: Schnell noch Kies in die Pfützen
Im sächsischen Wechselburg fand sich der Adel ein, um einen der Ihren zu begraben, und das Volk fand, der CDU-Mann habe der Gegend mit seiner Rückkehr nach der Wende genutzt ■ Von Kathi Seefeld
Die Bürgermeisterin legt kurz entschlossen Werbebroschüren für die „Perle des Muldetals“ neben das Kondolenzbuch. Es kommt schließlich nicht alle Tage vor, daß sich so viele Menschen in diese Ecke Sachsens verlaufen.
Der Graf war ein guter Bekannter, ein Mitstreiter in der CDU. Er hat sich nach der Wende für die Gegend engagiert. Ein großer Verlust. Der Niedersteinbacher Männerchor singt: „'s is' Feieroamd“, und die Musikkapelle Lunzenau spielt Marschmusik – das war sein letzter Wille. Ein „alter Freund“ aus Bayern, wo Joachim Graf von Schönburg-Glauchau 1990 herkam, hält einen Zweig mit Eichenlaub in den Händen. Die Bürgermeisterin von Wechselburg, Renate Naumann, wischt sich eine flüchtige Träne aus dem Augenwinkel.
Das Adlige hat für sie nie eine Rolle gespielt. „Die sind ja nich scheener und nich besser wie mir. Das sind halt och bloß Menschen.“ Doch wenn der alten Adel hilfreich sein kann, den Tourismus anzukurbeln, nicht nur Renate Naumann wäre es recht. Der Landkreis Mittweida, zu dem auch Wechselburg gehört, habe mit 21 Prozent die niedrigste Bettenauslastung im ganzen Freistaat, dabei seien 30 Prozent für viele Pensionen schon die Schmerzgrenze.
„Einfach putzig, diese kleinen Grafen“
Zum Glück, seufzt Renate Naumann, lag genügend Abstand zwischen der katholischen Trauung um neun Uhr dreißig und der Beerdigung des Grafen um zwölf. Die Regenlöcher auf dem Parkplatz wurden noch mit Kies verfüllt, die Freiwillige Feuerwehr hat die Autoflut in geordnete Bahnen gelenkt. Auch daran, daß nachher der Reitverein Meusen zur Fuchsjagd mit Pferden und Kremsern durch Wechselburg kommt, hat sie gedacht. Die Bürgermeisterin atmet tief durch. Dann geht sie hinunter in die Familiengruft, genauso wie „die Gloria und die Maya und der Herr Ministerpräsident“.
Nach der zweistündigen Totenmesse dürfen alle in der Stiftskirche „Zum Heiligen Kreuz“ Versammelten noch einmal einen Blick auf die gräfliche Urne werfen: Wie sie da steht, zwischen den prunkvollen Särgen von Adelheid und Karl und dem kleinen Wolf, hinter der Grabplatte für Vater Joachim, der 1943 starb. Jetzt also Joachim junior, der Vater von Gloria von Thurn und Taxis und Maya Flick, Jahrgang 29, gestorben am 29. September im niederbayerischen Aicha. Er wollte unbedingt in der Familiengruft beerdigt werden, in der seit 1943 kein von Schönburg-Glauchau mehr die letzte Ruhe fand.
800 Jahre hatten die Vorfahren des Grafen in der Region zwischen Wettinischem Rochlitz und Erzgebirge geherrscht. Ihnen gehörten bis zur Enteignung bei der Bodenreform ein Schloß, zwei Burgen, Privathäuser und 3.000 Hektar Ländereien. Joachim von Schönburg-Glauchau machte nie ein Hehl daraus, daß er die Enteignung als tiefes Unrecht empfand. Bei der Bundestagsdebatte um die Änderung des Entschädigungsgesetzes zugunsten der Bodenreformopfer hätte es ihm die Tränen in die Augen getrieben – die ihn besser kannten, meinten, er hätte dem Besitz nie wirklich nachgetrauert. „Immer pleite, immer lustig“, sei das Motto seines wechselvollen Lebens gewesen.
Schönburg-Glauchau war Leichenwäscher in Basel, Reporter in Afrika und von 1990 bis 1994 CDU-Bundestagsabgeordneter seines sächsischen Heimatwahlkreises. 50,1 Prozent der Stimmen hatte er erhalten. Renate Naumann meint, daß der Graf gewählt wurde, „weil er die Menschen verstand, weil er sich immer als einer von ihnen fühlte“. Und wäre da nicht die Krankheit gewesen, an der Schönburg-Glauchau zuletzt litt: Er wäre mit seiner zweiten Frau Ursula und Tochter Anabel wohl nicht wieder weggezogen aus Sachsen. 1991 waren sie auf die Rochsburg gezogen, nicht weit von Wechselburg, in eine 204 qm große Wohnung, zur Miete.
„Wie rührend doch die Gloria von ihrem Papi gesprochen hat.“ – „Ja, wußten Sie denn nicht, daß sie ihm die Trennung von ihrer Mutter so übel genommen hat?“ – „Nee, heutzutage is' das alles nisch mehr so wie früher. Den Schröder haben och alle gewählt, obwohl der das vierte Mal verheiratet ist.“ – „Aber die Kinder und Enkel, die waren allerliebst, einfach putzig die kleinen Grafen, mit Handkuß und so.“ Nach den Angehörigen steigen die Neugierigen aus Wechselburg und Umgebung in die Gruft hinab. Die Verkäuferin vom Eiscafé Krause, die sich fein gemacht, manche um zu trauern, die meisten um Gloria und ihren „König Kurt“ zu sehen. Sogar ein paar Touristen sind dabei. Renate Naumann fährt sich gerührt durch ihr frisch frisiertes Haar. Zu einer kleinen Strähne in silbrigem Blau hat sie sich hinreißen lassen, passend zum Lidschatten.
Alles ist so, wie Graf Joachim es sich gewünscht hatte. Keine Blumen, nur ein paar Kränze. Seine Familie mit ihm versöhnt und das Volk an seiner Seite. Der Chefarzt des Wechselburger Krankenhauses, das mit einigen Stationen im einst Schönburgschen Schloß untergebracht ist, und die Geschäftsführerin des Fördervereins für Behinderte sind auch gekommen.
Der Verein, so wollte es Graf Joachim, bekommt die Trauerspenden. Der Klinik, die Platz für die psychiatrische Behandlung von 40 Kindern aus dem gesamten Freistaat Sachsen bietet, fehlt es noch immer an vielen Dingen. Vor allem an einer langfristigen Perspektive, erzählt der Chefarzt. Natürlich freue man sich über das Geld.
Auf Beerdigungen wird nicht schlecht geredet. Während Parteifreunde aus Lunzenau, der Stadt, zu der die Rochsburg gehört, es in den letzten Jahren am liebsten sahen, wenn der von Krankheit gezeichnete Volksvertreter in kommunalen Fragen besser nicht auftauchte, spielen am Tag seiner Beisetzung die Peinlichkeiten des Grafen keine Rolle mehr.
Kein Wort also von der Bundestagsdebatte über den Einsatz der Bundeswehr in Somalia, in der von Schönburg als Befürworter auftrat und die Lage im von Bürgerkrieg und Hungersnot geplagten Land mit „einem Dorf, daß von einer Affenherde terrorisiert wird“, verglich: Keine Frau könne Wasser holen oder Felder bestellen kann, wenn nicht jemand da sei, „der die Affenherde in Schach hält“. Der Bündnis-90-Abgeordnete Konrad Weiß behielt die Nerven und antwortete, daß es nicht die Aufgabe „von Soldaten aus Pirna oder Pirmasens“ sei, „Affenherden in Afrika in Schach zu halten“.
Zu einem Redebeitrag von Schönburgs in der Debatte um den Abtreibungsparagraphen 218 kam es nicht, der Graf erlitt damals seine erste Herzattacke. Beifall für seine Haltung gegen die Abtreibung hätte er indes selbst von seiner Parteifreundin Renate Naumann nicht bekommen: „Wir Frauen im Osten, auch wenn wir in der CDU sind, sehen da viele Dinge etwas anders.“
„Mit dem Adel, das haben wir nie gespürt“
Kurt Biedenkopf (CDU), der Ministerpräsident von Sachsen, indes hat dem in Glauchau geborenen Grafen vertraut, als dieser 1990 mit einem Trabi für die CDU auf Wahlkampftour ging. Von Schönburg, erklärt „König Kurt“ der Trauergemeinde, verdanke er wichtige Einblicke in die Region. Von Schönburgs „Vertrauen in die Kraft seiner Heimat“ habe auch ihn überzeugt. Dann nennt der Ministerpräsident den Grafen einen wichtigen Wegbegleiter, Freund und Mitstreiter „beim Aufbau der Demokratie im nunmehr wieder vereinigten Deutschland“. Wäre es keine Trauerrede gewesen, die Wechselburger hätten geklatscht. Sie haben der CDU die Treue gehalten, auch wenn der Landkreis bei der Bundestagswahl an die Sozialdemokraten ging.
Am Nachmittag bei der Trauerfeier auf Schloß Waldenburg werden alte Kontakte erneuert. Rolf Geißler, Schmiedemeister aus dem nahe gelegenen Göppersdorf und zwei Jahre jünger als sein damaliger Schulfreund Graf Joachim, erzählt Episoden aus vergangenen Zeiten: Wie man Skat spielte, wie man mit dem Fahrrad nach Rochlitz in die Schule fuhr, wie von Schönburg ihn 1990 bei ihrer ersten Begegnung wiederkannt habe und sogar noch seinen Spitznamen wußte: „Die Geiß“.
„Mit dem Adel, das haben wir hier nie gespürt“, sagt Ronny Hofmann. Hofmann ist Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes von Lunzenau und rückte für von Schönburg-Glauchau in den Stadtrat nach. Beeindruckt haben ihn vor allem dessen Vorschläge, in den Kommunen vieles in private Hände zu legen: „Die Kassen der Kommunen sind ziemlich leer.“ Nicht gereicht hätten die öffentlichen Gelder auch, um die Jugendherberge auf der Rochsburg zu erhalten. Was bleibe, so Ronny Hofmann, sei die Privatisierung der Rochsburg samt ehemaliger gräflicher Wohnung. – Ein Schloßhotel mit 1.000 Hektar Wald, das war auch dem verstorbenen Blaublut kein fremder Gedanke. Vorausgesetzt, das Tourismusgeschäft kommt in Gang.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen