: Babylonische Bühne Berlin
Die fremdsprachigen Theater in Berlin helfen den jeweiligen „Communities“ nicht nur, sich ihrer kulturellen Identität zu vergewissern, sie sind auch ein Treffpunkt der unterschiedlichsten Nationalitäten. Ein Streifzug ■ Von Oliver Kranz
Eine halbe Million Ausländer aus 186 Nationen leben in Berlin. Die meisten haben ihre eigenen Zeitungen, Fernsehsender, Radioprogramme und – ihre eigenen Theater. Mit großem Engagement bringen fremdsprachige Amateurgruppen und professionelle Ensembles Theaterstücke für die hier lebenden Ausländer auf die Bühne. Sie helfen den Angehörigen der jeweiligen Communities bei der Bewahrung ihrer kulturellen Identität.
Die fremdsprachigen Theatergruppen spielen jedoch nicht nur für ihre Landsleute. Das Tiyatrom zum Beispiel, die größte und älteste türkische Bühne Berlins, bietet einen gemischten Spielplan: Kinderstücke werden auf deutsch oder, zweisprachig, deutsch-türkisch gespielt, Jugendstücke generell auf deutsch und Erwachsenenstücke auf türkisch. „Wir möchten nicht nur Türken erreichen, sondern auch Deutsche und Menschen aus anderen Nationen“, erklärt Yekta Arman, der Leiter des Tiyatrom. „Wir leben in Deutschland, also kommunizieren wir auf deutsch.“
Türkische Stücke für deutsches Publikum
Die Sprache der Aufführungen richtet sich im Tiyatrom nach dem Zielpublikum. Und das unterteilt Yekta Arman nicht nur in Türken und Nichttürken, sondern auch in Einwanderer der ersten, zweiten und dritten Generation. Die Einwanderer der ersten Generation leben zwar schon seit Jahrzehnten in der Stadt, aber viele von ihnen haben noch immer Sprachprobleme. Sie ziehen Aufführungen in türkisch vor. Bei Einwanderern der zweiten und dritten Generation, also denen, die in Deutschland aufgewachsen oder sogar hier geboren sind, sieht es völlig anders aus. Sie sprechen in der Regel besser deutsch als türkisch und haben deutsche Freunde. Diese Zuschauer sind am besten mit deutschsprachigen Produktionen zu erreichen.
Doch selbst die türkischsprachigen Stücke haben im Tiyatrom ein gemischtes Publikum. Stolze 22 Prozent der Zuschauer sind Deutsche. Ihnen helfen ausführliche Inhaltsangaben in den Programmheften über Sprachprobleme hinweg und häufig auch der sehr bildorientierte Inszenierungsstil. Das Theater ist zu einem Treffpunkt der Nationalitäten geworden, ganz gleich, was gerade gespielt wird.
Das war nicht immer so. Als Yekta Arman die Truppe 1973 mit einigen Freunden gründete, spielte sie vor allem für ein türkisches Publikum. Das Projekt wurde rasch bekannt. Es war das erste Mal, daß sich Berliner Türken zu einem professionellen Theater zusammenschlossen.
1980 wurde Peter Stein auf die Gruppe aufmerksam und holte sie an die Schaubühne. Die Arbeit an diesem Haus bedeutete einen weiteren Professionalisierungsschub. Vier Jahre später spendierte der Berliner Senat dem Ensemble eine eigene Bühne – das Tiyatrom in Kreuzberg. Das Haus hat 99 Plätze und kann sowohl als Arena- als auch als Guckkastenbühne bespielt werden. Es hat derzeit einen Etat von 400.000 Mark und bietet jährlich sechs Neuproduktionen. Damit ist es der wichtigste Eckpfeiler der türkischen Theaterszene Berlins.
Doch es gibt auch Kritiker. „Ein Haus, das so großzügig subventioniert wird, muß auch mal was Neues machen“, meint der junge türkische Theatermacher Yalcin Baykul. „Im Tiyatrom herrscht Stagnation.“ Baykul selbst leitet das Theater Tiyatroia, eine ambitionierte Off-Gruppe, die ästhetische Experimente wagt. Doch damit steht er in der türkischen Theaterszene Berlins recht einsam da. Die meisten Gruppen haben es nicht so mit künstlerischen Experimenten. Für sie zählt der Inhalt, nicht die Form.
