: Razzien auf der Rechtsgrundlage von 1869
■ In Luxemburg gilt ein veraltetes Presserecht: Der Innenminister kann eine Zeitung, die einen mißliebigen Artikel veröffentlichte, wegen „Hehlerei mit Berufsgeheimnissen“ belangen
Die Polizei Luxemburgs hatte vergangene Woche schwer zu tun. Zuerst durchsuchte sie die Redaktion der Tageszeitung Letzeburger Journal, danach die Privatwohnung des Chefredakteurs Rob Roemen und zum Schluß noch die Kanzlei seiner Anwältin. Roemen sollte Namen von Informanten und Dokumente preisgeben. Am Tag darauf wurden die Räume von Finanzamtspräsident Paul Bleser gefilzt. Auch er sollte die Namen der vermuteten Informanten herausrücken.
Die Vorfälle weisen darauf hin, daß die Arbeit der Presse Luxemburgs kaum durch das Gesetz geschützt ist. Während etwa in Deutschland das Zeugnisverweigerungsrecht Journalisten ermöglicht, vor Gericht die Identität ihrer Informanten nicht preiszugeben, ist das Presserecht in Luxemburg völlig veraltet. So stammt das Pressegesetz des Großherzogtums aus dem Jahr 1869.
In Luxemburg werden nächstes Jahr Wahlen abgehalten. Das Ansehen der Regierung hat durch zahlreiche Affären gelitten. Eingriffe in die Freiheit der Medien häuften sich in den letzten Jahren. Anlaß für den Vorfall der vergangenen Woche war, daß das Journal im Juli einen Artikel Roemens über Innenminister Michel Wolter veröffentlicht hatte. Wolter war 1993 Abgeordneter der Christlich- Sozialen Partei und Präsident des Luxemburgischen Tennisverbandes. Der Verband habe über die Stiftung „Tennisförderung“ für 7,5 Millionen Mark die größte Tennishalle des Landes bauen lassen, hieß es. Wolter erwirkte die Rückzahlung von 650.000 Mark Mehrwertsteuer, weil Tennis eine kulturelle Sache und von der Mehrwertsteuer befreit sei. Dazu habe er, so wurde bezeugt, Druck auf einen Finanzbeamten ausgeübt. Das Finanzamt forderte die Mehrwertsteuer zurück und schickte Wolter außerdem einen Strafbescheid über 5.000 Mark wegen Steuervergehens. Der interne Vorgang war dem Journal bekannt geworden. Der Innenminister, dem das Tennis-Renommierprojekt bei seiner Karriere half, verklagte Chefredakteur Roemen und den Verlag wegen „Hehlerei mit Berufsgeheimnissen“ und fordert 500.000 Mark Schadenersatz. Der Prozeß wird nächstes Jahr stattfinden. Minister Wolter hat nun noch eine Klage gegen den Staat wegen „Verletzung des Berufsgeheimnisses“ nachgeschoben, damit der Name des Informanten ermittelt wird.
Eine Novellierung des Luxemburger Pressegesetzes, erklärte die europäische Journalistenföderation, wäre gut für Demokratie und Transparenz in Europa. Tatsächlich ist es nicht so, daß es über Luxemburg nichts zu berichten gäbe. Millionen Steuerhinterzieher suchen im Großherzogtum den Schutz des Bankgeheimnisses. Werner Rügemer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen