: Noch kein Waffenstillstand im Kosovo
■ Nach wie vor bekämpfen sich serbische Truppen und die UCK im Kosovo. Der Westen droht Milošević erneut mit einem Militärschlag
Wien (taz) – Noch immer wird im Kosovo gekämpft. Das bestätigen Menschenrechtsgruppen, Flüchtlingsorganisationen und die kosovo-albanischen Untergrundarmee UCK. Dieser Zustand wird wohl in den kommenden Monaten so bleiben. Denn weder Nato-Aufklärungsflugzeuge noch Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sind in der Lage, nachts Truppenbewegungen festzustellen. Das wissen Serben wie Albaner und nützen dieses Schlupfloch im Holbrooke-Vertrag aus.
Doch was ist dieser Vertrag, der dem kriegszerrissenen Kosovo den Frieden bringen soll? Obwohl Jugoslawiens Präsident Slobodan Milošević das Abkommen bereits vor knapp zwei Wochen unterschrieb, ist sein Wortlaut bis heute unbekannt. Die albanische Konfliktpartei hatte bislang noch keine Möglichkeit, den Text auch nur einzusehen, geschweige denn, daß die Kosovaren in die Verhandlungen des US-Balkanunterhändlers einbezogen worden wären.
Aus diesem Grunde fühlt sich die UCK noch nicht verpflichtet, die Waffen niederzulegen. Ihre Vertreter erklären öffentlich, sie werden die Kämpfe erst einstellen, wenn alle serbischen Truppen aus dem Kosovo zurückgezogen sind, die Freilassung aller politischer Gefangenen erfolgt und die Untersuchung von Kriegsverbrechen durch Experten des UN-Tribunals in Den Haag ermöglicht ist.
Die UCK weiß: Das kann noch lange dauern. Nach Nato-Angaben sind bislang erst zwei von fünf serbischen Bataillonen abgezogen worden, mindestens 700 Albaner sitzen als politische Gefangene in serbischen Knästen, und das Den Haager Tribunal hat nur die mündliche Zusage aus Belgrad, künftig Experten in den Kosovo entsenden zu können.
Auch von den OSZE-Beobachtern, die am Boden für eine Befriedung sorgen sollen, ist vor Ort noch kaum etwas zu sehen. Offiziell heißt es aus OSZE-Kreisen, erst müsse eine technische Vorhut die Rahmenbedingungen für eine winterfeste Friedensaktion schaffen, dann würde die unbewaffnete Friedenstruppe in Position gehen. Unterderhand hört man jedoch, es sei unsicher, ob 2.000 Beobachter für den Kosovo-Auftag gefunden würden. Angeblich sind erst 74 Freiwillige von der OSZE rekrutiert worden, darunter zwei oder drei Deutsche. Gerhard Schröder hatte noch Ende vergangener Woche verkündet, Deutschland werde sofort 200 Friedensexperten in den Kosovo entsenden.
Da selbst ein angesehener Politiker wie der OSZE-Beauftragte für Medienfragen, Freimut Duve, je nach Gutdünken der Belgrader Behörden ein Einreisevisum erhält, ist kaum anzunehmen, daß die Mehrzahl der 2.000 Beobachter problemlos ins Land kommt. Milošević kann mit immer neuen fadenscheinigen Gründen die Stationierung der Friedenstruppen hinauszögern – bis wegen Frost, Dauernebel und Schnee die Kämpfe eh eingestellt werden müssen.
Einziger Ausweg aus der verfahrenen Situation: Die Nato würde mit Bombardements auf serbische Stellungen ihren Druck auf Belgrad massiv verstärken. Gestern drohte der Westen Milošević erneut mit einer Militäraktion „ab kommender Woche“, sollten die serbischen Truppen nicht vollständig aus dem Kosovo abgezogen werden. Die Forderungen des Westen habe Milošević eine Woche vor Ablauf des Ultimatums nicht vollständig erfüllt, kritisierte Richard Holbrooke. Doch für eine Aktion gibt es in Brüssel und New York keine Anzeichen. Ernsthaft wollen die meisten Nato-Mitgliedstaaten ohne Mandat der UNO keine Militäraktionen gegen Serbien starten. Daß ein solcher Beschluß zustande kommt, ist unwahrscheinlich. Rußland und China haben mehrfach angekündigt, ihr Veto im Weltsicherheitsrat einzulegen. Aus innenpolitischen Gründen sträuben sich auch Athen und Rom gegen ein härteres Vorgehen. In beiden Nato-Staaten würde die Öffentlichkeit ein Engagement zugunsten der Albaner nicht verstehen. Karl Gersuny
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