Auf einer Diskussion Anfang des Monats bescheinigte Yalcin Baykul dem türkischen Theater Berlins „Amateurniveau“. Die Verurteilung ist pauschal und daher ungerecht, aber sie weist auf ein wichtiges Problem hin: Obwohl es in Berlin sehr viele türkische Theater gibt, spielt diese Szene in der Stadt künstlerisch kaum eine Rolle. Keine türkische Produktion hat in den letzten Jahren überregional von sich reden gemacht oder der deutschen Theaterszene künstlerische Impulse verliehen. Und das ist 25 Jahre nach der Gründung des ersten türkischen Theaters in Berlin und 14 Jahre nach der Fertigstellung des Tiyatrom eine enttäuschende Bilanz.
Bei anderen ausländischen Minderheiten in Berlin sieht es ganz anders aus. Die Russen zum Beispiel haben kein eigenes Theatergebäude, aber trotzdem eine lebendige Theaterszene. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs stieg die Zahl der Gastspiele aus Rußland sprunghaft an, und viele Künstler machten Deutschland zu ihrer zweiten Heimat. Grigori Kofman zum Beispiel. Er kam 1992 mit dem Kleinen Petersburger Theater nach Berlin, verliebte sich in die Stadt und das hiesige Publikum und blieb. Er trat mit Liederprogrammen auf, spielte in einer Produktion an der Volksbühne mit und gründete schließlich das PARAMON-Theater, dessen russische Schauspieler aus Berlin und Petersburg kommen. Die in Rußland lebenden Schauspieler kommen etwa einmal pro Jahr nach Berlin. Dann ist das Ensemble groß genug für aufwendige Produktionen. In der Zwischenzeit zeigt das PARAMON kleinere Inszenierungen.
Überwinden von Sprachbarrieren
Die bisherigen Produktionen des PARAMON-Theaters basieren auf Musik und Körpersprache und waren auch für deutsche Zuschauer leicht verständlich. Ein Theater, das sich allein an Russen wendet, hätte in Berlin auch kaum eine Chance.
Diana Dragos, die in der Werkstatt der Kulturen das Theaterprogramm organisiert, hat durch Publikumsuntersuchungen herausgefunden, daß die in Berlin lebenden Russen nur wenig Interesse an rein russischen Veranstaltungen haben. „Die haben sich integriert“, sagt Frau Dragos, „und gehen lieber in ein deutsches Theater, statt hierher zu kommen und ein russisches Stück zu sehen.“ Für die russischen Gruppen ist es daher überlebenswichtig, die Sprachbarriere zu überbrücken. Nonverbale Theaterformen, Simultanübersetzungen oder Programmhefte mit ausführlichen Inhaltsangaben sind bei ihnen häufiger anzutreffen als bei anderen fremdsprachigen Theatern. Der iranische Regisseur Said Shabahang wiederum hält nichts von Simultanübersetzungen: „Das kostet einen Haufen Geld, und bringt uns kaum neue Zuschauer.“ Sein Theater Global spielt in der Regel vor einem ausschließlich persischen Publikum. Es versucht, den Iranern die in Deutschland leben, westliche Wertvorstellungen nahezubringen.
Im Sommer brachte Global im Berliner Haus der Kulturen der Welt das Stück „Jahika“ von Farhad Payar zur Uraufführung. Die Titelfigur ist eine Frauengestalt aus der persischen Mythologie. Sie ist unangepaßt und bekämpft das Patriarchat. Im Iran gilt sie daher als böse.
Iranisches Theater und die Frage der Moral
In Payars Stück erscheint Jahika einer in Deutschland lebenden Iranerin und hilft ihr, sich gegen die Unterdrückung durch ihren Ehemann zu wehren. Für einen deutschen Zuschauer mag dieser Handlungsverlauf etwas didaktisch erscheinen, doch die Iraner, die die Uraufführung besuchten, zeigten sich tief getroffen. Nach der Vorstellung kam es zu heftigen Diskussionen zwischen den Theatermachern und ihrem Publikum. Die Provokation hatte gezündet. Die Herren im Publikum fühlten sich in ihrer Ehre gekränkt, die Damen waren verunsichert.
Von derart starken Reaktionen können deutsche Theatermacher nur träumen. Nicht einmal mit den gröbsten Exzessen würden sie ähnlich starke Publikumsreaktionen erreichen wie die Perser. Für die Iraner ist das Theater noch eine moralische Anstalt, ein Medium, über das Reizthemen in die Diskussion gebracht werden können. Das Theater Global bringt keine ausgetüftelten Kunstprodukte auf die Bühne, sondern gutes Gebrauchstheater. Als Integrationshilfe für die in Deutschland lebenden Exil-Iraner ist es nicht zu unterschätzen.
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