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Nachbesserungen sollen ersten Unmut besänftigen

■ Egal wie die Wirtschaftspolitik der rot-grünen Regierung im Detail aussehen wird – die großen Wirtschaftsverbände haben sie schon geächtet, bevor sie überhaupt in Angriff genommen wurde

Gerhard Schröder hatte sich den Tag, an dem er nun zum Kanzler von Deutschland gewählt wird, anders vorgestellt. Die großen Wirtschaftsverbände haben die Politik seiner Regierung bereits geächtet, bevor die überhaupt begonnen hat. Und auch bei kleinen und mittleren Unternehmen, die dem Automenschen und Modernisierungstheoretiker immer am Herzen gelegen haben, breitet sich Unmut aus. Die rotgrüne Koalition hat in ihrem Vertrag heilige Kühe geschlachtet, auf die die Unternehmerschaft seit der Kohl- Regierung einen Anspruch zu haben glaubte: Mindestens 160 Milliarden Mark, schätzen Steuerexperten, sind den öffentlichen Kassen in der jüngsten Vergangenheit jährlich durch ganz legale Steuerprivilegien verloren gegangen. Das hat dazu geführt, daß der Anteil der Gewinnsteuern gegenüber dem Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen seit 1980 von 38 Prozent auf 24 Prozent gefallen ist – bei Spitzensteuersätzen von 47 Prozent für gewerbliche Einkünfte und 45 Prozent für Körperschaftssteuer auf einbehaltene Gewinne.

Mehr als 70 Möglichkeiten der Vergünstigung will die Koalition nun streichen. Sinn ist eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zur Steuererhebung — also Steuermehreinnahmen. Diese sollen teilweise durch niedrigere Steuertarife zurückgegeben werden. Mit dem Rest sollen die Steuern für niedrige private Einkommen gesenkt werden. Die Haushalte sollen mehr Geld ausgeben können und so Wirtschaftswachstum und Neueinstellungen fördern.

Kleine und mittlere Unternehmen, die die Abschreibungsmöglichkeiten zuvor zwar nicht in dem Maß wie Großkonzerne, aber doch auch genutzt haben, sollen in zusätzlichen Programmen gefördert werden – etwa durch Stärkung der Eigenkapitalbasis oder günstige Kredite für Existenzgründer.

Den großen Unternehmen ist das zu wenig, den kleinen zu unklar. Sie fordern „Nachbesserungen“, mit denen sie vor allem eines meinen: Abschreibemöglichkeiten wie den Verlustvortrag beizuhehalten. Der Verlustvortrag sieht vor, daß Verluste, die im Rahmen der einen Einkunftsart erlitten worden sind, von Gewinnen durch andere Einkünfte abgezogen werden können. Mit dieser Methode retten sich bislang auch kapitalschwache Unternehmen über Durststrecken.

Die Regierung zögert noch: Weil der Gewinn bei einer Rücknahme dieser Kürzung von vornherein manipulierbar wäre, wäre der Abbau anderer Vergünstigungen, die auf der Gewinnberechnung basierten, unsinnig.

„Der Mittelstand, der vor allem auch den Einzelhandel und Dienstleistungen umfaßt, muß eben von der stärkeren Nachfrage profitieren“, erklärt Dieter Vesper, Finanzexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Eine besondere steuerliche Förderung für den Mittelstand könne es nicht geben. Allerdings müßten auch die Tarife noch weiter gesenkt werden. „Wir brauchen für den Anfang Impulse“, dafür könne sich der Staat auch weiter verschulden.

Sein Kollege Winfried Fuest vom Institut der Deutschen Wirtschaft stimmt dem nur in einem Punkt zu: „Die Steuersätze müssen weiter runter.“ Bei der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage dürfe man sich nicht auf die Abschreibemöglichkeiten der Unternehmen kaprizieren. Schließlich müßten die die Arbeitsplätze schaffen — und das müsse man ihnen schmackhaft machen. „Die Besteuerung von Renten und Schichtarbeit darf nicht tabu sein.“ Beate Willms

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