Schleichende Demontage eines Kandidaten

■ Die SPD droht, ihr erstes Wahlversprechen an Johannes Rau zu brechen. Schröder will sich erst zum Kanzler wählen lassen, bevor über den künftigen Bundespräsidenten entschieden wird

Bonn/Berlin (dpa/taz) – Die SPD zögert eine Entscheidung über ihren Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten hinaus. Der Ex-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, hatte fest mit seiner Nominierung gerechnet, doch die wird nun erst einmal verschoben. Erst im November will die Partei nach Angaben von Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering beschließen, wer die Nachfolge von Roman Herzog antreten soll. Der künftige SPD-Kanzler Gerhard Schröder machte am Wochenende klar, daß seine eigene Wahl am 27. Oktober im Bundestag Vorrang hat. Der Spiegel zitiert ihn mit den Worten: „Erst muß ich selbst einmal gewählt sein.“

Wie Parteichef Oskar Lafontaine stehe er zwar zu seiner Zusage an Rau. Doch den Vorschlag aus den Reihen der NRW-Genossen, Rau als Bewerber um das höchste Staatsamt bereits auf dem SPD-Sonderparteitag am Sonntag auszurufen, lehnt der künftige Regierungschef ab. Schröder fürchtet demnach einen Aufstand der Frauen in seiner Partei, wenn ein weiteres hochrangiges Amt mit einem Mann besetzt werden sollte.

Bereits am Wochenende eskalierte der Streit in der SPD, ob statt des favorisierten Rau (67) nicht doch eine Frau antreten soll. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Monika Griefahn legte Rau offen einen Verzicht nahe: „Wenn ich an der Stelle von Johannes Rau wäre, würde ich mein Lebenswerk anschauen und wissen, daß es an der Zeit ist, daß eine Frau rankommt“, sagte sie Bild am Sonntag.

In der SPD-Spitze wird nun nicht mehr ausgeschlossen, daß Rau aus Verärgerung über das Gerangel auf eine Kandidatur verzichtet. Dem Spiegel zufolge hat nun auch die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis Chancen, als erste Frau das Amt des Bundestagspräsidenten zu übernehmen. Auch die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann und die bayrische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt wurden gehandelt. Bisher war vor allem die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, im Gespräch. Allerdings würden Limbach deshalb geringere Chancen eingeräumt, weil ihr bei ihrem Abgang in Karlsruhe ein Unions-Mann nachfolgen würde. Eine andere Überlegung ist, daß mit ihr erneut die Spitze des Bundesverfassungsgerichts zum Staatsoberhaupt gewählt würde. Ein solches Gewohnheitsrecht lehnen viele Sozialdemokraten ab.

Dagegen forderte der SPD- Bundestagsabgeordnete Klaus Lennartz, die SPD-Spitze solle auf dem Bundesparteitag am kommenden Sonntag entscheiden und damit den „unmenschlichen Erosionsprozeß“ gegen Rau beenden.