: Kein unförmiger Protz
■ Die Galerie argus fotokunst zeigt Fotografien aus Städten von Arno Fischer
Arno Fischer fotografiert Stadt. Seine Stadtfotos sind nicht Fotos von, sondern aus Städten. Vor allem aus dem Ost- und dem West- Berlin der fünfziger und sechziger Jahre. Fotos aus einer kriegsverwundeten, gebeutelten, sich spaltenden Stadt. Doch Berlin ist eher Kulisse, Handlungsraum für menschliches Tun. Keine historischen Ereignisse, Alltag findet statt. Der Fotograf macht meist Angaben zu Ort und Jahr, nur die Titelliste der Galerie unterscheidet zwischen „Leichenwagen“ (Ost) und „Dame mit Schirm“ (West), „Tanzpaar“ (Ost) und „Mann mit Schärpe“ (West).
Fischers einprägsame Sicht der Dinge beruht auf genauer Beobachtung. Kein entscheidender, herausragender Moment ist festgehalten, sondern bestimmte Konstellationen, Beziehungen zwischen Menschen und Stadtraum: einsamer Fenstergucker in riesiger Brandmauer, Wartende auf Zäunen und Mauerresten, schaulustige Versammlungsteilnehmer am Rande von Paraden oder Mai-Demonstrationen. Diese Aufnahmen lassen die Atmosphäre jener Zeit erkennen. Nicht dokumentarisch, pathetisch, sondern subjektiv, still, skeptisch gegen Parolen, Protz und Unformen, ganz aus der Perspektive des teilhabenden Zeitgenossen.
Arno Fischer fotografiert in Schwarzweiß. Etwas Verwischtes liegt bisweilen über den Aufnahmen; eine Mischung aus Blues und Braunkohle. Meist aus mittlerer Distanz gesehen, ist jedes Foto anders komponiert, je nach Situation. Die Menschen erscheinen nachdenklich, in sich versunken. Man weiß nicht um den Anlaß oder das Geschehen, aber man spürt, es geht etwas vor. Aus ähnlicher Sicht hat Fischer auch andere Städte fotografiert, Leningrad oder New York zum Beispiel. Neben unbekannten Personen tauchen Prominente auf. Etwa Peter Weiss in Weimar und Juliette Greco in Ost- Berlin; Marlene Dietrich 1964 bei einem Auftritt in Moskau als scheue, vereinsamte Diva; die Schauspielerin Shanna Procherenko strahlt in einem Moment zwischen Versunkenheit und Glück.
Der 1927 in Berlin-Wedding geborene Fotograf, der nach dem Krieg zuerst Bildhauerei studierte, hatte sich in der DDR als freier Lichtbildner, Mitarbeiter vieler Publikationen, unter anderem der Modezeitschrift Sybille, vor allem aber als Lehrer in Berlin und Leipzig (heute in Dortmund) einen Namen gemacht. Inspiriert vom US- Amerikaner Robert Frank, ist Arno Fischer beharrlich seinen eigenen Weg gegangen. Er ist seinem unbestechlichen Gespür für das Wesentliche gefolgt und dabei zu einem der bedeutendsten Nachkriegsfotografen in Deutschland geworden. Michael Nungesser
Galerie argus fotokunst Norbert Bunge, Marienstr. 9, Berlin-Mitte. Bis zum 1. November. Mittwoch bis Sonntag, 14 bis 18 Uhr. Katalog der Staatlichen Galerie Moritzburg Halle, 48 DM
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