So „wurden Preise (beispielsweise die Kreditzinsen) zwischen den Betriebsleitern und den Ministerien häufig ausgehandelt, wobei die Verhandlungsmacht und klientelistische Beziehungen eine besondere Rolle spielten“.

Von Informationen abgeschottet sind die Wirtschaftssubjekte noch aus weiteren, technischen Gründen. Telekommunikation und Postwesen sind mangelhaft ausgebaut. Großer Zeitaufwand und Störungen sind an der Tagesordnung. Das schlechte Kommunikationsnetz ist das Haupthemmnis für ausländische Investoren.

Die Autorin kommt in ihrer Untersuchung zu dem Schluß, daß stabile Rahmenbedinungen für eine neue Weichenstellung notwendig sind. Die Korruption könne durch eindeutig geregelte private Handlungsrechte eingedämmt werden. Die Interventionen des Staates in den Wirtschaftsprozeß sollten ein Ende haben. Soziale und gesellschaftliche Entwicklungen sind nicht das Thema von Sabine Hanke, die mit Aserbaidschan ein Land behandelt, zu dem in deutscher Sprache bisher nur einzelne Beiträge zur Verfügung stehen. Die dreißig Seiten mit allgemeinen Angaben aktualisieren das Kapitel, das im „Politischen Lexikon GUS“ (Beck-Verlag 1996) zu finden ist.

Der These Hankes, die politische Lage habe sich stabilisiert, würden die aserbaidschanischen Oppositionellen widersprechen; Etibar Mamedow, jener Politiker und ehemalige Dissident, der gegen Präsident Haidar Alijew antrat, wiederholt immer wieder, daß nur ein Schein von Stabilität bestünde. Der sei nicht durch Reformen erzeugt, sondern durch den Machtapparat und die seit den frühen achtziger Jahren als korrupt bekannte Person Alijews.

Die zentralen Daten für Aserbaidschan sind schlechter, als sie aus sonstigen Transformationsländern bekannt sind.

Doch sollten in Zukunft die großen Ölfirmen nicht mehr an der Bevölkerung vorbei ihr Geld verdienen, könnte das Land im nächsten Jahrtausend das Kuwait des Kaukasus werden. Sabine Hanke allerdings gibt sich keinen Spekulationen hin. Ihr Buch ist sachlich, zurückhaltend, informativ – so wenig Politisierung wie möglich. Was Volkswirtschaftslehre alles vollbringt: Eine der spannendsten Weltgegenden wird langweilig gemacht. Mareile Ahrndt

Sabine Hanke: „Aserbaidschans Weg zur Marktwirtschaft. Fünf Jahre Wirtschaftstransformation seit der Unabhängigkeit“. Bern, Frankfurt/Main, Lang, 1998, 279 Seiten, 98 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen