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Eine Überraschung namens Beck

Die 46jährige Marieluise Beck setzt sich gegen Özdemir und Roth durch. Die Bremerin wird erste Integrationsbeauftragte einer rot-grünen Bundesregierung  ■ Aus Bremen Kerstin Schneider

Ihr Traumjob sei es nicht, „aber es paßt doch sehr“, sagte die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck gestern. Da war gerade bekanntgeworden, daß die Grünenpolitikerin neue Integrationsbeauftragte der Regierung Schröder wird. Überraschend kam die Entscheidung nicht nur für viele politische Beobachter, die mit einer Entscheidung für den grünen Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir oder die bisherige Europaparlamentarier Claudia Roth gerechnet hatten. Auch Marieluise Beck erklärte, die Nominierung habe sie „völlig überrascht“. Inhaltlich will sie sich deshalb zu ihrer künftigen Tätigkeit noch nicht äußern. „Ich muß erst mal mit meinen Fraktionskollegen reden und sehen, wie der Zuschnitt der Behörde aussieht.“

Bei Becks Parteifreunden Özdemir und Roth paarte sich die Überaschung mit Enttäuschung. „Frau Roth möchte keine Stellungnahme abgeben“, wimmelte das Büro der grünen Europapolitikerin Anfragen von Journalisten gestern ab. Özdemir machte aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. „Ich hätte mir sehr gut vorstellen können, das zu machen“, sagte Özdemir gestern gegenüber der taz. Er sei jedoch an „den Linken in der Partei“ gescheitert. „Ich bin zu selbstbewußt. Ich nix sprechen gebrochen deutsch. Ich nix wecken Helfersyndrom. Ich nix seien hilflos. Ich nix sehen so aus, wie linke Deutsche sich Migranten vorstellen“, persiflierte Özdemir die Diskussion innerhalb der Partei aus seiner Sicht.

Die Partei sehe noch immer durch eine „ethnische Brille“, auch wenn sie das nicht wahrhaben wolle. Er habe sich das Argument anhören müssen, den Job des Ausländerbeauftragten solle „kein Türke machen“, berichtet er. „Wenn ich das schon höre. Dann dürften in Zukunft auch nur noch Männer Frauenbeauftragte werden, weil Frauen zu betroffen sind.“ Nichtsdestotrotz will Özdemir „loyal“ mit Marieluise Beck zusammenarbeiten. „Sie ist eine sehr gute Frau.“

Schon in den frühen 90er Jahren widmete Beck sich Fragen der Menschenrechte. 1983 wurde die heute 46jährige Realschullehrerin aus Bremen in die erste Grünen- Fraktion im Deutschen Bundestag gewählt. Gemeinsam mit Petra Kelly und Otto Schily war sie damals Fraktionssprecherin. Nachdem die Grünen bei der Bundestagswahl 1990 an der Fünfprozenthürde gescheitert waren, zog Marieluise Beck ein Jahr später in die Bremische Bürgerschaft. In dieser Zeit fing die Abgeordnete an, sich für Menschenrechtsfragen zu engagieren. Sie gründete die parteiübergreifende Initiative „Frauen helfen Frauen“, die sich um traumatisierte Frauen aus den kroatischen und bosnischen Kriegsgebieten kümmerte.

Aus dieser Initiative entstand 1993 die „Brücke der Hoffnung“, eine Hilfsorganisation für Bosnien, die unter anderem vom Auswärtigen Amt und der Europäischen Union unterstützt wurde. Die Hilfsorganisation organisierte zahllose Hilfstransporte in die Kriegsgebiete. Als Dank wurde Marieluise Beck 1994 Ehrenbürgerin der Stadt Lukavac in Bosnien. 1996 bekam sie das Große Bundesverdienstkreuz.

Etliche Male reiste Marieluise Beck selbst in die Kriegsregionen. Als sie 1995 für den Bosnieneinsatz stimmte, brachte ihr das die Kritik einiger Fundis ein. Der grüne Parteitag in Bremen hatte zuvor eine Bitte an die Fraktionsmitglieder im Bundestag formuliert, gegen den Einsatz auf dem Balkan zu votieren. Beck, die über längere Zeit selbst zwei Flüchtlinge bei sich zu Hause aufgenommen hatte, argumentierte damals ähnlich emotional wie Joschka Fischer auf dem Parteitag. Sie stimmte zu, weil „das unermeßliche Leid der Menschen in Bosnien endlich ein Ende finden muß, weil ich mich den Opfern nahe fühle“.

Zuletzt widmete sich Marieluise Beck vor allem arbeitsmarktpolitischen Fragen. Sie bekrittelte den „fragwürdigen Effekt“ von staatlich finanzierten Jobs. Menschenrechte lagen ihr trotzdem am Herzen. „Ich habe die Bosnienhilfe mit Herzblut betrieben“, sagte Marieluise Beck gestern. Ein Engagement im Bereich „humanitärer Hilfe“ hätte ihr deshalb näher gelegen. Doch auch wenn sie sich „noch an den neuen Gedanken“, jetzt Integrationsbeauftragte zu werden, gewöhnen muß, „finde ich doch, daß das sehr zu mir paßt“.

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